Integration der Flüchtlingen braucht Zeit

Die Bundesagentur für Arbeit erwartet, dass sich die Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt nicht schlechter schlagen werden als Migranten früherer Generationen. Doch BIBB-Präsident Friedrich Hubert Esser warnt vor überzogenen Erwartungen: Die Integration der Flüchtlinge brauche Zeit und Gründlichkeit.

"Wir rechnen damit, dass im ersten Jahr zwischen acht und zehn Prozent von ihnen Arbeit finden werden, im fünften Jahr wird rund die Hälfte einen Job haben, nach 15 Jahren dann etwa 70 Prozent", sagte der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Raimund Becker, am Rande einer Jobbörse für geflüchtete Menschen in Berlin. Mehr über diese Jobbörse und andere Möglichkeiten für Unternehmen mit Flüchtlingen in Kontakt lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des Personalmagazins 2/2017. Im Zuge der Recherche für diesen Artikel, sprach die Redaktion auch mit BIBB-Präsident Friedrich Hubert Esser über seine bisherigen Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit.

 

personalmagazin: Der Hermann-Schmidt-Preis des Vereins „Innovative Berufsbildung“ ging im November 2016 mit einem Sonderpreis an eine ehrenamtliche Gemeinschaftsinitiative in Frankfurt, die junge Zuwanderer und Geflüchtete in Arbeit bringt. Sind Profis nicht erfolgreicher?

Friedrich Hubert Esser: Wir brauchen das Ehrenamt und deshalb würdigen wir es. Die Menschen bringen oft neben starkem Engagement eine hohe Expertise mit – Lehrer genauso wie Betriebsmitarbeiter unterschiedlicher Professionen, die das neben ihrer beruflichen Tätigkeit oder als bereits Pensionierte in ihrer Freizeit tun. Ehrenamtlich Tätige unterstützen die Geflüchteten ganz konkret vor Ort, das ist ein sehr wichtiger Beitrag. Wir bleiben dagegen bei unseren Berufsbildungsthemen. Die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen, der Übergang Schule – Beruf, die Berufsvorbereitung für junge Menschen, die in der Schule geringe Erfolge vorweisen können, und die Qualifikation von Migranten – zu diesen Themen haben wir schon gearbeitet, als noch keine Flüchtlinge kamen.

personalmagazin: Wollen die jungen Menschen, die zu uns kommen, denn eine Ausbildung machen?

Esser: Manche ja, bei anderen bedarf es Überzeugungsarbeit. Viele Geflüchtete wollen und müssen ihre Familien, die im Heimatland zurückgeblieben sind, unterstützen. Eine Ausbildungsvergütung ist dafür häufig zu niedrig. Deshalb müssen wir sie davon überzeugen, dass ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt ohne eine Ausbildung gering sind und sie erst mit einer fundierten Qualifizierung Perspektiven in Deutschland entwickeln können.

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Dazu müssen wir ihnen Lösungen anbieten. Wir haben zum Beispiel das Instrument der Teilzeitausbildung, das wir für junge Eltern entwickelt haben. Das kann man auf Geflüchtete übertragen, die dann neben der Ausbildung jobben können, um Geld für die Familie zu verdienen. 

personalmagazin: Welche weiteren Instrumente eignen sich für Geflüchtete?

Esser: Die assistierte Ausbildung und die Sprachförderung lassen sich anpassen an die aktuelle Situation. Wir müssen schauen, womit wir Erfolg haben, und dann den Differenzierungs- und Qualifizierungsgrad anpassen.

personalmagazin: Klingt logisch, kommt aber bei den Unternehmen etwas wirr an.

Esser: Die Betriebe müssen nicht alle kommunizierenden Röhren des Berufsbildungssystems kennen. Sie greifen am besten auf ihre Unterstützungsstruktur vor Ort zurück. Die Handwerkskammern und die Industrie- und Handelskammern am Firmenstandort sind die richtigen Dienstleister. Aber ich will hier auch einmal eine Lanze brechen für die Bundesagentur für Arbeit und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die leisten – sozusagen im Backoffice – Erhebliches. Das BIBB ist Teil dieser Netzwerkstruktur.

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personalmagazin: Machen die vielen föderalen Netzwerke das Ausbildungssystem nicht zu langsam für Geflüchtete und Firmen?

Esser: Wer gedacht hat, dass Menschen aus Kriegsgebieten nach einem halben Jahr integriert sind, ist einem naiven Irrglauben aufgesessen. Wir haben ein anspruchsvolles Ausbildungssystem für komplexe Berufe. Da braucht es Zeit, bis einer das Sprachniveau beherrscht, das die Grundlage für weiteres Lernen und Integration bildet. Es braucht aber neben dem Unterricht auch die Chance, Beziehungen aufzubauen. Es ist eine alte pädagogische Weisheit, dass zwischenmenschliche Beziehungen den Lernerfolg erhöhen.

 

Prof. Dr. Friedrich Hubert Esser ist seit 2011 Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) in Bonn. Der 57-Jährige ist gelernter Bäcker, Diplom-Kaufmann und promovierter Wirtschaftspädagoge.

Das Interview führte Ruth Lemmer.

               

 

dpa
Schlagworte zum Thema:  Flüchtlinge, Diversity