Demografie und Nachfolge in der Steuerkanzlei

Demografie, Generationenwechsel, Nachfolge: Kanzleien erleben einen Wandel. Wie gelingt das mit neuen und erfahrenen, mit jungen und alten Mitarbeitenden? Ein Interview mit Dr. Katrin Dorn und Tobias Müller von der Wirtschaftskanzlei MÖHRLE HAPP LUTHER.

Herr Müller, MÖHRLE HAPP LUTHER rankt auf der Arbeitgeberbewerbungsplattform kununu als eine der besten Kanzleien. Was glauben Sie als HR-verantwortlicher Partner der Gesellschaft: Hat das auch etwas mit dem Thema Demografie zu tun?

Tobias Müller: Demografie ist dann ein Thema, wenn es um das Bild des steuerberatenden Berufs geht – und seine Attraktivität für unterschiedliche Generationen. Wenn man fragt, wie jemand zu diesem Beruf gekommen ist, dann ist es in den wenigsten Fällen so, dass unser Job schon von Jugend an ein definiertes Ziel gewesen ist: Niemand sagt als Kind „Ich will Steuerberater werden“. Stattdessen herrscht die Meinung, der Beruf sei äußert anspruchsvoll, man arbeite viel und sei rund um die Uhr für seine Mandantinnen und Mandanten erreichbar. Letzteres wollen aber immer weniger – nicht nur, aber vor allem – Jüngere. Und da kommt die Attraktivität einer Organisation wie der unseren ins Spiel: Hier geht es viel eher, verschiedene Lebensinhalte zu vereinbaren, als etwa in der Einzelkanzlei. Diese hat daher ein echtes Nachfolgeproblem.

Woran machen Sie das fest?

Tobias Müller: Ich kriege ständig Angebote von Kanzleivermittlern zugesandt. Und wie auf dem Immobilienmarkt sind bestimmte Objekte inzwischen mehrfach dabei, also länger am Markt. 

Nachfolge in der Steuerberatung: Bloß nicht zu lange warten

Frau Dorn, wie gehen Kanzleien allgemein mit dem demografischen Wandel um? 

Katrin Dorn: Dazu gibt es ein schönes Beispiel aus unserer Beratungspraxis: Wir arbeiten mit einem Einzelsteuerberater zusammen, der seit Jahrzehnten ein Mandat mit einer dreiviertel Milliarde Euro Jahresumsatz betreut. Übrigens war bereits dessen Vater steuerlicher Berater der Firma. Nun steht die Nachfolgeberatung bei diesem Mandanten an, und da kommen wir ins Spiel. Bemerkenswert ist nun, dass der Berater, der bereits über 70 Jahre alt ist und dieses Thema so selbst nicht abdecken kann, die letzte Entscheidung darüber getroffen hat, wer beraterisch unterstützt. Hier wird klar, wie eng die Bindung zwischen dem Einzel-Steuerberater und dem Mandanten häufig ist. Zudem zeigt das Beispiel, dass die Kooperation zwischen kleineren und größeren Kanzleien eine Möglichkeit ist, dem gestiegenen Beratungsbedarf zu begegnen. Leider konnte der Steuerberater die eigene Nachfolge noch nicht regeln. 

Sehen Sie das auch so, Herr Müller?

Tobias Müller: Ja, für eine Kooperation zur Regelung der Nachfolge sollte man idealerweise nicht bis 70 warten. Sinnvoll ist, bereits mit etwa 50 Jahren nachhaltige Strukturen aufzubauen, die nötigenfalls auch ohne das eigene Zutun funktionieren. In vielen Fällen bedeutet das wahrscheinlich, sich einem Verbund anzuschließen. Denn wie schon erwähnt, wird es schwierig für Kanzleien, deren Technik nicht auf dem neuesten Stand und deren Mandantenstamm ebenfalls überaltert ist, Nachfolger zu finden. Dort einzusteigen, ist weder für bestehende Kanzleien noch für Existenzgründerinnen und -gründer interessant.

Katrin Dorn: Meiner Meinung nach ist es für Gründer noch ein Stück unattraktiver geworden, eine Kanzlei zu kaufen, seit die Gründung als solche viel einfacher geworden ist. Das liegt an technischen Möglichkeiten, aber auch am Mandantenpotenzial, das derzeit die Akquise vergleichsweise einfach macht. Statt Geld zu investieren, kann man so gleich von Anfang an welches verdienen.

Welche Möglichkeiten der Nachfolgeregelung – außerhalb eines Verkaufs der Kanzlei auf dem freien Markt – sehen Sie noch?

Tobias Müller: Bei uns läuft die Nachfolge als fortlaufender Prozess: Wir wollen bewusst Mitarbeitende in einer sehr frühen Phase, an der Universität oder in der Schule, ansprechen, gewinnen und dann langfristig binden. Dazu haben wir Karriereperspektiven geschaffen und ganz neu auch die Möglichkeit, zum Beispiel nach dem Steuerberaterexamen noch einmal in einem ganz anderen Bereich zu arbeiten – um dem Gefühl vorzubeugen, immer nur dasselbe gemacht zu haben. Diese Strategie hat den Effekt, dass kontinuierlich Partnerinnen und Partner von unten nachkommen, und die Lücken füllen, die ältere hinterlassen, wenn sie ausscheiden. Ein wenig ist das auch auf kleinere Kanzleien übertragbar: Vielleicht gibt es die Möglichkeit, frühzeitig einen Mitarbeitenden mit dem fixierten Ziel zu fördern, später die Kanzlei an diesen zu übertragen? Daneben kann es, wie schon erwähnt, sinnvoll sein, sich einem Netzwerk anzuschließen.

