"Im Auge des Sturms" - Eurofighter-Pilotin Baumann im Interview

Bei der Bundeswehr hängen von der richtigen Entscheidung oft Menschenleben ab. Was die Eurofighter-Pilotin Nicola Baumann in ihrer Zeit als Offizierin bei der Bundeswehr über Führung gelernt hat, erzählt sie im Interview.

Personalmagazin: Frau Baumann, Sie sind ausgebildete Eurofighter-Pilotin und waren als Offizierin bei der Bundeswehr tätig. Das klingt für mich nach Flugmanövern, wie man sie aus Filmen wie „Top Gun“ kennt – aber welche Rolle spielt Führung dabei?

Nicola Baumann: Ich hatte bei der Bundeswehr zwei verschiedene Führungsfunktionen: „Am Boden“ war ich zuständig für ein kleineres Team von Piloten, auch für deren Ausbildung und für die ausbildenden Fluglehrer. „In der Luft“ ging es auch darum, eine Formation zu führen und Missionen, in meinem Fall Trainingsmissionen, erfolgreich zu absolvieren und dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten ihre Aufgaben erfüllen. Das ist aber eher vergleichbar mit dem Teamkapitän beim Fußball. 

Personalmagazin: Welche Kompetenzen braucht eine Führungskraft für diese beiden Führungsfunktionen?

Baumann: Die klassische Chef-Rolle am Boden braucht deutlich mehr soziale und emotionale Kompetenz und Intelligenz. Am Boden hat man mehr Zeit, man kann sich mit Menschen ausführlich unterhalten, kann sich ein vollständiges Bild machen, kann auch in Ruhe darüber nachdenken und dann handeln. In der Luft hingegen müssen viele Informationen verarbeitet und Entscheidungen sehr schnell getroffen werden. Da habe ich keine Zeit, nett zu sein. Da kann ich nur präzise und knapp kommunizieren.

Auf die eigene Philosophie kommt es an

Personalmagazin: Kann man auch zu viel kommunizieren? Und woran merkt man, wenn es zu viel wird?

Baumann: Das gibt es in jedem klassischen Meeting, beispielsweise wenn Dinge anfangen sich zu wiederholen. Dann kann man ein Team nicht einfach sich selbst überlassen, andererseits ist es genauso falsch, von oben herab zu bestimmen. Man muss da den Mittelweg finden, einen Vorschlag machen und gleichzeitig die Möglichkeit für Feedback und Änderungen geben.

Personalmagazin: Gerade bei militärischen Entscheidungen gibt es häufig Dilemmata. Wie kann das möglichst schnell aufgelöst werden? 

Baumann: Ob man ein Dilemma immer möglichst schnell lösen muss, hat sehr viel mit der eigenen Führungsphilosophie zu tun. Der erste wichtige Schritt ist deshalb, sich die eigene Philosophie klarzumachen: Was sind die Werte, mit denen ich führen möchte, und was ist mir wichtig? Wenn ich ein ehrliches Wertekonstrukt vertrete, beispielsweise: „Meine Leute sind mir wichtiger als der einzelne Euro, den ich verdiene“, dann habe ich damit eine Richtlinie, nach der ich auch schnell handeln kann und die ich nicht jedes Mal neu finden muss.

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Personalmagazin: Wenn es schnell gehen muss, ist die Versuchung doch groß, erstmal das zu machen, was von oben vorgegeben wird, oder nicht? 

Baumann: Das hat nichts mit Zeitdruck zu tun, sondern: Es ist immer das Einfachste, sich dem zu beugen, was irgendwer anderes meint, vor allem, wenn man denjenigen zufriedenstellen möchte. Deshalb ist diese Versuchung bei vielen Menschen groß, aber als echte Führungskraft muss man dieser Versuchung widerstehen können und selbst Entscheidungen treffen. 

Eine gute Führungskraft ist außerdem konsequent und behandelt alle Mitarbeitenden gleich. Das hat etwas von der Rolle der Eltern: Eine Führungskraft genießt Vertrauen, ist ansprechbar bei ernsten beruflichen oder privaten Problemen, gibt aber auch klare Regeln aus und sorgt dafür, dass Ordnung und Gerechtigkeit herrschen. Dabei ist entscheidend, dass die Führungskraft emotional stabil ist, damit Mitarbeitende abschätzen können, wie sie reagieren wird. Wenn jemand mit einem privaten Problem zu mir kommt, dann überlege ich nicht lange, sondern sage: „Wir finden eine Lösung.“ Meine Richtlinie war immer, das Auge des Sturms zu sein und nicht der Sturm.

Respekt vor den Fähigkeiten anderer

Personalmagazin: Gilt das gleichermaßen für Führung im Unternehmen und beim Militär?

Baumann: In beiden Welten geht es darum, sehr gut ausgebildete Profis zu führen, deshalb lässt sich das gut übertragen. Ich muss jeden oder jede Einzelne respektieren, nicht immer nur die Besten. Denn auch durchschnittliche Mitarbeitende möchten für ihre Leistungen anerkannt und bei dem, was sie noch nicht so gut können, unterstützt werden. 

Respektvolle, positive Kommunikation ist dabei wichtig: Wenn ich jemandem eine Aufgabe gebe, die ein bisschen über dem üblichen Leistungsniveau der Person liegt, und dabei optimistisch bin, die Person motiviere und ihr sage, dass sie das hinbekommt, dann wird sie sehr wahrscheinlich an dieser Aufgabe wachsen. Man muss jemandem erst etwas zutrauen, bevor der- oder diejenige es tatsächlich kann. Leider wird das weder beim Militär noch in Unternehmen immer so gelebt.

