Wie die EU die Kompetenzen der Zukunft sichern will
Europa steht mitten im Wandel: Ob Künstliche Intelligenz (KI) oder Klimaneutralität – überall verändern sich Berufe und Anforderungen rasant. Erst kürzlich hat die EU-Kommission angekündigt, dass in Europa sechs neue KI-Fabriken entstehen sollen. Um Projekte wie dieses umzusetzen, braucht es die entsprechenden Fachkräfte – und die sind rar. Unternehmen suchen oft händeringend nach geeignetem Personal, während sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fragen, ob ihre Qualifikationen noch ausreichen.
Die Europäische Kommission möchte genau hier ansetzen. Mit der im Frühjahr vorgestellten "Union der Kompetenzen" sollen Bildung, Weiterbildung und Umschulung in der Europäischen Union (EU) neu gedacht werden. Die Herning Declaration geht nun einen weiteren Schritt Richtung Umsetzung.
Europas Bildungsoffensive
Bereits am 5. März 2025 hat die EU-Kommission die Union der Kompetenzen vorgestellt. Sie ist Teil einer zentralen Strategie, die die Wettbewerbsfähigkeit der EU stärken und zugleich die allgemeine und berufliche Bildung der Bevölkerung verbessern soll. Ziel ist es, Menschen jeden Alters mit den Fähigkeiten auszustatten, die sie für das Leben und Arbeiten in einer sich wandelnden Welt brauchen – von Schulkindern bis zu älteren Erwerbstätigen. Im Kern geht es darum, Bildungs-, Arbeitsmarkt- und Migrationspolitik besser zu verknüpfen. Denn die EU-Kommission sieht im Mangel an passenden Kompetenzen eine der größten Hürden für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit. Dieses Problem zeigt sich auch in Deutschland: Der Fachkräftemangel wird zunehmend zum Standortfaktor.
Ein Schwerpunkt der Union der Kompetenzen liegt auf der Stärkung der Grundkompetenzen in Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften und digitalen Anwendungen. Gleichzeitig will die Kommission mehr Menschen – insbesondere Frauen – für MINT-Berufe gewinnen, also für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Zudem soll die berufliche Bildung modernisiert werden: Microcredentials – kurze, flexible Lernmodule – sollen helfen, Weiterqualifizierungen leichter in den Berufsalltag zu integrieren. So markiert die Union der Kompetenzen einen Kulturwandel: Sie versteht Lernen nicht mehr als einmalige Bildungsphase, sondern als dauerhafte Begleitung durch das ganze Leben.
Außerdem ist es Teil der Strategie, dass Talente innerhalb der EU unkompliziert den Wohn- und Arbeitsort wechseln können und so dorthin kommen können, wo ihre Fähigkeiten gebraucht werden. Deshalb sollen Kompetenzen und Qualifikationen EU-weit leichter übertragbar gemacht werden – unabhängig davon, wo sie erworben wurden. Geplant sind unter anderem Schul- und Hochschulallianzen sowie zentrale europäische Berufsbildungs- und Hochschulabschlüsse. Darüber hinaus soll es einen EU-Talentpool geben, um Arbeitsuchende aus Drittländern auf allen Qualifikationsebenen, insbesondere für Arbeitsplätze mit Fachkräftemangel, zu rekrutieren. Eine Visa-Strategie soll es Studierenden, Fachkräften und Forschenden leichter machen, in die EU zu kommen.
Bildung als Grundrecht
Herzstück der neuen Strategie ist das Pilotprojekt "Kompetenzgarantie". Es richtet sich an Personen, die von Arbeitslosigkeit bedroht oder vom Strukturwandel betroffen sind. Wer etwa in einer schrumpfenden Branche arbeitet oder durch Digitalisierung seine Stelle verliert, soll künftig einen garantierten Zugang zu Weiterbildung und Umschulung erhalten. Damit bietet das Projekt den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Möglichkeit, neue Qualifikationen und Kenntnisse zu erwerben, um rasch in andere Branchen oder Tätigkeiten wechseln zu können. Weiterbildung wird also nicht länger als freiwillige Zusatzleistung verstanden, sondern als soziales Sicherungsinstrument. Die Kompetenzgarantie könnte langfristig zu einem europäischen Standard werden – vergleichbar mit dem Recht auf Schulbildung in der Jugend.
Für Weiterbildungsträger, Volkshochschulen und Bildungseinrichtungen in Deutschland bietet das eine doppelte Chance: Einerseits können sie Teil einer europaweiten Bildungsbewegung werden, die Weiterbildung als Grundrecht etabliert. Andererseits könnten durch die Kompetenzgarantie neue Förderwege und Partnerschaften entstehen, etwa durch EU-Pilotprojekte, regionale Modellvorhaben oder Kooperationen mit Betrieben und Sozialpartnern. Auch Unternehmen könnten dadurch künftig stärker von EU-finanzierten Weiterbildungsinitiativen profitieren.
Bildung und Wirtschaft zusammenbringen
Wie die Union der Kompetenzen konkret Gestalt annimmt, zeigt die Herning Declaration, die die europäischen Bildungsministerinnen und -minister im September 2025 bei einem informellen Treffen im dänischen Herning verabschiedet haben. Darin bekennen sich die Mitgliedstaaten zu 17 Maßnahmen, die Bildung, Arbeitsmarkt und Sozialpartner enger miteinander verzahnen sollen. Dazu gehören etwa Modellregionen, in denen Bildung und Wirtschaft eng zusammenarbeiten sowie Programme zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse und gezielte Förderung von grünen und digitalen Kompetenzen.
Ein wichtiger Punkt dabei ist das Thema Chancengleichheit. Die Herning Declaration betont ausdrücklich, dass Weiterbildung allen offenstehen muss – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder sozialem Status. Besonders im Fokus stehen Frauen in technischen Berufen und Migrantinnen und Migranten, die bislang oft schlechteren Zugang zu Qualifizierungsangeboten haben. Die Unterzeichnung fand parallel zum Euroskills-Wettbewerb statt, einem europaweiten Leistungsvergleich junger Fachkräfte aus Handwerk, Industrie und Dienstleistung. Vor allem im Rahmen dieses Wettbewerbs, der zeigt, was Bildung bewirken kann, wirken die Union der Kompetenzen und die Herning Declaration wie ein Signal: Europa meint es ernst mit der Idee, Lernen zur Grundlage seiner Wettbewerbsfähigkeit zu machen. Auch für deutsche Unternehmen könnte dies eine wichtige Weichenstellung sein.
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