Funktionierende Teilzeitmodelle und Wertschätzung für Know-How

Um noch einmal auf die gewandelten Ansprüche und Bedürfnisse der Jüngeren zurückzukommen – was halten Sie für entscheidend, um als Arbeitgeber erfolgreich zu sein?

Katrin Dorn: Ganz wichtig ist die Flexibilisierung der Arbeitszeit. Funktionierende Teilzeitmodelle sind ein wesentlicher Schlüssel zur Mitarbeiterbindung. Mit „funktionieren“ meine ich, dass nicht ursprünglich 70 Prozent vereinbart sind, 70 Prozent Gehalt fließen, die Aufgaben aber bei 100 Prozent bleiben. So dass man am Ende doch wieder auf Vollzeit aufstockt, obwohl man dies eigentlich nicht möchte. Ich selbst gehöre bei uns ja schon eher zu den Älteren und bin auch in Teilzeit gekommen. Ich konnte miterleben, wie das Unternehmen hier bereit war, sich dem Neuen zu stellen und in dieser Hinsicht stetig weiterentwickelt hat. Das halte ich für eine ganz wichtige Voraussetzung, um auch künftig junge Fachkräfte nicht nur zu gewinnen, sondern sie auch langfristig an das Unternehmen zu binden.

Und wenn es darum geht, ältere Mitarbeitende einzustellen?

Katrin Dorn: Ältere bringen eine Menge Erfahrung mit, von der die Jüngeren profitieren können. Was wir bemerkt haben, ist eine ungeheure Wertschätzung für Know-how aus Netzwerken und Strukturen für den Wissenstransfer und Austausch. Das erleben wir immer wieder, wenn Kolleginnen und Kollegen zu uns kommen, die zuvor in einer Einzelkanzlei tätig gewesen sind. Nach dem Motto: „Wie, ich kann jemanden anrufen, der mir diese Frage beantwortet oder bei der technischen Umsetzung hilft?“ Außerdem haben Ältere in manchen Bereichen andere Präferenzen, etwa beim Homeoffice. Da herrscht bei einigen eher die Überzeugung „Im Büro findet die Arbeit statt“, während die Jüngeren vielleicht mehrheitlich sagen würden „Im Büro findet das Leben statt“.

Wie verbindet man die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Generationen?

Tobias Müller: Durch maximale Flexibilität, glaube ich. So probiere ich gerade ein Modell aus, das ich Homeoffice 2.0 genannt habe. Obwohl ich etwa 100 Kilometer von der Kanzlei entfernt wohne, bin ich 20 Jahre lang jeden Tag gependelt. Nun hat es sich ergeben, dass unmittelbar dort, wo ich wohne, sieben Kollegen ebenfalls ansässig sind. Sie arbeiten in völlig anderen Bereichen, doch wir treffen uns an unserem Wohnort zum Zusammenarbeiten. Das verbindet alle Vorteile des Homeoffice wie kurze Wege mit dem gewünschten sozialen Kontakt zu Kollegen.  

Katrin Dorn: Ich glaube auch, dass zu viel oder gar ausschließlich Homeoffice für die allerwenigsten Beteiligten wirklich gut ist – und das gilt generationenübergreifend. So findet die Weihnachtsfeier auch nicht online statt. Und während der Pandemie hat man gesehen, dass gerade viele Jüngere wieder ins Büro zurückwollten. Stichwort Leben. Das gilt nach wie vor besonders in der Stadt, da dort – anders als auf dem Land – viel Sozialleben aus der Arbeit gezogen wird. 

Wie wirken sich diese flexiblen Modelle angesichts der Demografie und des Fachkräftemangels auf kleinere Kanzleien aus?

Katrin Dorn: Sie haben sicherlich mehr Konkurrenz dadurch bekommen, dass die Leute jetzt die Möglichkeit haben, auch aus weiterer Entfernung für ihre Wunschkanzlei in der Metropole tätig zu sein. Das schmälert den Pool, auf den kleinere Kanzleien in ländlichen Regionen zugreifen können. 


Dr. Katrin Dorn ist Steuerberaterin und Partnerin bei MÖHRLE HAPP LUTHER und arbeitet aus München. Sie übt ihre Tätigkeit in Teilzeit aus und ist daneben als Autorin und Dozentin tätig. Ihre Beratungsschwerpunkte liegen in der Gestaltungs- und Nachfolgeberatung.

Tobias Müller ist Partner und Steuerberater bei MÖHRLE HAPP LUTHER. Neben seiner beratenden Tätigkeit setzt er sich für die Themen Personal und Talentförderung ein. Seine Schwerpunkte sind die steuerliche Gestaltungs- und Transaktionsberatung sowie das Immobilien-, Umwandlungs- und Grunderwerbsteuerrecht.

Schlagworte zum Thema:  Demografischer Wandel, Steuerberatung