Unternehmensinsolvenzen: Das können Steuerberater proaktiv tun

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen steigt seit zwei Jahren deutlich – und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Für Steuerkanzleien bedeutet das: Ihre Rolle verschiebt sich vom reinen Zahlendienstleister zu einem strategischen Frühwarnsystem.

Lange Zeit war die Unternehmensinsolvenz in Deutschland ein Randthema. Staatliche Hilfsprogramme, Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und extrem niedrige Zinsen hatten während und nach der Corona-Krise eine Insolvenzwelle verhindert. Diese Ausnahmesituation ist vorbei. Für das Jahr 2024 meldete Creditreform 22.400 Unternehmensinsolvenzen – ein Plus von rund 24 Prozent gegenüber dem Vorjahr und der höchste Stand seit 2015. Auch 2025 bleibt das Niveau hoch: Laut Statistischem Bundesamt stieg die Zahl der Insolvenzanträge im ersten Halbjahr auf 12.009 Fälle, rund 12 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Prognosen für das Gesamtjahr liegen bei über 24.000 Fällen – und auch 2026 dürfte der Trend anhalten. Für Kanzleien ist das mehr als eine Zahlenspielerei. Denn mit jedem Insolvenzantrag steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mandant betroffen ist – und damit der Beratungsbedarf.

Mehr Risiken als vor der Pandemie

Die strukturellen Risiken für Unternehmen sind heute deutlich höher als noch vor fünf Jahren. Dafür gibt es mehrere Gründe: Die Zinswende hat einen regelrechten Refinanzierungsschock ausgelöst. Kredite, die einst zu ein bis zwei Prozent aufgenommen wurden, laufen nun in deutlich teurere Anschlussfinanzierungen. Für hochverschuldete oder wachstumsorientierte Unternehmen kann das existenzbedrohend sein. Gleichzeitig schwächelt die Konjunktur. Eine anhaltende Konsumflaute, sinkende Exportnachfrage und geopolitische Unsicherheiten setzen vor allem Industrie, Handel und Logistik unter Druck.

Hinzu kommen strukturelle Kostentreiber. Energie, Material und Löhne bleiben auf hohem Niveau. Der in manchen Bereichen noch immer auftretende Fachkräftemangel sorgt zusätzlich für steigende Personalkosten und geringere Flexibilität. Viele Mittelständler kämpfen außerdem mit Digitalisierungsrückständen. Wer Prozesse nicht automatisiert hat und keine Echtzeitdaten über Liquidität oder Auftragslage besitzt, kann auf Krisen nur verzögert reagieren. Schließlich belasten bürokratische Anforderungen und regulatorische Unsicherheiten – etwa im Bereich ESG oder Lieferkettengesetz – die Restrukturierungsfähigkeit zusätzlich.

Steuerkanzlei als strategisches Frühwarnsystem

Trotz dieser Gemengelage endet die klassische Steuerberatung oft mit der Jahresbilanz oder der Umsatzsteuervoranmeldung. In Krisenzeiten reicht das nicht mehr. Kanzleien, die ihre Mandanten wirksam unterstützen wollen, müssen zum Frühwarnsystem werden. Dazu gehört, Liquiditätsentwicklungen engmaschig zu überwachen. Ebenfalls ist es hilfreich, unterschiedliche Zukunftsszenarien zu simulieren. Wenn klar ist, welche Auswirkungen ein Umsatzrückgang oder ein Zinsanstieg hat, lassen sich Gegenmaßnahmen rechtzeitig planen.

Doch selbst bei bester Früherkennung lässt sich eine Insolvenz nicht immer verhindern. Auch dann bleibt die Steuerkanzlei ein zentraler Partner – allerdings mit einer anderen Rolle. Entscheidend ist nun, für Transparenz zu sorgen und verlässliche Finanzdaten bereitzustellen. Sie bilden die Grundlage für Gespräche mit Gläubigern, Banken und Insolvenzverwaltern. Darüber hinaus können Steuerkanzleien gemeinsam mit spezialisierten Anwälten helfen, einen Sanierungsfahrplan zu entwickeln – von der außergerichtlichen Einigung bis hin zur Eigenverwaltung.

Risiko Unternehmensinsolvenz – auch von Steuerberatern oft ausgeblendet

"Manche Steuerberater nehmen das Thema der Unternehmensinsolvenzen nicht ernst genug", warnt Anton Murr, Steuerberater und Fachberater Sanierung und Insolvenzverwaltung bei der Steuerberatungsgesellschaft Murr & Siedentop. Die Steuerberatungsgesellschaft hat sich auf die Unternehmenssanierung spezialisiert und spürt den Anstieg der Insolvenz-Zahlen direkt. Sie macht mittlerweile ein Drittel ihres Geschäftes mit der Insolvenzberatung. Dazu setzt die Kanzlei auf das Prinzip des geborgten Mandats. Steuerberater, deren Mandanten in wirtschaftliche Schieflage geraten sind, wenden sich an die Sanierungs-Kanzlei und geben ihr Mandat vorübergehend ab. Hat die Kanzlei Murr & Siedentop – in Zusammenarbeit mit weiteren Partnern – das Unternehmen saniert, erhält der Steuerberater sein Mandat zurück.

