Branchentalk E-Learning 2021

In der Pandemie mussten Präsenztrainings in kürzester Zeit in digitale Weiterbildungsangebote umgewandelt werden. Inzwischen ist aus der Not eine Tugend geworden und die Akzeptanz für E-Learnings ist enorm gestiegen. Das digitale Lernen ist aus den Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Darin waren sich die Teilnehmer des Branchentalks E-Learning einig. Für die Zukunft erwarten sie eine hybride Lernwelt.

"Wir haben vor Corona bereits sehr viel ausprobiert in der Weiterbildung, neue Formate entwickelt und neue Themen angestoßen. Doch ohne Corona hätten wir wahrscheinlich viel länger gebraucht, um unsere Angebote zu digitalisieren. Das war ein enormer Booster", erzählt Dorit Schalansky, die das Team Global People and Organizational Development bei Ottobock im Co-Leadership-Modell leitet. Mit dem Ausbruch der Pandemie wurden die Mitarbeiter des Medizintechnik­unternehmens – wo möglich – ins Homeoffice geschickt, die Zusammenarbeit und Kommunikation wurde weitgehend auf die digitalen Kanäle übertragen. Die Personalentwicklung hat die mehr als 8.000 Mitarbeitenden bei diesem Umstellungsprozess aktiv unterstützt: "Wir haben innerhalb einer Woche Lizenzen für digitale Lernangebote gekauft und den Mitarbeitern zur Verfügung gestellt. Dazu haben wir Inhalte kuratiert, und Playlists angelegt. Wir haben unseren gesamten Jahresplan erstmal zur Seite geschoben, um uns voll auf die neuen Bedürfnisse konzentrieren zu können."

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Das kann Christina Schulte-Kutsch, Senior Vice President Talent and Organizational Development bei der ZF Group, nur bestätigen. Sie hat in Woche eins des Lockdowns ihren neuen Job bei dem Automobilzulieferer mit über 150.000 Beschäftigten angetreten. Bei dem Unternehmen spielte Weiterbildung zwar eine große Rolle, doch "beim digitalen Lernen war die Nachfrage gering", wie Schulte-Kutsch die Lage beschreibt, die sie vorfand. "Das hat sich mit Corona radikal geändert. Auch wir haben dann sehr schnell, sehr einfache, aber effektive Lösungen entwickelt." Das begann mit Tipps zum Arbeiten mit digitalen Tools oder zur Remote-Führung. Die Inhalte wurden einerseits kuratiert und an die Mitarbeiter verschickt. Zudem unterstützte das Team von Schulte-Kutsch das Lernen untereinander durch Inhalte, die die Mitarbeiter selbst erstellten. "Diese praktische Erfahrung hat ganz viel Mut gegeben. So konnte Raum für Experimente entstehen. Es war in Ordnung, wenn am Anfang nicht alles perfekt lief. Dadurch haben wir diesen Boost beim E-Learning erlebt und können nun auch die Folgeprogramme digitalisieren", so Schulte-Kutsch.

E-Learning-Markt erlebt Aufschwung

Der Aufschwung für digitale Lernangebote war auch deutlich bei den Anbietern zu spüren: "Wir bieten als Reflact und als Competence Center für die Adobe-E-Learning-Technologien Lerninfrastruktur, Content-Erstellung und virtuelle Klassenräume an. Letzteres ging mit Beginn der Pandemie durch die Decke", erklärt Hartmut Scholl, Gründer und Vorstand der Reflact AG. Am Anfang der Pandemie boomten die einfachen E-Meetings, doch schon bald stellte sich die Frage, wie man mehr Interaktion ins Training zurückbringt und wie sich erprobte Workshop-Formate – vom Design Thinking bis zur Retrospektive – ins Digitale übertragen lassen. "Inzwischen wissen wir: Es geht! Für die Zeit nach der Pandemie – in der es deutlich stärker um ein motivierendes, problemlösendes, businessnahes und insgesamt agileres Lernen gehen wird – eröffnen sich daraus große Chancen."

Christian Wachter, Vorstandsvorsitzender der Information Multimedia Communication IMC AG, kann die große Nachfrage im E-Learning-Bereich nur bestätigen. Auch bei IMC waren vor allem die Virtual-Classroom-Systeme stark nachgefragt. Daneben waren es vor allem die einfachen Technologien und Werkzeuge, die die Unternehmen einkauften. Der Druck in den Unternehmen stieg. Weiterbildung musste weiterlaufen und dafür mussten einfach handhabbare Werkzeuge für die Umsetzung im Digitalen her. "Größere Projekte und individuelle Content-Erstellung kamen hingegen zum Erliegen", berichtet Wachter. Die Unternehmen waren vorsichtig bei ihren Investitionen – zumindest in Europa. Da IMC auch international tätig ist, stellte der IMC-Vorstand dabei Unterschiede über Landesgrenzen hinweg fest: "In Europa sind wir sehr stark in eine Schockstarre gefallen. Viele haben erst einmal abgewartet, während im Ausland schneller die Chancen gesehen und genutzt wurden. In Deutschland war der Auftrieb erst im Oktober 2020 richtig wahrzunehmen."

