Lärmarbeitsplatz trotz Hörgerät

Die Hörluchs Gehörschutzsysteme GmbH aus Hersbruck wurde für ein neuartiges Hörsystem mit dem Arbeitsschutzpreis 2013 ausgezeichnet. Das Hörgerät dämmt Arbeitslärm und lässt gleichzeitig Stimmen und Warnsignale durch. Damit können Menschen mit Hörminderung an einem Lärmarbeitsplatz tätig sein.

Die Haufe-Arbeitsschutz-Redaktion sprach mit Thomas Meyer, Geschäftsleiter, über die Entwicklung und die Einsatzmöglichkeiten des Hörgerätes.

Herr Meyer, wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Hörgerät ICP zu entwickeln?

2007 kam eine Betriebsärztin auf mich zu, die einen Industriemeister betreute, der über die Berufsjahre hinweg sein Gehör geschädigt hatte. Seine verantwortliche Position aufzugeben und auf einen anderen Arbeitsplatz zu wechseln hätte für ihn einen sozialen Einschnitt bedeutet.

Er hatte aber folgendes Dilemma: Um ausreichend hören zu können, musste er ein Hörgerät tragen. Dies hätte jedoch dazu beigetragen, dass sein Gehör durch den Lärm am Arbeitsplatz noch weiter geschädigt worden wäre. Außerdem hätte er an diesem Arbeitsplatz Gehörschutz tragen müssen. Doch dieser hätte sein Hörvermögen noch mehr eingeschränkt. Also was tun?

Bei der Berufsgenossenschaft war die Lücke bzw. der Bedarf nach einer Kombination aus Hörgerät und Gehörschutz schon seit 2002 bekannt. Doch kein Industrieunternehmen war bereit, solch ein Gerät zu entwickeln. Der Bedarf an Hörgeräten für Lärmarbeitsplätze war ihnen zu begrenzt, der Entwicklungsaufwand zu groß und die Gesetzgebung nicht vorhanden.

Und warum haben Sie diese Herausforderung angenommen?

(Lacht) Ich wusste nicht, was da alles auf mich zukommt. Mein erster Impuls war, einem Menschen zu helfen. Dann war da noch das Angebot der BG, die Idee zu unterstützen. Da habe ich „angebissen“.

Die Entwicklung dauerte knapp 4 Jahre. 2011 gab es die erste Zulassung. Und die gesetzliche Voraussetzung war in der Zwischenzeit geschaffen worden. Daran war ich auch beteiligt.

Wie groß ist die Nachfrage nach einem Hörgerät mit PSA-Funktion?

Rund 14 Mio. Menschen in Deutschland haben eine Hörminderung. Viele davon stehen noch im Berufsleben. Rund 5.000 – 6.000 jährlich bekommen alleine von der Berufsgenossenschaft aufgrund einer anerkannten Lärmschwerhörigkeit Hörgeräte verschrieben, etwa 3.000 davon arbeiten weiterhin an einem Lärmarbeitsplatz, obwohl die üblichen Hörgeräte nur privat und nicht am Lärmarbeitsplatz verwendet werden dürfen.

Wir versorgen derzeit nur 100 – 120 Personen im Jahr mit unserem Hörsystem ICP, dass für Lärmarbeitsplätze zugelassen ist. Dass der Bedarf so deutlich über der Nachfrage liegt, hängt damit zusammen, dass bisher erst wenige Sachbearbeiter bei den Kostenträgern – ob Rentenversicherung, Berufsgenossenschaft oder Arbeitsagentur – etwas von unserem Hörgerät wissen. So bekommen die Betroffenen fast immer ein normales Hörgerät verschrieben, das für den Lärmarbeitsplatz ungeeignet ist.

Welche hörgeschädigten Personen können das Hörgerät nutzen?

Alle Menschen mit Hörschädigung, bei denen der Weg zur Schnecke im Innenohr intakt ist – und das ist bei den meisten Hörgeschädigten der Fall –  können das Hörsystem ICP nutzen. Dabei ist der Grad der Schädigung zu berücksichtigen. Deshalb gibt es unser Hörgerät auch in 5 Ausführungen.

Gibt es noch andere Einsatzbereiche für das Hörgerät neben dem Lärmarbeitsplatz?

Bei unseren Kunden stellen wir fest, dass diese immer seltener umstecken. Das Gerät funktioniert im privaten Zweiergespräch ebenso gut wie im privaten Lärmbereich, wenn es etwa bei einer Hochzeit oder am Stammtisch laut zugeht. Deshalb sind wir dabei, eine optisch weniger auffällige Dämm-Otoplastik zu entwickeln, die der Kunde voll nutzen kann. Ein Wechsel würde dann wegfallen. Für uns lässt sich damit ein neuer Markt erschließen, da wir eine größere Zielgruppe erreichen können.

Über Bluetooth lässt sich das Hörgerät – wie die Freisprechanlage im Auto – kabellos mit Telefon und Handy, aber auch mit dem Fernseher oder einer Musikanlage verbinden.

Ihr Produkt trägt zur Inklusion bei, indem Hörgeschädigte an Arbeitsplätzen tätig sein können, die ihnen sonst verwehrt blieben.

Richtig. Im Sozialgesetzbuch sind Inklusion und arbeitsplatzerhaltende Maßnahmen klar geregelt. Mit dem Hörgerät ICP ist es uns gelungen, dass Hörgeschädigte, unterstützt durch Berufsgenossenschaft, Rentenversicherung oder Arbeitsagentur, weiter an einem Lärmarbeitsplatz beschäftigt werden können. So lassen sich auch Kosten sparen.

Das Gerät ist zu 100 % ein Medizinprodukt und zugleich eine 100-%ige Persönliche Schutzausrüstung (PSA). Es kann am Arbeitsplatz und privat genutzt werden. Über die Programmwahl kann das spezielle Programm PSA zugeschaltet werden. Um das Ohr am Lärmarbeitsplatz zu schützen, muss das Ohr zusätzlich verschlossen werden. Dieses Umstecken auf die Dämm-Otoplastik dauert allerdings nur 3 – 4 Sekunden.

Welche Rolle spielt Inklusion in Ihrem eigenen Unternehmen?

Inklusion sehen wir als ganzheitliches Thema. Es ist wichtig, dass sich jeder am Arbeitsplatz wohl fühlt und fit bleibt und dass jeder seine Stärken einbringen kann. Das lässt sich nicht nur über die Gehaltsschiene regeln. Bei uns gibt es z. B. Firmenveranstaltungen, bei denen wir zusammen Spaß haben.

Unser Unternehmen ist schnell gewachsen. Da muss man aufpassen, wie es den Mitarbeitern mit der Veränderung geht. Unser Team tauscht sich täglich 10 – 15 Minuten aus. So bleiben wir achtsam im Umgang miteinander. Und wenn man erfährt, dass es jemandem zu viel wird, dann nehme ich mir noch mehr Zeit, um gemeinsam nach einer Lösung zu suchen.

Heute haben wir 19 Mitarbeiter. Da sind sowohl Mütter dabei, die nur 20 Stunden arbeiten wollen, als auch 2 Mitarbeiter mit einem Behinderungsgrad von 50 bzw. 100 %. Der eine davon ist Hörgeräteträger und arbeitet im Labor. Er ist für uns Ansporn als auch Berater.

Herr Meyer, vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Bettina Brucker M. A., Freie Journalistin und Autorin.