Sustainability Due Diligence

Um die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) zielgerichtet und pragmatisch umsetzen zu können, benötigen Unternehmen ein vertieftes Verständnis von Sinn, Zweck und Ziel der Sustainability Due Diligence (SDD). Dieser Beitrag zeigt, wie eine holistische Umsetzung sowohl gesetzliche Anforderungen erfüllt als auch Mehrwert für Gesellschaft und Unternehmen schafft.

Sustainability Due Diligence im Kontext des EU Green Deals

Die Zeit war knapp und die Chance eines Beschlusses verschwindend gering, doch mit der Verabschiedung eines Kompromisses zur Corporate Sustainability Due Diligence (CSDDD) am 15. März 2024 ist der Europäischen Union ein „historischer Durchbruch“ gelungen. Die Direktive stellt einen wichtigen Baustein im EU Green Deal dar, indem sie bestimmte große Unternehmen dazu verpflichtet, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten zu implementieren und dadurch zu einer nachhaltigeren Wirtschaft beizutragen.

Die grundlegende Idee dieser Sustainability Due Diligence (SDD)* findet Anwendung in einer Reihe weiterer Gesetze auf nationaler sowie europäischer Ebene: So müssen betroffene Unternehmen anhand der Corporate Sustainbility Reporting Directive (CSRD) über ihre SDD-Prozesse berichten. Per EU-Taxonomie können unternehmerische Aktivitäten zudem nur dann als nachhaltig klassifiziert werden, wenn sie einen sogenannten Mindestschutz erfüllen, der den Nachweis von SDD-Prozessen voraussetzt. Im Rahmen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) müssen Unternehmen in Deutschland bereits seit Anfang 2023 umfängliche Sorgfaltspflichten erfüllen.

SDD ist somit das Schlagwort der Stunde – und stellt Unternehmen gleichzeitig vor die Herausforderung, eine Vielzahl gesetzlicher gleichzeitig Vorgaben umzusetzen.

Pragmatismus mit Prinzipien

Blicken wir zunächst auf den Ursprung und das Wesen der SDD: Mit der Frage, wie Unternehmen zu einer nachhaltigen Wirtschaft beitragen können, wurde 2005 Harvard-Professor John G. Ruggie in der Rolle als UN-Sonderbeauftragter für Unternehmen und Menschenrechte betraut. SDD ist eine der Säulen der daraus entstandenen Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen und spiegelt Ruggies grundlegenden Ansatz des Pragmatismus mit Prinzipien wider: „eine unerschütterliche Verpflichtung zu dem Grundsatz, die Förderung und den Schutz der Menschenrechte im Zusammenhang mit der Wirtschaft zu stärken, gepaart mit einer pragmatischen Verbundenheit zu dem, was am besten funktioniert, um dort Veränderungen herbeizuführen, wo sie am wichtigsten sind – im täglichen Leben der Menschen.“ (Quelle: OHCHR, Interim report of the Special Representative of the Secretary-General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, 2006; Aus dem englischen Original ins Deutsche übersetzt.)

In diesem Sinne ist der Hauptzweck der SDD die Verhinderung negativer Auswirkungen auf Menschen (Rechteinhaber:innen) und Umwelt. Dabei geht es zunächst nicht um Risiken für Unternehmen. Gleichzeitig sollen Unternehmen mit dem Due-Diligence-Konzept mit einer ihnen bereits bekannten Systematik ausgestattet werden, die es ihnen erleichtert, diese neue Form der Verantwortung in die bestehenden Prozesse und das Unternehmen zu integrieren.

SDD als Prozess beinhaltet die Identifizierung, Verhinderung und Verminderung (potenzieller) negativer Auswirkungen auf Menschen und Umwelt, die im Zusammenhang mit den unternehmerischen Geschäftsaktivitäten entlang der Lieferkette stehen. Damit geht die SDD weit über reine Reporting-Anforderungen hinaus. Der zugrundeliegende risikobasierte und wissensgenerierende Ansatz soll Unternehmen befähigen, fundierte Priorisierungen und Entscheidungen zu treffen, die den gezielten Einsatz von Kapazitäten dort ermöglichen, wo sie die größten Auswirkungen auf Rechteinhaber:innen erzielen. Während die einzelnen Bausteine der SDD zwar durch gesetzliche Vorgaben und internationale Standards relativ klar definiert sind, können auf diese Weise unternehmensindividuelle Gegebenheiten berücksichtigt werden.