"Wir kommen oft ins Spiel, wenn es eigentlich fast zu spät ist", sagt Murr. Der Grund sei, dass nicht nur Unternehmen, sondern auch deren Steuerberater das Thema oft vernachlässigen und Risiken zu spät erkennen. "Meist führen gewachsene Strukturen und eine falsch verstandene Fürsorge dazu, dass Risiken nicht wahrgenommen werden – beispielsweise, wenn ein Steuerberater sein Mandat schon seit 20 Jahren betreut", erläutert Murr.

Unternehmen agieren oft papierlastig und entsprechend blind

Besonders problematisch sei es, wenn die Unternehmen die Buchhaltung von kostengünstigen, externen Buchhaltungsbüros erledigen lassen. Dort laufen viele Prozesse händisch und entsprechend langsam ab. "Das erschwert die Zusammenarbeit mit den betroffenen Firmen beträchtlich", sagt Murr, der seine Kanzlei komplett digital aufgestellt hat. "Es ist erstaunlich, wie papierlastig und entsprechend blind manche Unternehmen noch agieren", sagt Murr. Er sieht die Steuerberater daher auch weiterhin in der Pflicht, Digitalisierungstreiber zu sein.

Digitale Prozesse kommen heutzutage nicht nur der Zusammenarbeit zwischen Steuerberater und Mandant zugute. Da alle Informationen digital vorliegen und automatisiert auswertbar sind, verbessern sich auch die Möglichkeiten, Unternehmensrisiken frühzeitig zu erkennen. Hinzukommt: Digitale Prozesse beschleunigen selbst im Rahmen einer Insolvenzverwaltung viele Abläufe beträchtlich – insbesondere was die Bereitstellung und den Austausch von Dokumenten und Formularen betrifft.

Restrukturierung: der Beratungsbedarf wächst

Auch Henning Mühl – Steuerberater und Fachberater für Restrukturierung und Unternehmensplanung – beobachtet einen wachsenden Beratungsbedarf im Bereich Sanierung und Restrukturierung. Seine Steuerkanzlei betreut vor allem den Mittelstand. "Die Bandbreite ist enorm. Finanzierungs- und Strukturfragen treten dabei auf allen Ebenen auf", sagt Mühl. Die verfügbaren Restrukturierungsinstrumente sind mittlerweile vielfältig. Insbesondere das Gesetz über den Stabilisierungs- und Strukturierungsrahmen (StaRUG) bietet kriselnden Unternehmen seit 2021 eine zusätzliche Möglichkeit der außergerichtlichen, selbstverantwortlichen Sanierung – ohne Insolvenzantrag und mit Zustimmung einer Gläubigermehrheit. "StaRUG kann in bestimmten Konstellationen ein sehr sinnvolles Instrument sein und größeren Schaden vermeiden. Die Nachfrage wächst", sagt Mühl. Hier gelte ganz besonders: Rechtzeitig das Thema ansprechen, bevor möglicherweise alles zu spät ist.  Auch die Eigenverwaltung gilt als ein häufig genutztes Instrument, vor allem bei größeren Verfahren: "Insgesamt gilt, wer sich frühzeitig ‚ehrlich‘ macht, der hat gute Chancen, eine vernünftige Zukunftsperspektive wiederzuerlangen", sagt Mühl.

Unternehmen stehen vor Herausforderungen – Chance für Steuerkanzleien

Um Insolvenzen zu vermeiden und Restrukturierungen erfolgreich durchzuführen, müssen Unternehmen aber noch einige Herausforderungen meistern. Ein gut funktionierendes Rechnungswesen ist aus Sicht von Mühl die Grundlage für eine strukturierte Planungsrechnung (Bilanz, GuV, Cashflow). "Es sollte also zeitnah gebucht werden, und darauf basierend eine Planungsrechnung erstellt und auch aktualisiert werden. So können finanzwirtschaftliche Fehlentwicklungen erkannt und bestenfalls Maßnahmen ergriffen werden", sagt Mühl. Insbesondere die integrierte Planungsrechnung erfährt dem Experten zufolge noch nicht überall die notwendige Aufmerksamkeit. "Der Steuerberater kann helfen, indem er seinen Fokus etwas mehr auf die Planungsrechnung legt und bei vermeintlich erkannten Fehlentwicklungen Berufskollegen einbindet, die entsprechende Expertise haben und punktuell unterstützen können", sagt Mühl.

Denn klar ist: Die Zeiten, in denen Insolvenzen seltene Ausnahmen waren, sind vorbei. Die Zahlen steigen – und sie werden wahrscheinlich auf absehbare Zeit hoch bleiben. Für Steuerkanzleien eröffnet das eine doppelte Chance: Sie können ihre Mandantenbeziehungen vertiefen und sich selbst strategisch stärker positionieren. Insbesondere bei langjährigen Mandatsverhältnissen kann eine aktive Begleitung in Krisenzeiten für ein Unternehmen den Unterschied zwischen einer geordneten Sanierung und einer Zerschlagung ausmachen. Die Digitalisierung kann dabei eine positive Rolle spielen. Wenn Zahlenwerke transparenter und die Zusammenarbeit mit dem Steuerberater reibungsloser verläuft, lassen sich auch Risiken frühzeitiger erkennen.

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