„Am Anfang steht das Verständnis über die Prozesse und erst dann schaue ich auf die Technologie.“


Prozesse überwiegen Technologie

Finance Transformation basiert auf Prozessen, Technologie, Skills und Haltung. In Teil 3 des Interviews bewerten und priorisieren CFO Dr. Thomas List und Consultant  Leonis Petschmann die Rolle von Technologie bei der Transformation und teilen Erfahrungen aus dem Change-Prozess von BHS Corrugated.

Technologie, Prozesse, Kultur und Schulung als Erfolgsfaktoren

Welche Rolle spielt die Technologie in der Finance Transformation und welche Technologien sind besonders relevant?

Petschmann: Technologie ist natürlich ein entscheidender Faktor, aber wichtig ist, dass diese nie einen Selbstzweck hat. Eine Technologie sollte nie des Technologie Willens eingeführt werden, sondern immer aufgrund eines konkreten Nutzens, der mittels der Technologie erfüllt werden soll. KI-Lösungen sind natürlich zu nennen, aber häufig können alleine durch Workflow-Systeme deutliche Verbesserungen erzielt werden. Wichtig ist zu verstehen, wo Schmerzpunkte in der Organisation sind und wie man diese mittels Technologie lösen kann.

List: Am Ende möchten und müssen alle digitalisieren und automatisieren, insbesondere auch im Finanzbereich. Da stößt man aber mit absoluter Sicherheit an Grenzen, wenn man versucht, silomäßig in Abteilungen zu optimieren. Die Automatisierung entwickelt dort ihre Stärke, wo sie dem Prozess folgt. Dort gibt es bereits viele sehr nützliche Lösungen, z.B. im Bereich der integrierten Unternehmensplanung oder Process Mining. Dies eröffnet völlig neue Möglichkeiten und setzt mit den Analysen und Optimierungen direkt in der Prozesslogik an. 

Verändert man üblicherweise zuerst die Prozesse und wählt dann die passende Technologie oder entscheidet man zuerst über die Technologie und passt danach die Prozesse an? 

List: Ganz klar Ersteres. Eine Technologie hat ja keinen Selbstzweck und wenn ich von einer Technologie ausgehe, beschäftige ich mich gar nicht damit, was eigentlich der optimale Prozess ist. Am Anfang sollte immer das Verständnis über die End-to-End Prozesse stehen und erst dann schaue ich, welche Technologie diesen Prozess am besten unterstützt. Ich glaube es macht wenig Sinn, mit einer angeblich vielversprechenden Technologie zu starten, in der Regel werden die Prozesse da nicht sofort dazu passen.

Petschmann: Dem stimme ich uneingeschränkt zu. Ich kenne keinen geglückten Fall, bei dem mit der Technologie begonnen wurde. Es gab zwar eine Zeit, in der vielfach dieses Vorgehen gewählt wurde: Da hatte jemand eine Technologie gesehen und war davon begeistert. Aber es zeigt sich doch immer wieder, dass jedes Unternehmen individuell ist und man sich zunächst Gedanken über eigene Prozesse machen muss. Weicht die eigene Realität beim Einführen der Technologie vom Standard ab, bedeutet es bei der Implementierung großen Frust, zeitliche Ausweitungen und höhere Kosten.

Es ist also notwendig, sich Klarheit über die eigenen Prozesse zu verschaffen und vor der Technologieeinführung zu überlegen, was bereits sofort verbessert werden kann und was erst in den nächsten Schritten folgt. Aber die Reihenfolge ist sehr klar und ich kenne auch keinen Weg, bei dem sie anders funktioniert hätte.

Wie kann ein Unternehmen den kulturellen Wandel fördern, der für eine erfolgreiche Finance Transformation notwendig ist und wie erfolgt eine Einbindung der Mitarbeitenden, damit die neuen Systeme und Prozesse auch wirklich funktionieren? 

