Vorratsdatenspeicherung – ein Überblick

Wie erwartet, hat der EuGH am 20.9.2022 die deutsche Vorratsdatenspeicherung für unzulässig erklärt und festgestellt, dass eine anlasslose Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten in Deutschland mit dem EU-Recht unvereinbar ist. Allerdings hat das Gericht mögliche Alternativen zugelassen, um die nun in der Ampel-Koalition gerungen wird.

Kurze Historie zur Vorratsdatenspeicherung

Die Vorratsdatenspeicherung wurde in Deutschland 2007 mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung eingeführt, aber nach heftigen Protesten 2010 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Die erneute Einführung der Vorratsspeicherung wurde 2015 mit einem neuen Gesetzentwurf vorbereitet, der zwar verabschiedet, aber nie umgesetzt wurde: Kurz vor dem geplanten Inkrafttreten am 1.7.2017 wurde die Vorratsdatenspeicherung von der Bundesnetzagentur 28.6.2017 ausgesetzt, weil diese absehbar gegen die europäische Rechtsprechung verstieß. Seit 2014 hatte der EuGH immer wieder entschieden, dass die anlasslose Speicherung der Verbindungsdaten von Telefon und Internet der gesamten Bevölkerung unverhältnismäßig und daher rechtswidrig ist, und 2016 eine Grundsatzentscheidung getroffen, nach der die Vorratsdatenspeicherung nicht mit den EU-Grundrechten vereinbar ist.

Vorratsdatenspeicherung: Was wird gespeichert?

Gegenstand der Vorratsdatenspeicherung sind personenbezogene Daten der gesamten Bevölkerung, die vorsorglich gespeichert werden, ohne dass es dafür einen konkreten Anlass gibt. Die anlasslose Datenspeicherung soll dazu dienen, dass Straftaten besser nachvollzogen und schneller aufgeklärt werden: Liegt der Verdacht einer schweren Straftat vor, können Behörden und Ermittler über den vorhandenen Datenbestand auf die Daten einzelner Personen oder bestimmter Personengruppen zugreifen.

Die personenbezogenen Daten, die Internetprovider und Telekommunikationsdienste im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung speichern und eine bestimmte Zeit vorhalten müssen, sind:

  • allgemeine Standortdaten und die IP-Adresse jedes Nutzers bei Internetverbindungen,
  • Rufnummer, Uhrzeit und Dauer jedes Telefonats
  • Rufnummer, Sende- und Empfangszeiten jeder Textnachricht.

Bei der Vorratsdatenspeicherung sollen nur die Verbindungsdaten, aber keine Inhalte gespeichert werden.

Vorratsdatenspeicherung: Wie lange werden Daten gespeichert?

Die Speicherdauer ist abhängig von der Art der Daten: Standortinformationen sollen vier Wochen lang, personenbezogene Informationen zehn Wochen lang vorgehalten werden. Sind die vorgeschriebenen Fristen abgelaufen, sollen die Daten nachweislich gelöscht werden.

Pro und Contra der Vorratsdatenspeicherung

Die Vorratsdatenspeicherung sorgt bereits seit Jahren für heftige politische Auseinandersetzungen, weil sie grundsätzliche Rechtsauffassungen und Grundrechte betrifft. Für die Befürworter stehen die Vorteile der verbesserten Terrorabwehr, der Erleichterung der Aufklärung von Verbrechen und der Sicherheitsgewinn durch Überwachung im Vordergrund. Für die Gegner sind Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte, der Generalverdacht gegen die Bevölkerung und die Einschränkung der Freiheit durch Überwachung inakzeptabel.

Aktuelles EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung

Nachdem der EuGH bereits in mehreren anderen Urteilen, die sich auf andere europäische Länder bezogen, eine pauschale, anlasslose Datenspeicherung für unzulässig erklärt hat (etwa EuGH, Urt. v. 6.10.2020, C-511/18), hat dieser am 22.9.2022 in seinem Urteil zur deutschen Vorratsdatenspeicherung seine bisherige Rechtsprechung bestätigt (EuGH, Urt. v. 20.9.2022, C-793/19 und C-794/19). Der EuGH beanstandet an den einschlägigen deutschen Regelungen im Telekommunikationsgesetz (TKG), dass Verkehrs- und Standortdaten, die zehn bzw. vier Wochen lang gespeichert werden, sehr genaue Rückschlüsse auf das Privatleben zulassen und es möglich wird, Persönlichkeitsprofile zu erstellen. Allerdings hat der EuGH Ausnahmen zugelassen. Manche Formen der Vorratsdatenspeicherung sollen doch zulässig sein, wenn es um den Schutz der nationalen Sicherheit, um die Bekämpfung schwerer Kriminalität oder den Schutz der öffentlichen Sicherheit geht. Erlaubt ist auch die vorsorgliche Speicherung von IP-Adressen, wenn sie zeitlich auf das absolut Notwendigste begrenzt wird. Der EuGH erlaubt auch das Quick-Freeze-Verfahren, das schon 2011 von der damaligen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) als Gesetzentwurf vorgelegt, aber vom Koalitionspartner CDU/CSU abgelehnt wurde.

