1.1 Resilienz als Ziel und Fähigkeit der Unternehmenssteuerung

Die Dynamiken der sogenannten VUCA-Welt, geprägt von zunehmender Volatilität und Unsicherheit, setzen bereits seit vielen Jahren die Rahmenbedingungen für Strategieentwicklung, Planung, Risikomanagement und Vorsteuerung von Unternehmen.[1] Durch die hohen Dynamiken und Disruptionen dieser Umweltbedingungen sinken die Strategie- und Performancezyklen und zwingen Unternehmen dazu, ihre Lern-, Anpassungs- und Widerstandsfähigkeiten (Resilienz) laufend zu erhöhen.[2] Infolgedessen weist Gleißner auf die Notwendigkeit hin, sowohl robuste Strategien als auch robuste Planungen zu entwickeln.[3]

Besonders offenkundig wurden die Anforderungen an Resilienz durch die zum Teil existenzbedrohenden Folge- und Nebenwirkungen der Corona-Pandemie, in der Unternehmen über Nacht ihre bestehenden Strategien und Annahmen der Planung revidieren mussten. Vorsteuerung durch rollierende Liquiditäts-Forecastings und Szenarien wurden "must haves" der Unternehmenssteuerung, um die Zukunftsfähigkeit abzusichern.[4]

Versteht man Unternehmen als kontextbezogene ökonomische und soziale Systeme, müssen Unternehmen unter diesen Rahmenbedingungen Lern-/Reflexionsprozesse etablieren, die ein kontinuierliches infragestellen der bestehenden Annahmen über die Zukunftsaussichten ihres Geschäfts und Geschäftsmodells ermöglichen.[5]

Eine Voraussetzung dafür ist es, operative und strategische Früherkennung- und Vorsteuerungsprozesse zu verankern, die einen "[…] Weg aufzeigen, um Zeit zu kaufen und um Gefahren aufzuspüren, bevor sie unhandhabbar werden und um die Gelegenheiten zu erfassen, bevor sie verloren sind."[6]

Diese Fähigkeit zur Antizipation durch das frühzeitige Aufspüren latenter oder eingetretener Veränderungen (Chancen und/oder Risiken) sowie deren Bewertung auf die Unternehmensentwicklung schafft die Voraussetzung für eine wirksame Vorsteuerung. Nach Reeves und Whitaker ist dies ein wesentliches Prinzip und Unterscheidungsmerkmal resilienter gegenüber weniger resilienten Unternehmen (s. Abb. 1).[7]

Abb. 1: Unterschiede resilienter und weniger resilienter Unternehmen in Anlehnung an Reeves[8]

[1] Vgl. Courtney/Kirkland/Viguerie, 1997, S. 67ff.; Probst/Gomez, 1999, S. 11ff.; Hamel/Välikangas, 2003, S. 52ff.; de Geus, 1988, S. 70ff.; Slywotzky/Drzik, 2005, S. 36 ff.; Nagel/Wimmer, 2009, S. 10ff.
[2] Vgl. Reeves/Deimler, 2011, S. 134ff.; Hamel/Välikangas, 2003, S. 52ff.
[3] Vgl. Gleißner, 2021, S. 33ff.
[4] Vgl. Michailov/Grabow, 2020, S. 56ff.; Pauli/Shahabuddin, 2020, S. 16ff.; Michailov, 2020, S. 1ff.
[5] Vgl. Probst/Gomez, 1999, S. 210ff.; Nagel/Wimmer, 2009, S. 69ff.
[6] Krystek/Müller-Stevens, 1993, S. 2.
[7] Vgl. Reeves/Whitaker, 2020, S. 6ff.
[8] Vgl. Reeves/Whitaker, 2020, S. 7.

1.2 Herausforderungen der Vorsteuerung

"Niemand kann die Zukunft vorhersagen."

Lat. Sprichwort

Unternehmen, die wirksame strategische und operative Früherkennung sowie Vorsteuerung in die Controlling-Praxis integrieren wollen, stehen vor einer Vielzahl von Herausforderungen.[1]

Die erste Herausforderung entsteht durch den grundsätzlichen Widerspruch bzw. der Paradoxie, ein zumindest akzeptables Niveau von Strategie- und Planungssicherheit in einem unsicheren und komplexen Umfeld zu erzeugen (s. Abb. 2).[2]

Abb. 2: Paradoxien der Strategieentwicklung und Planung

Die zweite Herausforderung besteht darin, dass zum Umgang mit bzw. zur Auflösung dieser Planungsunsicherheiten eine nahezu unendliche Fülle von Daten und Informationen zur Verfügung steht, aber genau die Erfassung und Verarbeitung dieser Informationen die Komplexität der Annahmen für die Planung weiter erhöht. In der Controlling-Praxis gewinnt der Umgang mit vielschichtigen Datensätzen durch Business Analytics und Business Intelligence daher massiv an Bedeutung. Ziel dieser Ansätze ist es, Prognosequalitäten zu erhöhen und Entscheidungsgrundlagen zu verbessern.[3]

Die dritte Herausforderung betrifft die am Strategie-/Risikomanagementprozess und an der Planung beteiligten Personen selbst. Die gute Absicht, komplexe Informationen zur Erhöhung der Planungsgüte und Unsicherheitsreduktion zu interpretieren und in konkrete Planungsannahmen zu überführen, erhöht das Risiko für die Planenden, oftmals – unbewusst – negativen Effekten sozialer Dynamiken und kognitiven Verzerrungseffekten zu unterliegen. Diese Effekte sind oftmals Ursache für die berühmt-berüchtigten Hockeystick-Planungen.[4]

Diese Erkenntnisse aus der Psychologie sowie der Entscheidungs- und Systemtheorie fließen zunehmend in moderne Ansätze der Strategieentwicklung, Risikofrüherkennung, Planung und in der Budgetierung unter dem Stichwort des Behavioral Accountings ein.[5] Zudem verweisen wir auch auf das Konzept der dangerous implicit assumptions von McGrath und MacMillan. In diesem Ansatz wird explizit auf die Gefahr von festen Paradigmen und unreflektierten Annahmen für Strategieentwicklung und Planung hingewiesen.[6] Schwenker und Wulf beschreiben die Bedeutung dieser Phänomene für die Vorsteuerung wie folgt: "A major task in any strategic planning process is thus to challenge existing perceptions and ...

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