Zunächst griff die Budgetbremse in der Weiterbildung

Dass die Budgets zunächst geschont wurden, bestätigen die Personalentwicklerinnen von Ottobock und von der ZF Group im Branchentalk. Das sei klar und vollkommen nachvollziehbar. Schließlich ging es für viele Unternehmen um das finanzielle Überleben. Wenn die Arbeitsplätze gesichert seien, könne auch wieder in Weiterbildung investiert werden. 

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Bei ZF habe man auch gar nicht das vorhandene Weiterbildungsbudget voll ausschöpfen können, weil viele Weiterbildungsangebote noch nicht digitalisiert waren und in Präsenz nicht mehr stattfinden konnten, fügt Schulte-Kutsch an. "Wir können nicht einfach drei Tage Präsenztraining plötzlich in Teams abbilden. Dafür braucht es ein Konzept, das man erst erarbeiten muss", begründet sie diese Situation. Für die Zukunft sieht sie die Budgetlage optimistisch: "Das Invest wird sich erhöhen, denn das Thema Weiterbildung ist gerade im Automotive-Bereich eines der Schlüsselthemen der Zukunft."

Auch bei Ottobock ist in der Coronakrise das Kostenbewusstsein gestiegen. Trotzdem hat das Unternehmen weiter investiert und zum Beispiel an dem geplanten globalen Entwicklungsprogramm für Top-Talente festgehalten. Es startete mit 120 Teilnehmern im April 2020, mitten im ersten Lockdown. "Das war ein Zeichen der Geschäftsführung. Ein Signal, dass wir gerade jetzt in einer Krisenzeit in unsere Mitarbeiter investieren", bekräftigt Dorit Schalansky.

Inzwischen sind die Unternehmen an dem Punkt angekommen, dass sie nicht mehr nur aus der Not heraus digitale Lernangebote im Eiltempo zur Verfügung stellen. Vielmehr hat jetzt die Phase der Professionalisierung begonnen. Aus dem Stückwerk von Lernangeboten, die in Eigenregie erstellt oder als Learning Nuggets eingekauft wurden, muss nun ein administrierbares Gesamtsystem werden. "Wir sind an unsere Grenzen gekommen, was Lernmanagementsysteme angeht", berichtet Schulte-Kutsch und sieht noch viel Potenzial bei den Anbietern der Plattformen. "Hier braucht es Lösungen, die digitale Angebote besser integrieren." Daran zeige sich auch, dass digitales Lernen nicht automatisch günstiger ist als Präsenztrainings. Die professionelle In­frastruktur benötige auch einen Invest.

Zur Professionalisierungsphase gehört es auch, dass jetzt nicht mehr allein die schnelle Reaktion auf die Mitarbeiternachfrage und die technische Umstellung auf das Digitale im Vordergrund stehen. Nun geht es darum, Lernkonzepte für die Zukunft zu erarbeiten. Die Teilnehmer des Branchentalks sind sich darüber einig: Den Zustand wie vor der Coronapandemie wird es in der Weiterbildung nicht mehr geben. Die erarbeiteten digitalen Konzepte werden weiter Bestand haben. Die Herausforderung wird sein, Präsenztrainings und E-Learnings neu miteinander zu verbinden. Dabei ist Blended Learning nur eine von vielen Lernformen. Vielmehr liegt die Lösung in hybriden Lernwelten.

Die Zukunftsvision besteht aus hybriden Lernwelten

Das Hybride umfasst dabei mehrere Dimensionen. Eine ist die Mischung aus Online- und Offline-Formaten. Präsenztrainings werden nach wie vor als sehr wertig betrachtet und es gibt ein großes Nachholbedürfnis für den direkten Austausch vor Ort. Denn die virtuelle Arbeit ist nach der experimentellen Anfangsphase in Routine übergegangen und löst nun Müdigkeit aus. Das sei bei Ottobock schon zu spüren, teilt Schalansky ihre Erfahrung. "Ich denke, wenn wir ins Büro zurückkehren können, wird die Nachfrage nach Präsenztrainings groß sein. Das wird mit der Zeit dann wieder abflauen und sich einpendeln." Sie geht davon aus, dass ein Lernthema künftig zugeschnitten auf die Wünsche der Mitarbeiter sowohl digital als auch in Präsenzform zur Verfügung gestellt wird. So wird eine starke Individualisierung der Angebote stattfinden. 