Das klassische und Unternehmen bereits bekannte Konzept der Due Diligence, welches insbesondere Risiken für Unternehmen in den Blick nimmt, wird damit erweitert und erhält einen neuen Fokus:

  • Steuerung von Auswirkungen auf Menschen und Umwelt statt Unternehmensrisiken
  • iterativer, fortwährender Lernprozess statt statischer Bestandsaufnahme
  • Engagement für und mit Rechteinhaber:innen, Zusammenarbeit und Kooperation mit Stakeholder:innen statt Top-down-Ansätzen

Aus dem so gewonnenen Verständnis lassen sich Leitlinien für die Umsetzung der SDD für Unternehmen ableiten, die wir im Folgenden näher betrachten werden.

Leitlinien zur pragmatischen und prinzipientreuen Umsetzung von Sustainability Due Diligence

1. Den Perspektivwechsel vollziehen, aber vorhandene Strukturen nutzen

Der durch die SDD geforderte Perspektivwechsel hin zu den negativen Auswirkungen auf Menschen und Umwelt ist die notwendige Basis sowohl für die Risikoanalyse gemäß CSDDD und LkSG als auch für die CSRD-konforme Materialitätsanalyse. Hierfür sollten Unternehmen verantwortliche Personen durch Zeit und Expertise zur Durchführung befähigen, denn die Praxis zeigt: Diese diametral entgegengesetzte Form der bekannten Risikobetrachtung will erprobt und gelernt sein. Der Perspektivwechsel muss außerdem vom Management getragen werden, da die Verantwortung für die SDD letztlich dem Unternehmensvorstand obliegt. Gleichzeitig kann nur so sichergestellt werden, dass die notwendigen Ressourcen bereitgestellt werden und die SDD als Prinzip Teil des Selbstverständnisses sowie der Kultur des Unternehmens wird.

Statt gänzlich neue Parallelprozesse aufzubauen, sollten Unternehmen bestehende Systeme wie Risikomanagement- und Governance-Prozesse nutzen und Ankerpunkte identifizieren, um den Einstieg zu erleichtern und gleichzeitig vorhandene Strukturen längerfristig umzugestalten.

2.  Einen risikobasierten Ansatz wählen

Die Risikoanalyse ist das Herzstück des Sorgfaltspflichtenprozesses und unterstützt die Bestimmung wesentlicher Auswirkungen im Rahmen der Wesentlichkeitsanalyse nach CSRD. Sie ermöglicht es Unternehmen, ihre (potenziellen) Auswirkungen nicht nur zu identifizieren, sondern auch zu priorisieren. Auf diese Weise können Unternehmen sowohl ihre eigene Risikodisposition nachvollziehen als auch Maßnahmen und Kapazitäten gezielt dort einsetzen, wo die schwerwiegendsten Auswirkungen stattfinden. Insbesondere durch den erweiterten Anwendungsbereich der CSDDD und der CSRD, die die gesamte vorgelagerte Wertschöpfungskette in den Blick nehmen, ist eine solche strukturierte und begründete Fokussierung von höchster Relevanz. Daher ist ein sogenanntes Value Chain Mapping ein wichtiger Startpunkt für diese erweiterte Analyse. Es ermöglicht ein besseres Verständnis der eigenen Wertschöpfungskette ebenso wie eine erste Identifizierung von Risiko-Hotspots, die im nächsten Schritt genauer betrachtet werden können.

