5.1 Rechtliche Aspekte der Arbeitsschutzorganisation

Im Arbeitsschutz gilt das S-T-O-P-Prinzip (Substitution – Technische Maßnahme – Organisatorische Maßnahme – Personenbezogene Maßnahme), das auf § 4 Nr. 2 ArbSchG basiert. Wie Exoskelette in das Schutzschema des S-T-O-P-Prinzips einzuordnen sind, ist aufgrund der oben beschriebenen Rechtslage noch unklar. Offen ist insbesondere, ob es sich um eine technische oder eine personenbezogene Maßnahme handelt.

Dass Beschäftigte Exoskelette direkt am Körper tragen, spricht nach Meinung vieler Fachleute zunächst einmal für eine Einordnung als personenbezogene Schutzausrüstung, denn Maschine und Mensch wirken direkt zusammen und das Gerät muss an seinen Träger persönlich angepasst werden. Das bedeutet gleichzeitig: Wenn ein Arbeitgeber Exoskelette in seinem Betrieb anwendet, dann muss er zunächst erwägen, ob der betreffende Arbeitsprozess nicht vollständig substituiert werden kann oder aber technische und organisatorische Maßnahmen der Einführung eines Exoskeletts vorgezogen werden können. Grundsätzlich aber gilt: Ein Exoskelett darf nicht als Maßnahme verwendet werden, um eine bereits festgestellte Gefährdung so zu reduzieren oder zu beseitigen, dass dadurch die Tätigkeit erst ermöglicht wird – es sei denn, es handelt sich um eine Persönliche Schutzausrüstung.

5.2 Anwendungsbereiche und Arbeitsorganisation

Der Einsatz von Exoskeletten in der industriellen Produktion soll dazu beitragen, die physische Belastung der Beschäftigten beim Heben und Tragen von schweren Lasten und gebeugten Zwangshaltungen deutlich zu reduzieren. Aber auch einseitig belastende Tätigkeiten wie z. B. langes Stehen sollen durch Exoskelette deutlich erleichtert werden. Mithilfe von Exoskeletten können selbst körperlich eingeschränkte Mitarbeiter in Tätigkeitsbereichen eingesetzt werden, für die sie vorher nicht einsatzfähig waren.

Die großen Hoffnungen für den Arbeitsschutz haben sich aber bislang für viele Tätigkeitsbereiche nicht erfüllt. Insbesondere bei stationären Arbeitsprozessen und/oder Tätigkeiten im Rahmen der industriellen Serienproduktion sollten Exoskelette nach Einschätzung vieler Experten nicht angewendet werden. Unter ergonomischen Gesichtspunkten sind der Einsatz von Hub- und Schwenkeinrichtungen sowie Zugentlastungen Exoskeletten vorzuziehen – auch wenn Werkstückträger, Gabelstapler, Kräne oder Scherenhubtische um ein Vielfaches teurer sind als die heute gängigen Exoskelett-Modelle.

Anders verhält es sich bei nicht-stationären Arbeitsprozessen, wie sie z. B. in der Logistik charakteristisch sind. Beim Transport und Heben schwerer Lasten können sie die Beschäftigten sinnvoll und effektiv unterstützen. In allen Anwendungsbereichen, stationären oder nicht-stationären, ist aber eine Gefährdungsbeurteilung unverzichtbar.

Trotz dieser o. g. positiven Effekte sollte der Einsatz von Exoskeletten sorgfältig vorbereitet und geplant werden.

5.3 Wirksamkeit

In der Forschung wird aktuell diskutiert, ob Exoskelette bei Arbeitsprozessen in der Industrie tatsächlich den Körper unterstützen oder lediglich die Lasten verteilen, d. h., ob die Erhöhung der körperlichen Belastung infolge der Anwendung von Exoskeletten an einer anderen Körperstelle zu einem Schaden führen kann.

Obwohl in zahlreichen kleineren Laborstudien bereits einzelne Wirkeffekte von Exoskeletten beschrieben wurden, ist der tatsächliche Nutzen in der betrieblichen Praxis weitgehend unerforscht. Bei den bisherigen Laborstudien konnten die in der betrieblichen Praxis vorkommenden Tätigkeiten in Bezug auf Ausprägung und Dauer nicht 1:1 abgebildet werden, daher ist ihr Wert für die Betriebspraxis fraglich.

Eine umfangreiche Labor-Studie des Instituts für Arbeitsschutz (IFA) der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) in den Jahren 2017/18 konnte allerdings zum ersten Mal im Labor Haltungen testen, wie sie in der betrieblichen Praxis tatsächlich vorkommen, und daher erstmalig Antworten darauf geben, inwiefern durch Exoskelette bestimmte Tätigkeiten gefördert oder beeinträchtigt werden. Mittels biomechanischer Bewegungsanalysen der wichtigsten Tätigkeiten und Haltungen wurden im Rahmen dieser Studie die Nutzeffekte über den Verlauf einer gesamten Arbeitsschicht quantifiziert. Erste Ergebnisse zeigten, dass Exoskelette erst bei größeren Beugewinkeln deutlich außerhalb der Neutralstellung einen signifikanten Nutzeffekt liefern. Die Wirkung ist sowohl bei passiven als bei aktiven Exoskeletten nur unterstützend, d. h., dass vorrangig das Gewichtskraftmoment des unterstützten Körpersegments (teil-)kompensiert wird. Zusätzliche Lasten müssen weiterhin vom Muskel-Skelett-System getragen werden.

Unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin wurde 2020 die AWMF-Leitlinie "Einsatz von Exoskeletten im beruflichen Kontext zur Primär-, Sekundär-, und Tertiärprävention von arbeitsassoziierten muskuloskelettalen Beschwerden" herausgegeben. Die beteiligten Experten werteten dabei alle wissenschaftlichen Studien weltweit zum Thema Exoskelette aus. Die analysierten Studien berichteten zwar häufig – jedoch nicht für jede Tätigkei...

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