List: Wie bei allen großen Veränderungsprozessen ist Kommunikation der wichtigste Faktor. Und dies nicht nur als Start- und Endpunkt, sondern auch nach den verschiedenen Schritten sind die Zwischenergebnisse klar aufzuzeigen und vorhandene Bedenken und Gedanken dazu aufzunehmen. Kulturellen Wandel kann man auch nur dann erreichen, wenn man das, was man kommuniziert, auch hält und Worte und Taten nicht auseinanderdriften. Aber es ist auch klar, dass es immer Menschen geben wird, die sich in der veränderten Struktur nicht wiederfinden.

Petschmann: Bei einer Transformation beginnt die Einbindung schon im allerersten Schritt, und zwar bei der Bildung des Projektteams. In einem transformativen Prozess auf bestehende Strukturen zu setzen, halte ich für keine gute Idee. Stattdessen gilt es, ein Transformationsteam mit Personen zu bilden, die die neuen Ideen verstehen (wollen) und auch nach Beendigung des Transformationsprojekts dafür einstehen. 
Natürlich ist aber auch hier die Kommunikation ausschlaggebend: Es ist vollkommen in Ordnung, zu Beginn nicht alles an jede:n zu kommunizieren. Das, was kommuniziert wird, sollte dann aber realistisch, ehrlich und umsetzbar sein. 

Ergebnisse und weiteres Vorgehen

Können Sie einige konkrete Erfolge nennen, die Sie durch die Finance Transformation erreicht haben?

List: Es gibt „weiche“ und „harte“ Erfolge. Die weichen Erfolge sind nicht unbedingt mit Zahlen messbar, aber man sieht, dass der Spirit ein anderer ist. Die Menschen trauen sich, Entscheidungen zu treffen und sie sind dann auch stolz auf die Ergebnisse, die sie erreichen. Wir machen zudem einmal im Jahr eine Befragung unserer Top Führungskräfte im gesamten Unternehmen. Dort lassen wir uns bewerten und haben ganz klar messbare Erfolge erzielt, da wir einfach viel besser bewertet wurden als zuvor. Wir stellen zudem fest, dass wir in Mitarbeiterbefragungen überdurchschnittlich gut abschneiden im Finanzbereich. Dies zeigte sich zum Beispiel in einer kürzlich unternehmensweit durchgeführten Umfrage zur Unternehmenskultur. Ob das nun alles der neuen Organisationsstruktur geschuldet ist, sei dahingestellt, aber das sind schon Themen, die man sehr konkret sehen kann.

Welche Erfahrungen haben Sie in den Transformationen gemacht, die Sie anderen Unternehmen als besonders wichtig oder lehrreich mitgeben würden?

Petschmann: Es ist wichtig, von vornherein klarzumachen, dass die Transformation stattfinden wird und auch nicht verhandelbar ist. Natürlich wird es Gestaltungsfreiheiten in der Ausgestaltung geben, jedoch steht dem eine klare Intention der Geschäftsführung oder der höchsten Führungsebene zuvor. Es wird also nicht kommuniziert „Wir probieren das jetzt mal aus und wenn es nicht funktioniert, dann lassen wir es“. Stattdessen muss die Relevanz und Dringlichkeit der Transformation bekräftigt werden.  

List: Der erste Punkt ist, das Thema direkt von Beginn an global zu denken. Wir sind einem iterativen Vorgehen gefolgt, dies erst in Deutschland im Headquarter umzusetzen und es erst danach international auszurollen. Dies bringt ein paar Herausforderungen mit sich, weil es immer auch regionale Unterschiede gibt, die es zu berücksichtigten gilt. Die Empfehlung wäre, die Transformation ab Beginn an global zu denken und alle mit einzubinden. Der Rest ergibt sich auf der Reise und irgendetwas verläuft immer anders als ursprünglich geplant.

Herr Dr. List, Herr Petschmann, herzlichen Dank für die Einblicke und Erkenntnisse zu Ihrem Transformationsprojekt.


Das Interview ist ein Vorabdruck aus Controller Magazin, Ausgabe Juli/August 2025.

Schlagworte zum Thema:  Prozessmanagement, Finance, Transformation