Bisher haben wir uns in diesem Abschnitt auf die Betrachtung der Steuerungsaufgaben in einem Start-Up über die Phasen seines Lebenszyklus hinweg beschränkt. Die Frage, wer sie durchführt und verantwortet, wurde nicht systematisch angesprochen. Es wurde nur sichtbar, dass der vorherrschende Koordinationsmechanismus "Selbstabstimmung" stark auf persönlicher Interaktion der handelnden Akteure beruht und dass in diesem Umfeld sich weder der Begriff des Controllings noch Aufgabenträger finden, die die Stellenbezeichnung Controller tragen. Schließlich wurde auch deutlich, dass keine klare Abgrenzung zwischen der Führung und Führungsunterstützung besteht. Diese Befunde werfen ein bezeichnendes Licht darauf, wie stark die in Deutschland üblichen Begrifflichkeiten "Controller" und "Controlling" durch den Führungskontext etablierter (großer) Unternehmen bestimmt ist. Wie an anderer Stelle ausführlich ausgeführt,[1] besteht für beide ein starker Bezug auf die Kontextbedingungen einer vorherrschenden Koordination durch Pläne mit dem dafür kennzeichnenden Set an formalen Management Control Systems. Darauf beziehen sich sowohl die Aufgaben von Controllern als auch ihr Zusammenspiel mit dem Management (Controlling als Ergebnis einer Interaktion zwischen Controllern und Managern, wie es Deyhle schon früh formuliert hat). Dieser Kontext hat auch Eingang in die einschlägigen Lehrbücher gefunden.

Versteht man Controlling als Rationalitätssicherung der Führung, so kann man die Funktion Controlling allerdings von dem Bezug auf nur einen vorherrschenden Koordinationsmechanismus lösen und bekommt damit eine belastbare Basis, um den besonderen Bedingungen im Kontext von Start-Ups gerecht zu werden. Im Folgenden seien also die konkreten Ausprägungen einer Rationalitätssicherung der Führung des Start-Ups in den Phasen seines Lebenszyklus beleuchtet und die Frage nach ihrer Trägerschaft beantwortet.

[1] Weber, 2018; Schäffer/Weber, 2019.

3.5.1 Controlling als Rationalitätssicherung der Führung in der frühen Phase eines Start-Ups

Die Aktivitäten eines Start-Ups beginnen in der Phase seiner Gründung. Vor dem eigentlichen Gründungsakt geht es insbesondere um die Aufstellung und Hinterfragung eines Business Plans, der das Geschäftsmodell inklusive der finanziellen Perspektive darstellt. Seine Rationalität ist stark davon abhängig, wie erfolgversprechend die Gründungsidee ist und wie gut das Gründerteam es vermag, diese nachvollziehbar und plausibel darzustellen sowie für sie zu motivieren. Dies wiederum hängt davon ab, wie es den Gründern gelingt, im Entstehungsprozess des Business Plans notwendige unterschiedliche Perspektiven sinnvoll miteinander zu verbinden und damit einen austarierten, nicht kognitiv verzerrten Plan zu erstellen.

Die Rationalitätssicherung für diesen Prozess muss wesentlich im Team selbst erfolgen, indem dieses sich der möglichen Biases und sonstigen Beschränkungen bewusst ist. Hierzu können die Gründer auch neutrale Dritte hinzuziehen. Einen wichtigen Teil der Rationalitätssicherung übernehmen darüber hinaus die Investoren, die nicht nur den Business Plan kritisch hinterfragen, sondern sich auch ein Bild über die Gründer und deren Interaktion untereinander machen. Ein zugesagtes Investment ist dann ein wichtiges Zeichen für die Qualität des Business Plans und – häufig deutlich wichtiger – die Qualität des Teams.

Nach der Gründung steht die Entwicklung der Geschäftsidee im Fokus. Der Markteintritt ist zu vollziehen und anschließend eine Stabilität der geschäftlichen Entwicklung zu erreichen. Beide Phasen sind durch eine hohe Unsicherheit gekennzeichnet, was eine stark durch Versuch und Irrtum gekennzeichnete, hochgradig agile Vorgehensweise erfordert ("Fail fast!"). Die finanzielle Steuerung ist nicht auf die Kontrolle der Angaben im Businessplan konzentriert, sondern hat seinen Fokus auf der Liquiditätskontrolle. Der Engpass der Führung liegt in der Tragfähigkeit der Idee und ihrer Anpassung an die gemachten Erfahrungen.

Die Rationalitätssicherung erfolgt im Wesentlichen wiederum durch das Gründerteam selbst. Wichtige Eigenschaften hierfür sind ein hinreichendes Maß an Frustrationstoleranz und die Fähigkeit, die Begeisterung für die Geschäftsidee mit einer weitgehenden Kritikfähigkeit zu verbinden. Die Gruppe steht unter Erfolgsdruck und häufiger auch unter Zeitdruck, insbesondere dann, wenn die Geschäftsidee nicht schwierig zu kopieren ist. Hoher Druck begünstigt kognitive Verzerrungen, in Gruppen z. B. die Gefahr eines Group Think. Diese zu kennen, ist eine notwendige, aber leider nicht hinreichende Bedingung dafür, ihr nicht zu erliegen. Will ein Team der Notwendigkeit, beim Auftreten von kognitiven Verzerrungen Gegenmaßnahmen zu ergreifen, Rechnung tragen, kann es z. B. einen der Gruppe standardmäßig mit dem Thema betrauen oder die Aufgabe im Team regelmäßig wechseln lassen.

(Quasi-)Externe Rationalitätssicherung erfolgt – wie in der Gründungsphase – durch die Investoren, die die Entwicklung des Start-Ups eng begleiten. Eine noch deutlich rigidere, von außen kommende Überprüfung der Rationalität der Geschäfts...

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