Vorratsdatenspeicherung: IP-Adressen-Speicherung und Quick-Freeze

Die IP-Adresse ist eindeutige Zuordnungsadresse (z.B. 124.23.323.43), die bei Privatleuten jeweils neu vergeben wird, wenn sie sich ins Internet einwählen. Sie ist notwendig, damit ein Endgerät überhaupt mit einem Internetserver kommunizieren kann. Wenn im Zusammenhang mit einer Straftat eine bestimmte IP-Adresse auftaucht, können die Ermittler herausfinden, welcher Provider zu diesem Zeitpunkt die IP-Adresse an welchen Nutzer vergeben hat. Früher haben Provider die IP-Adressen zu Abrechnungszwecken meist wochenlang gespeichert. Doch seit Einführung von Flatrate-Tarifen ist dies nicht mehr nötig. Die meisten Provider speichern die vergebenen IP-Adressen nur noch maximal sieben Tage, manche Provider speichern sie gar nicht mehr. Hier soll die IP-Adressen-Speicherung die Lösung bringen. Wenn die Internetfirmen die IP-Adressen mindestens zehn Wochen speichern müssen, sind sie in der Regel vorhanden, wenn die Ermittler sie brauchen.

Wenn Strafverfolgungsbehörden bei privaten Telekommunikationsunternehmen gespeicherte Daten erlangen wollen, brauchen sie dafür den Beschluss eines Richters. Ist der nicht rechtzeitig zu erhalten, löscht das Unternehmen die Daten. Bei "Quick Freeze" können die Strafverfolger im Alleingang eine Speicheranordnung im Einzelfall treffen, die den Löschprozess sofort aufhält. Die Daten werden eingefroren. Ist dann erfolgreich ein richterlicher Beschluss dazu eingeholt, dürfen sie aufgetaut und genutzt werden. Dabei dürfen auch die Daten anderer, unverdächtiger Personen gespeichert werden, sofern diese zur Aufdeckung beitragen können. Dazu gehören laut EuGH auch Daten des Opfers einer Straftat sowie seines Umfelds. Der EuGH hat dieses Modell nun noch einmal ausdrücklich gebilligt.

Vorratsdatenspeicherung: Stand der aktuellen Diskussion

Die politischen Reaktionen auf das EuGH-Urteil erfolgten prompt. FDP und Grüne sahen sich in ihren Positionen bestätigt. Justizminister Marco Buschmann (FDP) ordnete die Entscheidung als „historisch“ ein und sprach von „einem guten Tag für die Bürgerrechte“. Die Grünen-Fraktion bewertete das Urteil als „eine erneute herbe Klatsche“ für alle Befürworter der anlasslosen Datenspeicherung. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) verwies hingegen darauf, dass der EuGH klargestellt habe, dass IP-Adressen gespeichert werden dürften, um schwere Kriminalität bekämpfen zu können, und drängte darauf, dass diese Möglichkeiten nun auch genutzt werden müssten. Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CDU), forderte einen zügigen Gesetzentwurf der Bundesregierung und wies auch darauf hin, dass das EuGH-Urteil eine „befristete Pflicht zur Speicherung von IP-Adressen“ zuließe.

Die Vorratsdatenspeicherung war eines der umstrittensten Themen bei den Koalitionsverhandlungen der Ampel. Die SPD hätte am liebsten auf eine Festlegung verzichtet, doch die FDP bestand auf einer Festlegung. Im Koalitionsvertrag heißt es: „Angesichts der gegenwärtigen rechtlichen Unsicherheit, des bevorstehenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs und der daraus resultierenden sicherheitspolitischen Herausforderungen werden wir die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können.“

Innenministerin Faeser will nun auch nach dem EuGH-Urteil noch eine Vorratsdatenspeicherung. Justizminister Buschmann ist dagegen der Ansicht, dass eine IP-Adressen-Speicherung nicht „anlassbezogen“, sondern anlasslos sei und auch gegen den Koalitionsvertrag verstoße. Er schlägt als Alternative das Quick-Freeze-Verfahren vor. Sollten sich das federführende Justizministerium und das Bundesinnenministerium nicht auf einen Kompromiss einigen können, wird es wohl auch weiterhin keine Vorratsdatenspeicherung in Deutschland geben. Kommt ein Kompromiss zustande, könnte die Vorratsdatenspeicherung auch im Einklang mit dem EuGH-Urteil durchaus weitreichend sein.

Schlagworte zum Thema:  Vorratsdatenspeicherung, IT-Recht, IT-Sicherheit