"Quick-Freeze“ soll Vorratsdatenspeicherung ersetzen

Das BMJ hat einen Referentenentwurf zur Datenspeicherung im Quick-Freeze-Verfahren vorgelegt. Danach sollen beim Verdacht erheblicher Straftaten relevante Telekommunikationsdaten umgehend bei den Providern eingefroren werden können.

Anlass der von Bundesjustizminister Marco Buschmann vorangetriebenen Initiative zur Speicherung von Daten zum Zweck der Kriminalitätsbekämpfung ist ein kürzlich ergangenes Urteil des EuGH, der die anlasslose Vorratsdatenspeicherung in Deutschland als Verstoß gegen europäische Grundrechte und damit für rechtswidrig erklärt hat (EuGH, Urteil v. 20.9.2022, C-793/19 u. C-794/19).

Quick-Freeze als EU-Recht-kompatible Vorratsdatenspeicherung

Als Konsequenz aus dem Urteil des EuGH befürchten staatliche Ermittlungsbehörden eine erhebliche Erschwerung bei der Aufklärung von schweren Straftaten. Mit dem vom BMJ vorgeschlagenen Quick-Freeze-Verfahren soll die Speicherung ermittlungstechnisch wichtiger Kommunikationsdaten in Fällen schwerer Kriminalität im Internet temporär möglich sein, ohne dabei die Vorgaben des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung zu verletzen.

Quick-Freeze als Schnellverfahren zur Sicherung von Daten

Nach dem nun vom BMJ erarbeiteten Gesetzentwurf sollen zur Verfolgung erheblicher Straftaten wie Mord, Erpressung oder sexualisierter Gewalt gegen Kinder sogenannte Verkehrsdaten ad hoc eingefroren werden können, indem der Gesetzgeber die Telekommunikationsanbieter verpflichtet, bei einem Anfangsverdacht nach richterlicher Anordnung Daten zu einzelnen Nutzern für einen bestimmten Zeitraum zu speichern.

Welche Daten sollen eingefroren werden?

Gegenstand der Datenspeicherung im Quick-Freeze-Verfahren sollen die sogenannten Verkehrsdaten sein, das sind in erster Linie die verwendeten IP-Adressen, die für die Ermittlungsbehörden häufig entscheidend sind. Mit diesen Daten lassen sich kriminelle Aktivitäten im Netz bestimmten Person zuordnen.

Was ist neu?

Im Zentrum der geplanten Änderungen steht die Neufassung des § 100g StPO über die Erhebung von Verkehrsdaten und die Sicherungsanordnung. Mit der Neufassung dieser Vorschrift sollen die gegen EU-Recht verstoßenden und inzwischen ausgesetzten Regelungen der Vorratsdatenspeicherung gemäß bisherigem § 100g Abs. 2 StPO sowie die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung in § 175-181 TKG komplett aufgehoben werden.

Neues Instrument der Sicherungsanordnung

Gemäß dem geplantem  § 100g Abs. 5 StPO-E wird das Instrument einer Sicherungsanordnung bereits vorhandener und künftig anfallender Verkehrsdaten eingeführt.

  • Die Anordnung darf gemäß § 100g Abs. 5 Satz 1 StPO ohne Wissen des Betroffenen getroffen werden.
  • Diese Datensicherung soll nur anlassbezogen zur Verfolgung von erheblichen Straftaten, die gemäß § 100a Abs. 2 StPO einer Telekommunikationsüberwachung zugänglich sind, sowie
  • bei Vorliegen zureichender tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche Straftat erfolgen.
  • Die Maßnahme soll darüber hinaus der Anordnung eines Richters (Richtervorbehalt) bedürfen. Bei Gefahr im Verzuge genügt die Anordnung eines Staatsanwalts, die innerhalb von 3 Tagen durch einen Richter bestätigt werden muss.

Differenzierung der Speichervoraussetzungen nach Deliktsschwere

Im geplantem  § 100g Abs. 1 Satz 1 StPO-E soll ausschließlich die Befugnis zur Speicherung von Verkehrsdaten wegen des Verdachts von Straftaten von erheblicher Bedeutung geregelt werden. Der neu gefasste § 100g Abs. 2 Satz 1 StPO-E regelt die weitergehende Befugnis zur Erhebung von Verkehrsdaten wegen des Verdachts mittels Telekommunikation begangener Straftaten, also weniger schwerwiegender als der in Abs. 1 genannten Straftaten.