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Christian Wachter von IMC teilt diese Prognose, betont aber auch: "Es wird kein gänzliches freies Wunschkonzert für die Mitarbeiter sein. Aber die Einstellung, dass es für ein Lernziel nur ein Angebot gibt, wird Vergangenheit sein." Und Schulte-Kutsch ergänzt: "Wir werden erfassen müssen, welche Ziele man in welchem Setting am besten erreichen kann." Eine Variante könnte sein, dass die reine Wissensweitergabe künftig stark von Online-Formaten geprägt sein wird, denn entsprechende E-Learnings haben in der Pandemiezeit eine sehr große Akzeptanz gefunden. Wo mehr Diskurs und direkter Austausch erforderlich ist, wie zum Beispiel bei Führungs- und Kommunikationsthemen, werden sich wohl wieder Präsenztrainings etablieren. 

Hinzu kommt eine zweite Dimension der hybriden Lernwelt: die Kombination von synchronen und asynchronen Lernphasen. Während früher Präsenzveranstaltungen für das synchrone Lernen gedacht waren und die Online-Phasen für das asynchrone Lernen, wird künftig die synchrone Phase teilweise auch online stattfinden. Die Herausforderung dabei: "Einige Teilnehmer werden vor Ort an der Präsenzveranstaltung teilnehmen, während sich andere online dazuschalten. Ein solches Zusammenspiel bietet große Chancen, zugleich müssen wir eine Zweiklassenwelt verhindern", warnt Scholl. 

Ein dritte Dimension der hybriden Lernwelt besteht in der Mischung von drei Quellen von Lernangeboten: der Mix aus "User Generated Content", den die Mitarbeiter erstellen, sowie Inhalte von externen Anbietern und internem Content der Unternehmen. Gerade der von Mitarbeitern selbst erstellte Inhalt hat in der Pandemie einen Aufschwung erfahren. Aber auch die Akzeptanz von neuen Formaten, über die Content bereitgestellt wird, ist wesentlich gestiegen: "Playlists, Abonnements von Lerninhalten und Learning-Experience-Plattformen samt Lernempfehlungen werden künftig enorm wichtig sein. Da haben wir einen unwahrscheinlichen Sprung nach vorne gemacht", kommentiert Christian Wachter. Mit diesen Formaten erhalten die Mitarbeitenden zudem mehr Selbstverantwortung für ihre Weiterbildung, indem sie aus dem großen Angebot frei wählen können. "Der Lerner entscheidet künftig stärker, was er oder sie braucht", bestätigt Christina Schulte-Kutsch.

Gamification kann eine Ergänzung sein 

Fraglich ist noch, wie stark gamifizierte Angebote darin vorkommen werden. Während der Pandemie ist die Nachfrage dazu gestiegen, jedoch weniger in Deutschland, sondern im Ausland, wie IMC-Vorstand Wachter sagt: "Im asiatischen Bereich ist Gamification das Mega-Thema. Trainings müssen dort immer eine spielerische Form wie zum Beispiel ein Quizduell enthalten." So berichtet Wachter von einem deutschen Automobilhersteller, der sein Flaggschiff in die Händlerorganisation in Asien einführte und dafür auf vollständig gamifizierte Trainings setze: "Das war kein einfaches E-Learning mehr und kein Präsenztraining, das war ein hoch interaktives Quiz, in dem Händlerorganisationen gegenei­nander gespielt und sich auf diese Weise mit dem neuen Automobil auseinandergesetzt haben." Wichtig sei dabei, den erforderlichen Business Outcome nicht vor lauter Bespaßung zu vergessen. Nur mit der Analyse des Lerntransfers könne die Personal- und Organisationsentwicklung den Aufwand rechtfertigen.

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Zudem ist Game nicht gleich Game. Es gibt stark spielerische, punktebasierte Angebote, die das Lernen als Wettkampf inszenieren und es gibt gamifizierte Trainings, die auf dem Prinzip basieren, einen Expertenstatus zu erlangen – zum Beispiel in Form von Badges für die Hilfe für Kollegen. "Man muss hinterfragen, inwiefern die gamifizierten Angebote eher extrinsisch wirken, statt die entscheidende intrinsische Motivation zu stimulieren. Es gilt, genau zu überlegen, was man erreichen will", betont Hartmut Scholl. Seine Wette für die Zukunft: "Ich glaube, dass gamifizierte Elemente, die ähnlich einer Fitness-App die eigene Learning-Performance und Feedback zur Leistung in den Mittelpunkt stellen, funktionieren werden." In jedem Fall könnte Gamification bestimmte Lernziele unterstützen, aber ein Game-Changer sei es nicht. 

