In den letzten 25 Jahren haben wichtige Innovationen der Informations- und Kommunikationstechnologie den Massenmarkt erobert und sind auch im privaten Bereich aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Mehr als die Hälfte der Menschheit hatte Ende 2018 Zugang zum Internet, welches zunehmend stärker von den sozialen Medien bestimmt wird.[1]

Abb. 1: Zeit bis zur massenhaften Verbreitung von Technik; Angaben aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistische Bundesamtes[2]

Digitalisierung ermöglicht völlig neue Informationswege, Kommunikationsformen und Geschäftsmodelle, die alle Bereiche der Gesellschaft betreffen und grundlegend verändern. Einige der heutigen Produkt-, Prozess-, Plattform- und algorithmischen Innovationen entfalten erst heute in der Kombination mit anderen Technologien ihre vollen Möglichkeiten, z. B. als digitale Netzwerk- und Plattformökonomie. Dabei werden immer mehr Daten gesammelt und persönliche Informationen bewusst oder unbewusst preisgegeben.[3] Das Wissen aus Daten wird zum wichtigen Produktionsfaktor. Daten werden kommerziell genutzt ("360°Sicht auf den Kunden"), können aber auch manipulativ eingesetzt werden. Mit Big Data Analytics lassen sich bisher verborgene Zusammenhänge erkennen.

Diese Veränderungsprozesse werden in einer globalisierten, vernetzten Welt immer schneller. Einiges spricht dafür, dass sich der technologischere Fortschritt exponentiell entwickelt. Dennoch wird Entwicklung unverändert als linear wahrgenommen,[4] was dazu führt, dass der technologische Wandel unterschätzt wird. Ein diesbezüglich klassisches Beispiel ist Kodak. Bereits 1974 wurde vom Kodak-Ingenieur Steve Sasson die erste Digitalkamera entwickelt. Das Kodak-Management ging vom linearen Fortschritt der technischen Entwicklung aus und wähnte daher sein Geschäftsmodell in Sicherheit. Blind für das Potenzial der digitalen Technologie verkaufte Kodak Lizenzen der Digitalkamera. Kodak, seit Gründung 1888 weltweiter Marktführer im Fotomarkt, kam überhaupt nicht auf die Idee, seine Produkte, Services und Prozesse auf den Prüfstand zu stellen und ggf. neu denken. 1987 brachte Kodak seine erste digitale Spiegelreflexkamera auf den Markt, aber ohne digitale Strategie. Da war es zu spät.

Immer dann, wenn erfolgsverwöhnte Firmen träge, selbstgerecht und zukunftsblind werden, steigt für sie die Gefahr, dass bestehende Geschäftsmodelle, Produkte, Technologien oder Services von innovativen Erneuerungen abgelöst und teilweise vollständig verdrängt werden. Dies wird in der digitalen Ökonomie als Disruption[5] bezeichnet und durch digitalen Darwinismus[6] begründet. Disruption kommt für die überraschend, die sich sicher wähnen und sich nicht ausreichend mit ihrem Markt, den gesellschaftlichem Umfeld und wissenschaftlichen Trends befassen.

Die Evolution kennt gewaltige Umschwünge mit neu entstehenden und sterbenden Spezies. Auslöser dafür können externe globale Katastrophen oder eine genetische Drift sein, durch die Systeme und Spezies ständig komplexer werden. "Digitale Disruption", bei der kein Stein auf dem anderen bleibt, wird in Analogie zur Evolution oft als äußere "Katastrophe" angesehen, der technische Innovationen zugeordnet wird.

Auch der Umbau der Automobilindustrie – autonomes Fahren, neue Antriebsformen, usw. – war vorhersehbar. Spätestens seit Beteiligung am Swatch-Mobil 1991 lag VW das Mobilitätskonzept für einen kleinen, leichten, zweisitzigen Stadtwagen vor, der mit umweltfreundlichem Elektro- oder Hybridantrieb ausgerüstet werden sollte. Mit Übernahme der Konzernleitung durch Ferdinand Piech forcierte jedoch VW die Entwicklung immer größerer, schwererer und schnellerer Autos und stieg aus dem Swatch-Projekt wieder aus. 1994 ging die Swatch-Idee an Daimler-Benz. Der damalige Forschungs- und Entwicklungschef Zetsche setzte den Verbrennungsmotor durch[7] und machte der Antriebsinnovation damit den Garaus.

Die Insolvenz von Kodak 2012 und die Krise der deutschen Autobauer sind keine Folgen von Kometeneinschlägen. Beide haben wenig mit Disruption, aber viel mit zunehmender Geschwindigkeit von Innovationen und Marktveränderungen zu tun – bei gleichzeitiger Wahrnehmungsstörung und "blindem Fleck" beim Management und der Politik.

[1] Laut Statista hatte im August 2017 z. B. Facebook weltweit 2 Mrd., YouTube 1,5 Mrd. und WhatsApp 1,2 Mrd. aktive Nutzer, vgl. http://www.zukunftsentwicklungen.de/technik.html, Abrufdatum 17.7.2019.
[2] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Die-Maer-vom-rasenden-Fortschritt-3728493.html, Abrufdatum 17.7.2019. Die Heise-Grafik wurde von den Autoren um weitere Innovationen erweitert, deren Verbreitung nicht ohne weiteres messbar ist.
[3] Zu einem Beispiel für die Möglichkeiten vgl. https://support.google.com/business/answer/6263531?hl=de, Abrufdatum 15.7.2019.
[4] Vgl., Kurzweil, 2001, https://www.kurzweilai.net/the-law-of-accelerating-returns, Abrufdatum 17.7.2019.
[5] Der Begriff "Disruption" leitet sich von "disrupt", engl. für "zerstören", "unterbrechen" ab.
[6] Kreutzer/Land, Demat...

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