Rz. 47
Kindererziehungszeiten sind vollwertige rentenrechtliche Zeiten und damit Ausdruck und Dank der Gesellschaft für die Geburt und Erziehung von Kindern, weil und soweit der erziehende Elternteil in dieser Zeit nicht in der Lage war, eine Tätigkeit im Beruf auszuüben. Um diese Lücke zu schließen, hatte der Gesetzgeber bereits im alten Recht (RVO/AVG) durch das HEZG (Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz) v. 11.7.1985 zum 1.1.1986 Kindererziehungszeiten als rentenrechtliche Zeiten eingeführt; hier noch als Pflichtbeitragszeiten eigener Art (§§ 125a RVO, 28a AVG). Durch das Rentenreformgesetz 1992 sind Kindererziehungszeiten nunmehr reine Pflichtbeitragszeiten(§§ 56, 249, 249a) und zwar bei Geburten vor 1992 die ersten 30 (Neuregelung ab 1.1.2019 durch das RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetz v. 28.11.2018 (BGBl. I S. 2016) und bei Geburten ab 1992 die ersten 36 Kalendermonate nach der Geburt des Kindes. § 249 gilt insoweit nur für Neurentner; also für alle Rentenzugänge ab 1.7.2014. Für Bestandsrentner – also solche, die sich bereits bis zum 30.6.2014 im Rentenbezug befunden haben – hat der Gesetzgeber die Zuschlagsregelung des § 307d vorgesehen.
2.3.1 Regelbewertung 0,0833 Entgeltpunkte (Satz 1)
Rz. 48
Für diese Pflichtbeitragszeiten, in denen keine Arbeitsentgelte erzielt wurden, bestimmt § 70 Abs. 2 die Regelbewertung. Kindererziehungszeiten erhalten nach Satz 1 für jeden Kalendermonat 0,0833 Entgeltpunkte. Satz 1 regelt insoweit den gesetzgeberisch angenommenen Normalfall, dass eine zeitgleiche sonstige Beitragszeit nicht vorhanden ist.
2.3.2 Begrenzung auf den jeweiligen Höchstwert nach Anlage 2b und der Grundsatz der additiven Bewertung (Satz 2)
Rz. 49
Für den Fall, dass neben den Kindererziehungszeiten weitere Entgeltpunkte – z. B. durch eine versicherungspflichtige Beschäftigung – erworben worden sind, werden die Entgeltpunkte bis zum Höchstwert der Anl. 2b zum SGB VI (Beitragsbemessungsgrenze) addiert. Treffen daher Kindererziehungszeiten mit freiwilligen oder Pflichtbeiträgen zusammen, werden deren Entgeltpunkte den Entgeltpunkten für Beitragszeiten hinzugerechnet; sog. additive Bewertung. In diesem Falle erhält jeder Kalendermonat mit Entgeltpunkten für sonstige Beitragszeiten zusätzlich Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten, indem die Entgeltpunkte für die sonstigen Beitragszeiten um 0,0833 je Kalendermonat, höchstens um die Entgeltpunkte bis zum Erreichen der Höchstwerte nach Anlage 2b zum SGB VI erhöht werden (vgl. zum Zusammentreffen von Kindererziehungszeiten mit einer sonstigen Beitragszeit GRA der DRV zu § 70 SGB VI, Stand: 1.2.2021, Anm. 5.2).
Rz. 50
Begrenzt wird die Anzahl der Entgeltpunkte für Kindererziehungszeiten ggf. auf die von der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze (§ 159) abgeleiteten Höchstwerte der Anl. 2b zum SGB VI (Beitragsbemessungsgrenze), der die jährlichen Höchstwerte an Entgeltpunkten regelt. Diese Höchstbegrenzung ist verfassungsgemäß (BSG, Urteil v. 12.12.2006, B 13 RJ 22/05 R; vgl. auch Nichtannahmebeschlüsse des BVerfG v. 29.8.2007, 1 BvR 858/03 und 1 BvR 2477/06; nicht veröffentlicht). Auch im Hinblick auf die Zuschlagsregelung des § 307d, der den Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung für die Bestandsrentner regelt, ist kein Verfassungsverstoß gegeben. Die Begrenzung der Bewertung zeitgleich zurückgelegter Kindererziehungszeiten und sonstiger Beitragszeiten auf die der Beitragsbemessungsgrenze entsprechenden Höchstwerte der Anlage 2b zum SGB VI ist systemimmanent und daher verfassungsgemäß. Die von dieser Regelung abweichende pauschale Begünstigung von Bestandsrentnern (§ 307d) ist aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigt (BSG, Urteil v. 16.10.2019, B 13 R 14/18 R, in Fortführung von BSG, Urteil v. 17.12.2002, B 4 RA 46/01 R; v. 18.5.2006, B 4 RA 36/05 R, sowie v. 12.12.2006, B 13 RJ 22/05 R und mit Anm. von Lindner, NZS 2020 S. 468, und mit Anm. in SozSichplus 2019, Nr. 12 S. 4; so auch bereits das Berufungsgericht: Sächs. LSG, Urteil v. 24.10.2017, L 5 R 425/17; BSG, Urteil v. 16.10.2019, B 13 R 18/18 R; Parallelentscheidung zum Urteil des BSG v. 16.10.2019, B 13 R 14/18 R; die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BSG v. 16.10.2019, B 13 R 14/18 R, wurde nicht zur Entscheidung angenommen; BVerfG, Urteil v. 30.9.2020, 1 BvR 757/20; so auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 5.12.2018, L 8 R 910/17; Sächs. LSG, Urteil v. 13.11.2018, L 4 R 473/18; Sächs. LSG, Urteil v. 25.10.2018, L 4 R 321/17; die Deutsche Rentenversicherung hat die Urteile des BSG v. 16.10.2019 umgesetzt, vgl. GRA der DRV zu § 70 SGB VI, Stand: 1.2.2021, Anm. 6 und 6.4). Zwei Vorlagebeschlüsse des SG Neubrandenburg, ob § 70 Abs. 2 Satz 2 i.V.m Anl. 2b mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist (SG Neubrandenburg, Vorlagebeschluss v. 11.9.2008, S 4 RA 152/03; Vorlagebeschluss v. 12.1.2012, S 4 RA 152/03) sind jeweils vom BVerfG als unzulässig zurückgewiesen worden (BVerfG, Beschluss v. 25.11.2009, 1 BvL 9/08; BVerfG, Beschluss v. 21.9.2016, 1 BvL 6/12). Zur gleichen Rechtsfrage hat das BVerfG eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 16.12.20...