Strengere Speichervoraussetzungen bei weniger bedeutenden Straftaten

§ 100g Abs. 2 StPO-E sieht für die Speicherung von Daten beim Verdacht weniger schwerer Straftaten eine restriktivere Prüfung der Verhältnismäßigkeit vor und erlaubt die Verkehrsdatenerhebung ausschließlich „zur Erforschung des Sachverhalts“. In § 100g Abs. 2 Satz 2 StPO-E wird klargestellt, dass die Erhebung von Standortdaten in diesem Kontext ausgeschlossen ist. Zulässig soll die Erhebung von Standortdaten künftig nur noch bei Bestehen eines Anfangsverdachts hinsichtlich einer der in § 100a Abs. 2 StPO bezeichneten schweren Straftaten sein.

Quick Freeze soll zu deutlicher Reduzierung der Datenmenge führen

Mit der Reform möchte das BMJ gegenüber der bisherigen allgemeinen anlasslosen Vorratsdatenspeicherung vor allem die Menge der zu speichernden Daten deutlich begrenzen:

  • Eingefroren werden sollen nur die bei den Anbietern der Telekommunikationsdienste bereits vorhandenen und künftig anfallenden Verkehrsdaten.
  • Die Sicherungsanordnung soll darüber hinaus die zu sichernden Daten auf solche beschränken, die für die weitere Ermittlung von Bedeutung sind oder sein können.
  • Die Sicherung ist zeitlich auf maximal einen Monat begrenzt.
  • Sie erstreckt sich gemäß neuem § 175 Abs. 2 TKG-E sowohl auf die Verkehrsdaten eines Beschuldigten als auch auf die Verkehrsdaten von anderen Personen, wobei die Auswertung nur für Daten solcher Personen erlaubt wird, gegen die sich ein konkreter Tatverdacht ergeben hat oder die als Nachrichtenübermittler anzusehen sind.

Berufsgeheimnisträger bleiben weiterhin geschützt

Der Schutz von zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern soll auch nach der Reform gewährleistet bleiben. Maßnahmen gegen diesen Personenkreis bleiben gemäß § 100g StPO auch künftig unzulässig.

BMJ betont Übereinstimmung mit EuGH Rechtsprechung

Das BMJ legt Wert auf die Übereinstimmung der geplanten Gesetzesnovelle mit der Rechtsprechung des EuGH. Dieser habe in seiner Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung betont, dass in bestimmten Situationen die Speicherung von Daten zur Aufklärung schwerer Straftaten erforderlich sein kann. Dies gelte nicht nur für bereits festgestellte Straftaten, sondern auch bei dem begründeten Verdacht des Bevorstehens oder der Planung schwerer Straftaten. In seiner Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung habe der EuGH ausdrücklich das Recht der Mitgliedstaaten statuiert, in einer solchen Gefährdungssituation den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste mittels einer Entscheidung der zuständigen Behörde, die einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterliegen müsse, die Sicherung der ihnen zur Verfügung stehenden Verkehrs- und Standortdaten aufzugeben. Diesen Vorgaben werde der vorgelegte Entwurf gerecht.

Gesetzentwurf in der Koalition noch umstritten

Die außerparlamentarische Kritik an dem Gesetzentwurf fällt bisher moderat aus. Nicht wenige NGOs (u.a. „netzpolitik.org“) begrüßen den Gesetzentwurf. In der Ampelkoalition selbst ist der Gesetzentwurf allerdings nicht unumstritten. Aus Sicht der Bundesinnenministerin Nancy Faeser enthält der Gesetzentwurf zu weitgehende Einschränkungen für die künftige Speicherung von Vorratsdaten insbesondere bei der Speicherung von IP-Adressen und der Speicherung ortsbezogener Daten (Flughäfen, Bahnhöfe), die der EuGH ausdrücklich gestattet habe. Der Entwurf befindet sich zur Zeit in der Ressortabstimmung.