Liegt ein wichtiger Grund i. S. v. § 28 TVöD vor, so kann der Beschäftigte unter Verzicht auf die Entgeltfortzahlung Sonderurlaub erhalten. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber nunmehr in allen Fällen die Entscheidung über die Gewährung von Sonderurlaub nach billigem Ermessen zu treffen hat (§ 315 Abs. 1 BGB). Diese Regelung lehnt sich damit inhaltlich an die alte Rechtslage für die Fälle des Sonderurlaubs aus wichtigem Grund nach § 50 Abs. 2 BAT an, weswegen hinsichtlich der Ermessensentscheidung auf die bislang durch die Rechtsprechung des BAG entwickelten Grundsätze Bezug genommen werden kann.

Im Unterschied zu der Vorgängerregelung § 50 Abs. 2 BAT verzichtet § 28 TVöD zwar auf das ausdrückliche Erfordernis, dass die dienstlichen oder betrieblichen Verhältnisse die Gewährung des Sonderurlaubs gestatten müssen. Allerdings fließen diese Gesichtspunkte in die Interessenabwägung mit ein, die der Arbeitgeber zwischen den persönlichen Belangen des Beschäftigten und den Belangen der Dienststelle oder des Betriebs unter angemessener Berücksichtigung sämtlicher Aspekte zu treffen hat. Als dienstliche bzw. betriebliche Belange sind z. B. die notwendige Einarbeitungszeit einer befristet eingestellten Ersatzkraft und die damit verbundene finanzielle Mehrbelastung, aber auch sonstige organisatorische Schwierigkeiten durch die zeitweise Abwesenheit des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Allerdings vermag nicht schon jede Belastung des Arbeitgebers eine Ablehnung des Antrags zu begründen. Auch die bloße Furcht des Arbeitgebers, Präzedenzfälle zu schaffen, hat das BAG nicht als hinreichendes Interesse zur Versagung von Sonderurlaub im Einzelfall anerkannt.

 
Praxis-Beispiel

Ein Krankenpfleger hat auf dem zweiten Bildungsweg die Zulassung zum Fachhochschulstudium erworben und möchte das Studium der Sozialökonomie aufnehmen. Er beantragt Sonderurlaub.

Das BAG hat die Aufnahme eines solchen Studiums grundsätzlich als einen wichtigen Grund i. S. v. § 50 Abs. 2 BAT anerkannt.[1] Auch gestatten die betrieblichen oder dienstlichen Verhältnisse die Gewährung des Sonderurlaubs, wenn die vorübergehend frei werdende Stelle durch eine befristet einzustellende Ersatzkraft besetzt werden kann. Hierum muss sich der Arbeitgeber auch tatsächlich bemühen. Dem steht nicht entgegen, dass während der Einarbeitungsphase – hier etwa vier Wochen – qualifiziertes Stammpersonal gebunden wird, das dann in der Pflegedienstleistung der Klinik fehlt. Dies, so das BAG, sei typische Folge der Beurlaubung eines Arbeitnehmers, dessen Arbeitsplatz nicht unbesetzt bleiben soll. Die dem Klinikum abzuverlangenden Bemühungen überstiegen nicht den organisatorischen Aufwand, wie er üblicherweise mit jeder vorübergehenden Nachbesetzung verbunden sei.

In den Fällen der befristeten Beschäftigung einer Ersatzkraft kann es dem Arbeitnehmer allerdings durchaus zuzumuten sein, den Sonderurlaub erst nach Eintreffen der Aushilfe anzutreten, die wiederum vom Arbeitgeber nicht mutwillig hinausgezögert werden darf.

Liegt ein wichtiger Grund i. S. d. § 28 TVöD vor, so setzt das billige Ermessen nach § 315 BGB der einseitigen Bestimmung durch den Arbeitgeber dahingehend Grenzen, dass er nicht willkürlich oder aus sachfremden, z. B. persönlichen Motiven den Sonderurlaub versagen kann. Durch Abwägung aller Aspekte des Einzelfalls soll der Arbeitgeber die Interessenlage fair analysieren und bewerten, um zu einem gerechten Ergebnis zu gelangen. Die Entscheidung des Arbeitgebers ist gerichtlich überprüfbar (§ 315 Abs. 3 BGB).

 

Beispiel (Fortsetzung)

Das Klinikum hat die Möglichkeit, kurzfristig eine Aushilfe einzustellen, die die Aufgaben des Krankenpflegers nach einer angemessenen Einarbeitungszeit übernehmen kann.

Da die Aufnahme des Studiums einen wichtigen Grund darstellt und betriebliche Gründe wegen der Möglichkeit der Vertretung nicht entgegenstehen, ist eine Ermessensentscheidung geboten. Hierzu ist eine faire Analyse und Bewertung der Interessen beider Teile durch den Arbeitgeber erforderlich. Dass dies geschehen ist, ist vom Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen. Für die Ermessensentscheidung ohne Belang ist es, ob zwischen dem Studium und der vom Arbeitgeber vertraglich geschuldeten Tätigkeit ein fachlicher Zusammenhang besteht und ob das Studium für die Tätigkeit als Krankenpfleger nützlich und förderlich ist. Zulasten des Arbeitnehmers können alle Umstände berücksichtigt werden, die mit seiner Abwesenheit selbst unmittelbar verknüpft sind. Auch können möglicherweise die Verhältnisse nach Beendigung des Sonderurlaubs berücksichtigt werden. So kann die vom Arbeitnehmer beabsichtigte Bildungsmaßnahme zu seinen Lasten gewertet werden, wenn wegen der Dauer seiner Abwesenheit die realistische Gefahr besteht, der fehlende Kontakt zum Beruf werde sich nachteilig auf die spätere Arbeitsleistung auswirken oder wenn die Rückkehr des Arbeitnehmers so unwahrscheinlich ist, dass im Interesse des Arbeitgebers einer kontinuierlichen Besetzung des Arbeitsplatzes der Vorrang gebührt.

Bei der Ent...

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