Psychologie: Wie Verhalten und Arbeitsschutz zusammenpassen

Der Arbeitsschutz hat die Arbeit sicherer und gesünder gemacht. Allerdings stellt menschliches Verhalten weiterhin ein Risiko dar. Wie lässt sich das in Richtung Sicherheit beeinflussen?

Experten gehen davon aus, dass 76 – 96 % aller Unfälle durch menschliches Verhalten verursacht werden. Dies als menschliches Versagen abzutun, ist jedoch zu kurz gegriffen. Denn hält sich ein Mitarbeiter nicht an die Regeln, hat er dafür meist einen „guten Grund“. Dieser kann in organisatorischen Mängeln stecken oder in der Person selbst. Bei einer Unfallanalyse ist es deshalb wichtig zu ermitteln, warum sich die Unfallbeteiligten so verhalten haben, wie sie sich verhalten haben.

Was das Verhalten beeinflusst

Jeder verhält sich anders. Der eine legt viel Wert auf Sicherheit und verhält sich vorsichtig. Ein anderer ist risikofreudig und sein Verhalten ist öfter sicherheitswidrig. Dazwischen finden sich die verschiedensten Ausprägungen von Sicherheitsverhalten. Entscheidend sind außerdem die Faktoren Wissen, Können, Wollen, Müssen und/oder Dürfen. Auch Ablenkungen z. B. durch ein Smartphone, mangelnde Aufmerksamkeit etwa nach 10 Stunden Arbeit oder gesundheitliche Beeinträchtigungen wegen Krankheit, Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenkonsum können das Verhalten eines Menschen beeinflussen.

Verhalten lässt sich durch Vorschriften normieren

Für den Arbeitsschutz werden gerne Regeln und Vorschriften formuliert. Damit soll menschliches Verhalten normiert werden. Doch immer wieder setzen sich Mitarbeiter über Vorschriften hinweg. Warum aber hält sich ein Mitarbeiter nicht daran?

Wenn Vorschriften auf Unverständnis treffen

Zu einem sicherheitswidrigen Verhalten kann eine Vorschrift verleiten, die nicht mehr zeitgemäß oder passend ist. Warum soll man z. B. um 24 Uhr nachts vor einer Schule 30 km/h fahren, während ansonsten überall Tempo 50 gilt? Nur weil es auf einem Schild steht? Diese Vorschrift wird für die meisten Verkehrsteilnehmer unverständlich sein. Hier würde es Sinn machen, die Tempobegrenzung zeitlich zu limitieren.

Wenn Vorschriften risikofreudiges Verhalten fördern

Es kann aber auch sein, dass eine Vorschrift Interessen, Erwartungen und Ansprüchen widerspricht. Muss z. B. für eine Fehlerbehebung eine Maschine gestoppt werden, können Produktionszahlen nicht gehalten werden. Der Maschinenbediener steckt also in der Zwickmühle: Stoppt er die Maschine, kann er gefahrlos die Reparatur vornehmen, erreicht aber seine Stückzahl nicht. Lässt er die Maschine weiterlaufen, erreicht er sein Arbeitsergebnis, allerdings riskiert er einen Arbeitsunfall. In so einem Fall darf nicht die Sicherheitsvorschrift verändert werden, sondern bei den Kennzahlen müssen Störungszeiten mit einkalkuliert werden. Außerdem muss allen klar vermittelt werden: Störungen haben Vorrang!

Statt Bevormundung besser Beteiligung

Eine weitere menschliche Eigenheit ist es, bei Bevormundung oder eingeschränkten Entscheidungsmöglichkeiten Widerstand zu leisten. Hier kann es hilfreich sein, die Mitarbeiter bei der Formulierung einer Vorschrift miteinzubeziehen.

Wie sicheres Verhalten zur Gewohnheit wird

Sicheres Verhalten ist also nur möglich, wenn ein Mitarbeiter weiß und nachvollziehen kann, warum er etwas tun oder nicht tun soll. Erlebt der Mitarbeiter sein Sicherheitsverhalten zudem als Vorteil, z. B. wenn er bei einem Beinaheunfall keine Blessuren davon trägt, weil er im Fahrzeug angeschnallt war oder auf der Baustelle einen Helm getragen hat, wird das sein Verhalten verstärken und zur Gewohnheit werden lassen.

