Der integrative Steuerungsansatz (Integrated Thinking) führt in verschiedenen Aspekten zu Veränderungen in der Art, wie wir Prozesse definieren und wie wir sie steuern. Neue Aspekte des Prozessmanagements sind:

  • Der prozessorientierte Ansatz in der ISO 900 ff. stößt an seine Grenzen.
  • Prozesse schaffen Freiräume für Menschen erst dann, wenn die Organisation nicht nur technisch verändert wird.
  • Eine höhere Individualisierung führt zu fragmentierten Prozessmodellen.
  • Agile Prozesse führen zu anderen Formen der Kooperation.
  • Prozesse der Mensch-Maschine-Kooperation werden häufiger.
  • Die deutliche Erhöhung der Geschwindigkeit verstärkt den Automatisierungsdruck auf die Prozesse.
  • Es entstehen unternehmensübergreifende Prozesse mit differenzierten Wirkungsstufen.

Einige Punkte wollen wir im Folgenden kurz erläutern.

Der prozessorientierte Ansatz in der ISO 9000 ff. stößt an seine Grenzen

Die ISO 9001 als wesentliche Grundlage für die Beschreibung von Managementsystemen postuliert die Prozessorientierung als den Kern der unternehmerischen Leistungserstellung. Die im Qualitätsmanagement erfolgreich eingesetzte Turtle-Methode beschreibt die wesentlichen Elemente eines Prozesses (s. Abb. 14).

Abb. 14: Turtle-Diagramm zur Beschreibung bzw. Analyse von Prozessen[1]

Die Anwendung des prozessorientierten Ansatzes der ISO 9000 ff. stellt wesentliche generische Anforderungen an jede Tätigkeit im Unternehmen:

  • Jeder Prozess hat einen Kunden für den definierten Output.
  • Der Prozess-Output liefert dem Kunden einen klaren Mehrwert/Nutzen, sodass der Kunde (grundsätzlich)) bereit ist, für den Output mindestens so viel Geld zu bezahlen, wie die Herstellung des Outputs gekostet hat.

Ziel aller Prozesse ist die für das Unternehmen wirtschaftliche und beherrschte Herstellung von Produkten und Dienstleistungen, die Zufriedenheit bei Kunden und interessierten Parteien erzeugen.

Prozesse schaffen damit klar definierte Ziele für die Leistungserbringung. Mit Leistungsindikatoren können Prozesse mithilfe des PDCA-Kreislaufs auf diese Ziele hin gesteuert werden. Für diese Steuerungsaufgabe gibt es klare Verantwortlichkeiten in Form von Rollen im Prozess und für den Prozess.

Soweit der Grundsatz. Die Anforderungen dezentralisierter Entscheidungsprozesse in sehr (kunden-)individuellen Situationen stellen diese einfache Steuerbarkeit in Frage.

Prozesse schaffen Freiräume für Menschen

Prozessbeschreibungen definieren, wie Prozesse ablaufen und wer darin welche Aktivitäten ausführt, welche IT-Systeme zu nutzen sind etc. Je nach Granularität dieser Beschreibungen ergeben sich Möglichkeiten der Automatisierung. Es entsteht damit ein Trend, in vielen Prozessen die menschlichen Aktivitäten von den technischen Vorgängen zu entkoppeln. Für die Menschen verbleiben jene Tätigkeiten, die Empathie-getrieben sind und nicht automatisiert werden können. Sie füllen dann die "Lücken der Granularität" und öffnen zusätzliche Freiräume, die vordem durch Routinetätigkeiten verbaut waren.

Dies ist zunächst ein Vorteil für die betroffenen Menschen, birgt aber zugleich ein hohes Risikopotenzial. Menschen in klassischen Rollen können entstehende Freiräume meist nicht sofort nutzen; zu viele Organisationsanweisungen und kulturell geprägte Verhaltensweisen stehen dem im Wege. Automatisierung allein verändert die Organisation nur im technischen Sinne. Für die Veränderung der formalen Rahmenbedingungen und kulturellen Prägungen braucht es entsprechende Führung. Eine integrative Unternehmenssteuerung muss dazu immer wieder Impulse geben, indem sie Handlungspotenziale aufzeigt und die gemeinsame Erarbeitung und Umsetzung von Lösungsansätzen initiiert und konsequent begleitet.

Für die Umsetzung der Prozesse sind Menschen erforderlich, die miteinander kooperieren. Menschliche Kooperation aber kann nicht technisch gesteuert werden, wie Prozesse. Sie bedarf der Kommunikation, die zwar durch technische Prozesse begleitet werden kann, aber selbst keinen steuerbaren Prozess darstellt. Kommunikation wird durch vielfältige, oft spontan entstehende Einflüsse geprägt und ist nicht nur davon abhängig, was der eine sagt und meint, sondern ebenso davon, was der andere hört und versteht. Das erfordert viel Aufmerksamkeit von allen Beteiligten, um gemeinsam im Unternehmen in dieselbe Richtung arbeiten zu können. Und Aufmerksamkeit erfordert Zeit für bewusste Zuwendung. Die Automatisierung von Routineprozessen kann diese Zeit freisetzen. Die bewusste Zuwendung kann keine Automatisierung bewirken. Darauf immer wieder den Fokus zu legen und Konsequenz vorzuleben, liegt wiederum in der Verantwortung der obersten Führungsebene.

Am Ende kann ein hocheffektives und zugleich hocheffizientes Unternehmen stehen, in dem die Menschen große Freiräume genießen und die Sachprozesse weitgehend automatisiert sind. Ohne engagierten Einsatz aller an der Unternehmenssteuerung Beteiligten wird es allerding nicht oder nur ansatzweise zu realisieren sein.

[1] Fleig, 2018.

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