Suchtprävention: Alkohol oder Drogen im Betrieb

Alkohol- oder Drogenmissbrauch kann zum Problem werden, das zeigt eindrücklich der jüngste Absturz des ehemaligen Radprofis Jan Ullrich. Doch Sucht macht auch nicht vor den Unternehmenstüren Halt. Gesundheitsexperte Jens Reppahn von der BAD GmbH erklärt, was Personaler bei Suchtproblemen im Betrieb tun können.

Haufe Online-Redaktion: Suchtprobleme nehmen zu, das Beispiel Jan Ullrich ist nur eines von vielen. Leben wir in einer süchtigen Gesellschaft?

Jens Reppahn: Tatsächlich verzeichnen wir seit Jahren eine sehr hohe Zahl suchtkranker Menschen in Deutschland: 1,8 Millionen Alkoholsüchtige, 1,5 Millionen Menschen mit Medikamentenabhängigkeit und rund 300.000 Drogensüchtige sind besorgniserregend. 

Zusammenhang zwischen Suchtmittelkonsum und Arbeit

Haufe Online-Redaktion: Oft wird ein gesteigerter Suchtmittelkonsum von den Konsumenten selbst mit Stress und überhöhten Anforderungen im Beruf begründet. Kann man einen Zusammenhang zwischen Abhängigkeitserkrankungen und Arbeit erkennen? 

Reppahn: Aus meiner Sicht gibt es keinen grundsätzlichen Zusammenhang. Allerdings gibt es Phänomene im modernen Arbeitsleben, die offenbar eine gewisse Affinität zum Suchtmittelkonsum haben. So ist auf der einen Seite die Kompensation bei chronischer Überlastung ein alltägliches Thema, dem viele Menschen mit Unterstützung von Substanzen begegnen - sei es Alkohol, Cannabis oder Benzodiazepine, also Beruhigungsmittel.

Auf der anderen Seite stellen wir seit Jahren eine starke Leistungsorientierung fest. Viele Beschäftigte wünschen sich, ihre Leistung durch die Einnahme von Substanzen zu steigern. Als relativ alltäglich sei hier auf den Einsatz von Schmerzmitteln verwiesen, ohne dass diese generell Suchtpotenzial haben. Andere Wirkstoffe, die unter dem Stichwort „Neuroenhancement“ oder auch „Hirndoping“ zusammengefasst werden, suggerieren Leistungssteigerung, obwohl die Wirksamkeit dieser Präparate bei gesunden Menschen angezweifelt werden muss.

Beschäftigte mit einfachen Tätigkeiten oder unsicheren Beschäftigungsverhältnissen besonders suchtgefährdet

Haufe Online-Redaktion: Sind das die Gründe, warum Manager zu Drogen greifen?

Reppahn: Die Gründe zum Konsum von Suchtstoffen sind so vielfältig wie die Menschheit selbst. Die These, dass gerade Manager mit hohem Leistungsdruck für aufputschende Mittel wie Kokain anfällig sind, greift zu kurz. Natürlich mag es eine gewisse Übereinstimmung von extremer Leistungsmotivation und Einsatzbereitschaft geben, die mit den aufputschenden und enthemmenden Wirkungen von Stimulantien eine gewisse Passung haben und in vielen Fällen auch den Konsum bei Führungskräften (mit-)begründen.

Interessant ist allerdings, dass vor allem Beschäftigte mit einfachen Tätigkeiten oder unsicheren Beschäftigungsverhältnissen leistungssteigernde Substanzen einsetzen, Führungskräfte eher weniger.

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Betriebe noch zu unsicher im Umgang mit suchtkranken Mitarbeitern

Haufe Online-Redaktion: Wie gehen Betriebe mit dem Thema Sucht um?

