Pflicht zur elektronischen Kommunikation auch bei Klageanbringung beim Finanzamt
Hintergrund: Gesetzliche Regelung
Die Frist für die Erhebung der Klage gilt nach § 47 Abs.2 AO als gewahrt, wenn die Klage bei der Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt oder die angefochtene Entscheidung erlassen oder den Beteiligten bekannt gegeben hat oder die nachträglich für den Steuerfall zuständig geworden ist, innerhalb der Frist angebracht oder zu Protokoll gegeben wird.
Sachverhalt: Gilt die Pflicht zur Nutzung des beSt auch bei einer Anbringung der Klage beim Finanzamt?
- Der Kläger legte gegen den Einkommensteuerbescheid 2018 Einspruch ein. Die Einspruchsentscheidung des Finanzamts (FA) wurde der Prozessbevollmächtigten des Klägers, eine in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft geführte Steuerberatungsgesellschaft (S), am 2.6.2023 zugestellt.
- Hiergegen richtete sich die Klage, die S für den Kläger am 28.6.2023 durch Telefax an das FA übermittelte. Das FA leitete das Telefax per Post an das Finanzgericht (FG) weiter. Dort ging es am 12.7.2023 ein.
- Mit Schreiben vom 17.7.2023 wies das FG die S auf die Regelungen in § 52d Satz 2 i.V.m. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO hin. Es führte aus, dass der Klageschriftsatz nicht elektronisch eingereicht wurde.
- S beantragte am 25.10.2023 für den Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und machte geltend, es habe sich bei der Klageanbringung durch Telefax um eine Ersatzeinreichung gehandelt, da das Kartenlesegerät ausgefallen sei. Gleichzeitig übermittelte S die Klageschrift über das beSt.
Das FG wies die Klage ab. Die Klage sei nicht innerhalb der Klagefrist in der seit dem 1.1.2023 vorgeschriebenen Form erhoben worden.
Entscheidung: Klage muss als elektronisches Dokument übermittelt werden
Der BFH hat die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen
Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs
Die für den Kläger prozessual agierende S war verpflichtet, die Klage als elektronisches Dokument zu übermitteln.
Gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Klage beim Gericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. Davon abweichend sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, nach § 52d Satz 1 FGO als elektronisches Dokument zu übermitteln. Gleiches gilt nach § 52d Satz 2 FGO für die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Verfügung steht.
Für die in § 62 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO genannten, in das Steuerberaterverzeichnis eingetragenen Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nr. 2 (i.V.m. § 49) StBerG steht seit dem 1.1.2023 ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO – das beSt – zur Verfügung. Nach Maßgabe dieser Grundsätze war S grundsätzlich verpflichtet, zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Juni 2023 das beSt zu nutzen.
Der Umstand, dass S die Klage grundsätzlich fristwahrend nach § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO beim FA angebracht hat, entpflichtete sie nicht, die nach § 52d Satz 2 i.V.m. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO gebotenen formalen Anforderungen einzuhalten.
Wortlaut des Normgefüges
Der Wortlaut der betroffenen Normen spricht weder eindeutig für noch gegen eine Pflicht, eine Klage, die abweichend zu § 64 Abs. 1 Satz 1 FGO durch einen Steuerberater bei einer Finanzbehörde angebracht wird, nach § 52d Satz 2, § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO elektronisch zu übermitteln.
§ 47 Abs. 2 FGO enthält keine Formalanforderungen für die Klageanbringung. Insbesondere findet sich dort keine Bezugnahme auf § 52d Satz 2 und § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO. Dass die letztgenannte Vorschrift als sicheren Übermittlungsweg nur denjenigen zur elektronischen Poststelle "des Gerichts" und nicht auch einen solchen zur elektronischen Poststelle "der Behörde" benennt, ist unerheblich. § 52a FGO ist auf die elektronische Kommunikation zwischen den Beteiligten und dem Gericht zugeschnitten und verhält sich nicht zu den entsprechenden Wegen zwischen dem Kläger und der Finanzbehörde.
Systematischer Kontext von § 47 Abs. 2 FGO
Sinn und Zweck des § 47 Abs. 2 FGO sowie dessen systematischer Kontext sprechen eindeutig dafür, die Anbringung einer Klage bei der Finanzbehörde den formalen Anforderungen des § 52d Satz 2, § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO zu unterwerfen.
§ 47 Abs. 2 Satz 1 FGO dient allein der Fristwahrung. Die Vorschrift will im Interesse des Klägers den Zugang zum Gericht erleichtern. Der Regelungsgehalt des § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO betrifft somit nicht die Klageerhebung, sondern beschränkt sich auf die Fristwahrung für eine erst noch zu erhebende Klage. Demzufolge ist es konsequent, dass § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO keine zu § 64 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 FGO ("schriftlich") und § 52d Satz 1 und 2 FGO ("als elektronisches Dokument") abweichende Bestimmung über die Form der bei der Behörde anzubringenden Klageschrift enthält. Gerade die der Finanzbehörde in den Fällen des § 47 Abs. 2 FGO zukommende Funktion einer Art Empfangsbevollmächtigten für das Gericht ("Quasi-Briefkasten") muss zur Folge haben, dass für die beiden alternativen Wege der Klageerhebung (beziehungsweise -anbringung) identische Formalanforderungen gelten.
Der Kläger hat die Klage nicht wirksam ersatzweise in Papierform eingereicht
§ 52d Satz 3 FGO greift bei technischen Problemen im Rahmen der Verwendung des vollständig eingerichteten beSt ein. In einem solchen Fall ist die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. "Unverzüglich" bedeutet ohne schuldhaftes Zögern; der Zeitraum hierfür ist eng zu fassen.
Diese Anforderungen werden im Streitfall nicht erfüllt. Der Senat kann offenlassen, ob S eine vorübergehende, auf technischen Gründen beruhende Unmöglichkeit einer Klageanbringung über das beSt überhaupt glaubhaft gemacht hat. Selbst wenn dies so wäre, fehlte es an einer Unverzüglichkeit.
Rechtsbehelfsbelehrung nicht fehlerhaft
Die Rechtsbehelfsbelehrung des FA war vollständig, zutreffend und nicht missverständlich. Die Rechtsbehelfsbelehrung enthält die Angabe, die Klage sei "schriftlich oder als elektronisches Dokument einzureichen oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle" zu erklären. Ferner heißt es dort, die Frist für die Erhebung der Klage gelte als gewahrt, wenn die Klage bei dem FA innerhalb der Frist angebracht oder zu Protokoll gegeben wird. Abschließend wird ergänzt: "Die Voraussetzungen zur elektronischen Einreichung regelt § 52a FGO. Zur verpflichtenden Übermittlung elektronischer Dokumente siehe § 52d FGO." Diese (ergänzenden) Angaben lassen die Rechtsbehelfsbelehrung bei objektiver Betrachtung nicht missverständlich erscheinen. Ein ausdrücklicher Hinweis, dass die verpflichtende elektronische Kommunikation auch bei der Anbringung der Klage beim FA gilt, war nicht erforderlich.
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Dem Kläger war keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Abs. 1 FGO zu gewähren. Dies ergibt sich bereits daraus, dass er seine hierfür bestehenden gesetzlichen Obliegenheiten nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist nach Wegfall des Hindernisses (§ 56 Abs. 2 Satz 1 FGO) erfüllt hat.
BFH, Urteil v. 7.10.2025, IX R 7/24; veröffentlicht am 20.11.2025
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