Wenn Kanzleien nur noch digital arbeiten

Die Entscheidung, ausschließlich digital mit Mandanten zu arbeiten, verändert eine Steuerkanzlei grundlegend. Vieles muss bereits im Vorfeld gründlich durchdacht werden. Wer den digitalen Wandel erfolgreich gestalten will, braucht mehr als neue Software – nötig ist eine klare Strategie.

Die Entscheidung, mit Mandanten ausschließlich digital zusammenzuarbeiten, verändert die Ausrichtung einer Steuerkanzlei grundlegend. Sie stellt die gesamte strategische Ausrichtung auf den Prüfstand. Zunächst geht es darum, eine digitale Vision zu entwickeln. Diese Vision umfasst weit mehr als die Einführung neuer Tools oder den Wechsel zu digitalen Schnittstellen. Sie definiert, wie die Kanzlei in Zukunft arbeiten möchte – mit welchem Selbstverständnis, welchen Zielen und welchen Erwartungen an Mandanten und Mitarbeiter.

Ein konkreter Ablaufplan bildet dabei das Rückgrat der Transformation. „Ohne ein definiertes ‚Warum‘ und einen strukturierten Fahrplan geraten Digitalisierungsprojekte oft ins Stocken“, warnt Marcel Sobek, Geschäftsführer von PROCEVIS, einer Digitalisierungsberatung für Steuerberatungs- und Buchhaltungsprozesse. Dem Experten zufolge muss eine Digitalisierungsstrategie für eine Steuerkanzlei auf einer umfassenden Analyse des Ist-Zustands basieren und konkrete Ziele sowie einen realistischen Zeitplan enthalten.

Strategische Herausforderung: Interne Prozesse neu denken

Eine funktionierende Digitalisierungsstrategie ist für Steuerkanzleien nicht nur entscheidend, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben: Auch Mandanten erwarten zunehmend digitale Dienstleistungen und eine digitale Infrastruktur. Doch das Ausrollen einer neuer Software führt nicht automatisch zu mehr Effizienz. Erst wenn Kanzleien auch ihre internen Abläufe hinterfragen, entstehen echte Fortschritte. „Werden Technologien eingeführt, ohne bestehende Prozesse anzupassen, führt das zu ineffizienten Abläufen“, warnt Sobek.

Kanzleiinhaber müssen bestehende Abläufe daher kritisch prüfen, redundante Schritte eliminieren, passende digitale Prozesse definieren und idealerweise Verantwortlichkeiten für die neuen Abläufe benennen. Durch den Einsatz von Automatisierungstools können beispielsweise wiederkehrende Aufgaben wie Buchhaltung und Steuererklärungen effizienter gestaltet werden, wodurch Zeit und Kosten gespart werden. Ebenso kann es sinnvoll sein, Prozesse wie die Lohn- und Finanzbuchhaltung zu automatisieren, um Zeit für Beratung freizumachen. Moderne Datenanalyse-Tools ermöglichen darüber hinaus eine präzisere Auswertung finanzieller Informationen und Cloud-Lösungen bieten eine flexible Möglichkeit, Daten zu speichern und auszutauschen, was sowohl die interne Zusammenarbeit als auch Zusammenarbeit mit Mandanten erheblich erleichtert. Alle diese Möglichkeiten müssen in einer Digitalisierungsstrategie berücksichtigt und mit den tatsächlichen Bedürfnissen abgeglichen werden.

Mit der richtigen Strategie das Team ins Boot holen

Doch wer Prozesse verändert, greift in Routinen ein – diese sorgen jedoch üblicherweise für Stabilität im Arbeitsalltag. Deshalb empfiehlt es sich, die Kanzlei-Mitarbeiter frühzeitig zu beteiligen und sie gezielt zu qualifizieren. Denn der Erfolg einer Digitalisierungsstrategie hängt wesentlich vom Team ab. Widerstände sind insbesondere bei Mitarbeitern ohne technische Vorkenntnisse zu erwarten. „Jeder einzelne Mitarbeiter bringt eigene Stärken mit, aber auch individuelle Hürden und Bedenken hinsichtlich der Digitalisierung. Diese sollten ernst genommen und nicht vernachlässigt werden“, rät Experte Sobek.