3. SDD als lernenden Prozess gestalten

Inhaltlich sollten Verantwortliche kontinuierlich ihr Wissen zu relevanten Menschenrechten und Umweltpflichten sowie kontextuellen und bedingenden Risikofaktoren und Grundursachen ausbauen. Dadurch können sie sowohl (potenzielle) Auswirkungen als auch geeignete Präventions- oder Abhilfemaßnahmen besser verstehen. Unternehmen können dabei auf eine Bandbreite externer Expertise zugreifen, indem sie sich mit Rechteinhaber:innen auseinandersetzen oder öffentlich zugängliche Ressourcen nutzen. Hier gilt: Je besser ein Unternehmen die eigenen Auswirkungen versteht, desto gezielter kann es sich relevantes Wissen aneignen – die Risikoanalyse spielt dabei eine zentrale Rolle.

Darüber hinaus sollten Unternehmen die Wirksamkeit der SDD regelmäßig überprüfen. Dazu gehört, bereits bei der Entwicklung von Maßnahmen und Strukturen zu hinterfragen, ob und wie diese zur Verhinderung oder Minderung (potenzieller) negativer Auswirkungen beitragen können, ebenso wie Verantwortliche für die Überprüfung zu benennen. In dem Kontext ist zu beachten, dass die Implementierung und Ausführung der SDD nicht linear zu verstehen ist. Vielmehr handelt es sich um einen iterativen Prozess, in dem die unterschiedlichen Bausteine dauerhaft miteinander agieren und Veränderungen beeinflussen.

4. Rechteinhaber:innen und Stakeholder:innen einbinden

Das Ziel der SDD ist es, Wirkungen für die Rechteinhaber:innen zu erzielen. Daher ist deren Einbindung ein wesentlicher Bestandteil einer effektiven SDD. Im Rahmen der Risikoanalyse sollten Unternehmen, die von ihren Geschäftsaktivitäten potenziell betroffenen Personengruppen entlang ihrer Wertschöpfungskette identifizieren und im Rahmen der Risikobewertung besonders vulnerable Personengruppen priorisieren. Risiken werden dabei idealerweise von Anfang an aus der Perspektive der Rechteinhaber:innen betrachtet und analysiert. Deren Interessen sollten auch bei der Entwicklung und Evaluation von Präventions- oder Abhilfemaßnahmen oder bei der Ausgestaltung von Beschwerdeverfahren berücksichtigt werden. Nur so kann der eingangs erwähnte Perspektivenwechsel tatsächlich gelingen.

Berichte von NGOs und Expert:innen können auch hier ein Startpunkt sein, doch längerfristig sollten Unternehmen eigene Kommunikationswege für den direkten Austausch mit Rechteinhaber:innen oder ihren Interessenvertretungen aufbauen. Relevante Brancheninitiativen können Zugang zu bestehenden Netzwerken bieten. 

Auch mit anderen Stakeholder:innen, etwa Lieferanten, sollte ein kooperativer Ansatz zur Umsetzung der Due-Diligence-Anforderungen gewählt werden, anstatt beispielsweise die gesetzlichen Anforderungen lediglich an die Geschäftspartner weiterzugeben. Wenn es Unternehmen gelingt, ein gemeinsames Verständnis von Risiken zu schaffen und in Zusammenarbeit Maßnahmen zur Verhinderung oder Minderung zu erarbeiten, können vertrauensvolle und langfristige Partnerschaften entstehen. Und damit: resilientere Wertschöpfungsketten etabliert werden.

Holistische Umsetzung schafft Mehrwert für Mensch, Umwelt und Unternehmen

Die Umsetzung der SDD wird derzeit vor allem durch regulatorische Anforderungen getrieben. Viele Unternehmen werden erst in einigen Jahren von den neuen Pflichten betroffen sein, wenn das LkSG voraussichtlich um die Anforderungen der CSDDD erweitert wird. Um den lernenden Prozesscharakter der SDD effektiv zu nutzen, lohnt es sich dennoch, bestehende Systeme bereits zeitnah zu schärfen. Denn die Praxis zeigt, dass durch eine holistische Umsetzung der Anforderungen Mehrwerte sowohl für Mensch und Umwelt als auch für Unternehmen selbst erzielt werden können.

--

*Zur vereinfachten Lesbarkeit dieses Artikels wird der Begriff Sustainability Due Diligence austauschbar für die Begriffe Human Rights Due Diligence (HRDD) und Mandatory Human Rights and Environmental Due Diligence (mHREDD) genutzt.