Welche Rolle die Akzeptanz und Anerkennung der Kollegen spielt

Doch es gibt noch einen weiteren entscheidenden Faktor, der das Verhalten beeinflusst: die Akzeptanz und Anerkennung der Kollegen. Reagieren sie abfällig oder machen sie sich lustig über das sicherheitsgerechte Verhalten eines Kollegen, wird es ihm schwer fallen, seine Gewohnheiten beizubehalten. Sagen sie z. B., dass er mit Ohrschützern lächerlich aussieht, wird er diese bald nicht mehr tragen.

Wie aus sicherem Verhalten sichere Gewohnheit wird

Wie sicheres Verhalten zur Gewohnheit wird, hat der Arbeitspsychologe Prof. Friedhelm Burkardt in Form einer Verhaltenskette beschrieben.

Der Mitarbeiter erlebt, dass sein sicheres Verhalten dazu führt, dass ...

  • kein Unfall passiert, er Lob erfährt und/oder das Team sicher arbeiten kann.
  • Der Mitarbeiter nimmt also wahr, dass sicheres Verhalten Vorteile hat.
  • Daraufhin verhält sich weiterhin sicher.
  • Wiederum erlebt er Vorteile durch sein Sicherheitsverhalten.
  • Dadurch wird sein Verhalten erneut positiv verstärkt.
  • So erlebt er auch zukünftig Vorteile.
  • Mit der Zeit wird das sichere Verhalten zur Gewohnheit.

Wie aus sicherheitswidrigem Verhalten sichere Gewohnheit wird

Sicherheitswidriges Verhalten ist eine schlechte Gewohnheit. Und Gewohnheiten lassen sich nicht leicht ändern. Um die schlechte Gewohnheit zu durchbrechen, braucht es oft ein drastisches Ereignis wie z. B. einen (Beinahe-)Unfall. Wenn Nachteile oder Misserfolge erlebbar geworden sind und nicht nur theoretisch als Risiken oder Gefahren „im Raum schweben“, kann das der Anstoß sein, das eigene Verhalten zu ändern. Dann ist es wichtig, den Mitarbeiter bei seinen ersten Versuchen sich sicherheitsgerecht zu verhalten zu unterstützen, damit sich daraus eine sichere Gewohnheit entwickeln kann.

Sicheres Verhalten lässt sich mit verschiedenen Maßnahmen fördern

  • Weisen Sie mit Zeichen, Schildern und Piktogrammen auf arbeitssicheres Verhalten hin.
  • Vereinbaren Sie klar definierte, realistische Ziele, an denen sich die Mitarbeiter orientieren können.
  • Beteiligen Sie die Mitarbeiter am Lösungsprozess zu sicherheitsrelevanten Fragen.
  • Äußern Sie sich wertschätzend und zeigen Sie, dass Sie sicheres Verhalten wahrgenommen haben und anerkennen.
  • Verknüpfen Sie sicheres Arbeitsverhalten mit monetären Anreizen, attraktiven Aufgaben oder Aufstiegschancen.
  • Unterbinden Sie sicherheitswidriges Verhalten umgehend. Ein Wegsehen oder gar Dulden wird als Erlaubnis eines Verhaltens wahrgenommen.
  • Sprechen Sie nach einem sicherheitswidrigen Verhalten im 4-Augen-Gespräch auch an, welche Vorteile sich der Mitarbeiter von seinem Verhalten erhofft hat.
  • Sorgen Sie bei Sicherheitsschulungen für einen Aha-Effekt. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Melone, die einmal mit und einmal ohne Helm fallen gelassen wird.
  • Erarbeiten Sie im Team Vor- und Nachteile von Sicherheitsmaßnahmen und lassen Sie eine Kosten-Nutzen-Rechnung erstellen. Die Mitarbeiter müssen selbst erkennen, dass sich ein Risiko nicht lohnt. Eventuell stellt sich aber auch heraus, dass eine bestehende Vorschrift geändert werden muss.

Psychologie der Arbeitssicherheit – Warum verhalten wir uns so, wie wir uns verhalten?

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