Reppahn: Im betrieblichen Kontext ist die Sensibilität für das Thema gewachsen. Viele Betriebe haben entsprechende Vereinbarungen zum Umgang mit suchtmittelbedingten Auffälligkeiten am Arbeitsplatz getroffen und setzen betriebliche Suchthilfe entsprechend systematisch um. Geblieben ist eine Unsicherheit im direkten Kontakt mit (vermeintlich) Betroffenen.

Haufe Online-Redaktion: Wie können Unternehmen die Therapie eines Mitarbeiters unterstützen?

Reppahn: Die persönliche Thematisierung bei Sucht am Arbeitsplatz ist trotz aller struktureller Verbesserungen oftmals noch sehr ungeübt. Wichtig erscheint daher, dass die Verantwortungsträger im Unternehmen ein hohes Maß an Knowhow mitbringen, insbesondere in geeigneter Gesprächsführung. Darüber hinaus bedarf es klarer Regelungen, wer in welcher Rolle unterstützend tätig werden kann. Vielfach werden hierzu Betriebs- oder Dienstvereinbarungen geschlossen, die Klarheit erzeugen können. Auch Regelungen zur betrieblichen Eingliederung nach Rückkehr aus längeren Krankheitsphasen spielen bei Suchterkrankungen häufig eine Rolle.

Employee-Assistance-Programme bei Sucht im Betrieb

Haufe Online-Redaktion: Wie können Betriebe Unterstützung bekommen?

Reppahn: Grundsätzlich empfiehlt es sich, dass Unternehmen zur Beratung aller Beteiligten ein Employee Assistance Program (EAP) zur Verfügung stellen. Die Berater des EAP unterstützen diskret und lösungsorientiert bei allen auftretenden Fragen und können somit zwischen den zur Genesung erforderlichen Bedürfnissen der Beschäftigten und den betrieblichen Erfordernissen vermitteln.

Haufe Online-Redaktion: Haben Suchtpräventionsprogramme Erfolg?

Reppahn: Betriebliche Suchthilfe sollte immer systematisch erfolgen und eingebettet sein in ein strukturiertes Betriebliches Gesundheitsmanagement. Hierfür konnten in den letzten Jahrzehnten viele Studien einen nicht unerheblichen Return on invest belegen. Verhaltenspräventive Maßnahmen wie Informationen an Beschäftigte oder Schulung von Vorgesetzten sind vielerorts bereits etabliert.

Verhältnispräventive Maßnahmen, wie beispielsweise ein Konsumverbot vor oder während der Arbeitszeit, sollten ergänzt werden durch die regelmäßige Analyse der Arbeitsbedingungen. So können ungünstige Bedingungen durchaus negative psychische Beanspruchungen nach sich ziehen, die wiederum begünstigend für Suchtmittelkonsum sein können, Beispiele hierfür sind  dauerhaft hoher Arbeitsdruck oder  eskalierende Konflikte. Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen kann hierfür ein wichtiger Impuls für verantwortliches unternehmerisches Handeln sein.

Haufe Online-Redaktion: Welche Entwicklungen sehen Sie in der Suchtprävention und Suchthilfe? 

Reppahn: Die betriebliche Suchthilfe steht vor der Herausforderung, unfallversicherungsrechtliche Vorgaben mit Blick auf Suchtmittelkonsum klar darzustellen. Hier haben Arbeitgeber Spielraum, den sie – insbesondere bei gefahrenträchtigen Tätigkeiten – aktiv nutzen sollten. Außerdem ist es wichtig, Einstellungen, die Suchtmittelkonsum verharmlosen, entgegen zu wirken. Im Rahmen der betrieblichen Eingliederung sollte stärker auf mögliche Auswirkungen einer (verordneten) Medikamenteneinnahme eingegangen werden. Hier liegen präventive Chancen nicht nur zur Verhinderung einer Suchtentwicklung, sondern auch bei der Verhinderung substanzbezogener Unfallgefahren am Arbeitsplatz.

Jens Reppahn
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Das Interview führte Katharina Schmitt, Redaktion Personalmagazin.