Eine strategische Herangehensweise beginnt mit transparenter Kommunikation, die die Vorteile der Digitalisierung – wie Zeitersparnis und bessere Arbeitsqualität – vermittelt. Offen und transparent zu kommunizieren und dabei gezielt auf die Ängste, Schwachstellen oder Unsicherheiten jedes Einzelnen einzugehen, gilt als entscheidend, um Mitarbeiter für digitale Prozesse zu begeistern. Praxisnahe Schulungen, die auf jeweiligen Bedürfnisse eingehen, und die Etablierung von „Digitalisierungsbotschaftern“ im Team fördern die Akzeptanz. „Eine positive Fehlerkultur, in der Fragen und Probleme offen angesprochen werden dürfen, rundet die Strategie ab“, so der Experte.

Strategie zur künftigen Mandantengewinnung frühzeitig definieren

Auch für die Mandantenseite erfordert eine digitale Transformation strategisches Fingerspitzengefühl. Viele Mandanten müssen zunächst vom Mehrwert digitaler Zusammenarbeit überzeugt werden. Es reicht nicht, ihnen Tools zur Verfügung zu stellen – es braucht Aufklärung, Begleitung und eine klare Kommunikation der Vorteile. Ein weiterer kritischer Punkt ist die mangelnde Einbindung von Mandanten. Ohne frühzeitige Kommunikation einer anstehenden Kanzlei-Digitalisierung können Widerstände entstehen, die den Erfolg des Projektes gefährden.

Besonders wichtig ist es, sich bereits im Vorfeld zu überlegen, auf welchen Wegen man künftig welche Mandanten gewinnen möchte – und wie man mit jenen umgeht, die sich digitalen Wegen verweigern.

„Es ist entscheidend, die Zielgruppe klar zu definieren, da neben bestehenden Mandanten, die traditionelle Arbeitsweisen bevorzugen, eine zunehmend digital affine Generation von Unternehmern heranwächst“, sagt Sobek. Diese sogenannten „Digital Natives“ erwarten ortsunabhängige, flexible und digital effiziente Dienstleistungen. Durch eine klare Positionierung als digitaler Dienstleister spricht eine Steuerkanzlei gezielt diese wachsende Zielgruppe an.

„Dennoch gilt es, die Bedürfnisse traditioneller Mandanten nicht aus dem Blick zu verlieren“, rät Sobek. Für diese Mandanten, die den Weg der Digitalisierung nur zögerlich oder teilweise mitgehen möchten, empfiehlt der Experte, Übergangslösungen anzubieten. „Wichtig ist hierbei eine klare Kommunikation, dass eine Kanzlei konsequent den digitalen Weg verfolgt, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.“

Digitalisierung: Auch die Marketingstrategie muss neu justiert werden

Um von neuen Mandanten als digitale Steuerkanzlei wahrgenommen zu werden, sollte parallel auch die Marketingstrategie angepasst werden. „Eine professionelle Online-Präsenz, gezielte Suchmaschinenoptimierung sowie aktive Social-Media-Aktivitäten erhöhen die Sichtbarkeit und Attraktivität einer Steuerkanzlei für neue Mandanten“, betont Sobek. Zudem sei Content-Marketing, beispielsweise in Form von Blogs oder Webinaren, eine hervorragende Möglichkeit, Expertise sichtbar zu machen und Vertrauen bei potenziellen Mandanten aufzubauen.

Auch das Businessnetzwerk LinkedIn ist für die Steuerbranche bestens geeignet, Content Marketing zu betreiben. Hier können sich Steuerberater mit anderen Fachleuten, potenziellen Mandanten und Branchenexperten vernetzen, spannende Inhalte rund um Steuerthemen oder der eigenen Kanzlei posten und ihre digitale Sichtbarkeit auf diese Weise deutlich erhöhen. 

Digitalisierung bedeutet strategische Neuausrichtung

Damit wird klar: Die vollständige Digitalisierung einer Steuerkanzlei ist eine strategische Neuausrichtung, die interne Prozesse, Kompetenzen, den Außenauftritt und die Mandantenbeziehung transformiert.  Diese Strategie muss auf einer Ist-Analyse basieren, passende Technologien integrieren und die Kanzlei-Prozesse entsprechend anpassen. Dabei ist es wichtig, die eigenen Mitarbeiter durch transparente Kommunikation, Schulungen und regelmäßige Feedbackrunden frühzeitig an Bord holen. So lassen sich ineffiziente Prozesse und eine mangelnde Akzeptanz vermeiden. Die Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie erfordert letztlich ein Change-Management, das Mitarbeiter und Mandanten gleichermaßen einbindet, um die Steuerkanzlei als innovativen Partner zu positionieren. Und daran kommt künftig niemand mehr vorbei. „Die Digitalisierung von Steuerkanzleien ist heute keine Option mehr“, betont Sobek, „sondern eine Notwendigkeit, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“