Umfassende Konzepte nötig

Denn in der Talkrunde wird deutlich, dass allein das Angebot an verschiedenen Lernformaten noch lange nicht die Transformation unterstützt, die alle Unternehmen – in unterschiedlichem Maß – betrifft. Personaler müssen die hybride Lernwelt so ausgestalten, dass ein tragfähiges Konzept entsteht, mit dem sie die Transformation begleiten und mit vorantreiben können. Das lässt sich gerade in der Automotive-Branche gut veranschaulichen: Auf dem Weg zur Elektromobilität werden viele Jobs wegfallen und gleichzeitig neue mit völlig veränderten Anforderungsprofilen entstehen. Die ZF Group steht mitten in dieser Transformation: "Wir wollen möglichst viele Menschen auf dem Weg der Transformation mitnehmen", so Schulte-Kutsch. "Dabei muss klar sein: Wir reden über wirklich stark veränderte Jobprofile. Zu erwarten, dass jemand sich dafür nebenbei mit ein paar Microlearnings in Eigenregie qualifiziert, ist nicht realistisch." Ausgearbeitete Programme mit klaren Einstiegsvoraussetzungen seien Bedingung für den Wandel. 

Für diese spezifischen Entwicklungsprogramme ist noch viel Vorarbeit zu leisten. Dorit Schalansky benennt die einzelnen Schritte: "Die Unternehmen müssen sich zuerst klar darüber werden, wie das Zielbild genau aussieht. Daraus lässt sich ableiten, welche Geschäftsmodelle nötig sind, um dieses Ziel zu erreichen. In der Konsequenz lassen sich dann Rollen und Anforderungen definieren." Die Aufgabe der Personalentwickler ist dann auch die Unterstützung der Führungskräfte in der Transformation, denn diese müssen das Zielbild auf ihre Teams herunterbrechen. Leitfragen sind dabei laut Schalansky: "Wie verändern sich die Märkte und die Anforderungen der Kunden? Was hat das für Konsequenzen für mein Team und welche neuen Rollen brauche ich in meinem Team? Welche Kompetenzen sind nötig, und können diese entwickelt werden oder muss man sie einkaufen?"

Für die Dienstleister der E-Learning-Branche geht mit der Transformation auch ein Rollenwandel einher. Sie müssen einerseits ihren Kunden weiterhin die Werkzeuge an die Hand geben, die sie im digitalen Lernen unterstützen. Andererseits müssen sie individuelle Betreuung bieten. "Passgenau aus Kundensicht die verschiedenen Rollen vom Lotsen über den Enabler und Ausputzer bis zum Supervisor einzunehmen, das ist zunehmend entscheidend", erläutert Scholl. Und die Produktentwicklung für den Kunden wird künftig noch stärker auf agilen Prinzipien fußen. Prototypen werden in iterativen Schleifen zur serienreifen Produktion gebracht. Damit hat Reflact bereits Erfahrungen gesammelt: "Früher startete ein Trainingsprojekt mit den Anforderungen, die dann lange ausgearbeitet und entwickelt wurden. Heute beginnen wir zum Beispiel mit drei Webinaren und verfolgen, wie die Lerngruppen reagieren. Die Erkenntnisse fließen in die weitere Entwicklung ein."

In jedem Fall wird es nicht "die eierlegende Wollmilchsau geben, die diesen Transformationsprozess automatisiert, bewilligt oder bewältigt", fasst Wachter zusammen. Wichtig sei, die zugrundeliegenden Informationen für das Zukunftsbild der Unternehmen zu erhalten – und dafür spiele künstliche Intelligenz eine zunehmend wichtige Rolle. Lösungen dafür sind bereits am Markt: "Sie scannen gezielt die Ausschreibungen nach neuen Jobprofilen. So entsteht ein Überblick zu den geforderten Profilen am Markt und über Ontologien erfolgt eine Übersetzung auf das eigene Unternehmen und die Mitarbeiterprofile", so Wachter. Dieser Überblick und die Transparenz sind auch nötig, um die Mitarbeiter für ihre persönliche Entwicklung zu motivieren. "Menschen müssen sehen und erkennen, wo die Reise hingeht, was das für sie und ihren Job jetzt und in Zukunft bedeutet", erklärt Christina Schulte-Kutsch und schließt mit den Worten. "Nur dann kann man auch die Begeisterung dafür wecken, die Lernangebote wahrzunehmen."


Dieser Artikel erschien erstmals in der Zeitschrift wirtschaft + weiterbildung 6/2021.

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