Personalmagazin: Wie stark muss Eigenverantwortung von den Mitarbeitenden aktiv eingefordert werden? 

Baumann: Eigenverantwortung spielt eine große Rolle und muss tatsächlich eingefordert werden. Das deutsche Militär zum Beispiel arbeitet immer mit einer Auftragstaktik. Dabei gebe ich das Ziel vor, sage meinen Mitarbeitenden, wo es hingeht, aber ohne den Weg dorthin zu bestimmen. Denn ehrgeizige, ambitionierte Menschen wollen wissen: Auf welchen Berg müssen wir hinauf? Welches Produkt müssen wir entwickeln? Micro­management und kleinteilige Vorgaben sind dabei oft hinderlich. Wenn Mitarbeitende frei arbeiten können, geben sie sich mehr Mühe. Ambitionierte Menschen wollen sich in ihrer Arbeit frei entwickeln und Selbstbestimmung finden. Dafür braucht es Eigenverantwortung. 

Fachliche, persönliche und formale Autorität

Personalmagazin: Wie viel Fachexpertise braucht eine Führungskraft? 

Baumann: Die beste Fachkraft ist nicht unbedingt die beste Führungskraft, aber trotzdem: Die fachliche Expertise macht mindestens fünfzig Prozent der Führungsautorität aus, eher mehr. Denn es braucht fachliche Kompetenz, um nicht an der Nase herumgeführt zu werden. Das gilt auch in der Produktion oder in der Produktentwicklung. Eine gute Führungskraft muss auch bei fachlichen Problemen weiterhelfen können. Das ist wie beim Bergsteigen: Als Führer muss man nicht den ganzen Weg auswendig kennen. Aber man muss unbedingt wissen, wie man bei Abzweigungen herausfindet, was der richtige Weg ist. Die Führungskraft muss auch respektieren, dass einzelne Teammitglieder in einzelnen Bereichen deutlich mehr wissen. Das kann man nutzen und die Menschen nach ihrer Meinung fragen. 

Beim Militär braucht es sogar noch etwas mehr fachliche Kompetenz. Militärische Führungskräfte führen eben auch im Kampfeinsatz und müssen festlegen, wer an welcher Stelle operieren oder fliegen soll. Dabei geht es potenziell um das eigene Leben und um das Leben meiner Kameraden. Dafür muss ich genau wissen, wie eine Mission funktioniert.

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Personalmagazin: Wenn Fachlichkeit fünfzig Prozent der Führungsautorität ausmacht, woher kommt dann die andere Hälfte? 

Baumann: Der nächste große Anteil mit etwa dreißig bis vierzig Prozent ist die persönliche Autorität. Dazu gehört das persönliche Auftreten, aber auch die Sozialkompetenz und ein verlässliches Verhaltensmuster. Und dann gibt es noch einen kleinen Anteil, etwa zehn Prozent, der vom Dienstgrad oder der Position herrührt. Am Ende des Tages kann ich immer sagen: „Ich bin die Chefin und deswegen machen wir das jetzt so.“ Aber damit begebe ich mich auf dünnes Eis, das kann ich ein- oder zweimal machen, aber dann habe ich einen Großteil meines Ansehens verspielt.

Personalmagazin: Formale Autorität ist also eine Art Joker, den man zwar ziehen kann, aber vielleicht nur einmal?

Baumann: Genau und wenn man den Joker zieht, heißt das oft auch, dass die persönliche und fachliche Autorität schon fehlgeschlagen ist. Wenn ich die nötige Erfahrung mitbringe und mein Team mir vertraut, ist Führung auch ohne die große Chef-Keule möglich. 

Und wenn die Autorität untergraben wird?

Personalmagazin: Können Sie eine Situation schildern, in der Sie fürchteten, dass Ihre eigene Autorität untergraben wird? 

Baumann: Ich erinnere mich beispielsweise an eine Situation, als ich 24 oder 25 war und zum ersten Mal für zwölf Flugschüler und sechs Fluglehrer zuständig war. Ich hatte einen etwa 50-jährigen sehr erfahrenen Fluglehrer in meinem Team, der leider überhaupt keine Lust hatte, meinen Anweisungen zu folgen. Da sah ich die Gefahr, dass meine Führungsautorität völlig untergraben wird. 

Personalmagazin: Wie sind Sie mit dieser Situation umgegangen?

Baumann: Ich habe damals versucht, mich in die Person hineinzuversetzen, und bin dann auf den Mitarbeiter zugegangen und habe sein Wissen eingefordert, denn die Menschen mögen es, wenn ihre Meinung geschätzt wird. Abgesehen davon, dass man ja tatsächlich von diesem Wissen profitiert, ist es eine gute Strategie, denjenigen so zu seinem engsten Verbündeten zu machen und mit ins Boot zu holen. In neunzig Prozent der Fälle funktioniert das sehr gut. 

Wenn die Person trotz allem an der Autorität kratzt, muss man sie mit aller Entschlossenheit ruhigstellen. Man kann nicht zulassen, dass jemand aktiv die eigene Autorität untergräbt.


Dieser Beitrag ist ursprünglich im Personalmagazin Ausgabe 05/2020, erschienen. Lesen Sie das gesamte Heft auch in der Personalmagazin-App.


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