Neue Beratungsfelder: Die Kanzleiführung der Zukunft

Dr. Andreas Nagel hat sich als Steuerberater auf die betriebswirtschaftliche Beratung mittelständischer Unternehmen spezialisiert. Im Interview spricht er über fachliches Wissen rund um die strategische Gestaltung des Beratungsgeschäfts, welches er auch in Seminaren und Workshops an Berufskolleg:innen weitergibt.

Herr Nagel, welche Organisationsform halten Sie in der Steuerberatungsbranche für besonders zukunftsfähig?

Andreas Nagel: Meines Erachtens sind das die Organisationsformen, in denen mehrere Berufsträgerinnen und Berufsträger zusammenarbeiten. Dabei ist es egal, ob sie als Sozietät, Partnerschaftsgesellschaft oder Steuerberatungs-GmbH organisiert sind. Für die Einzelkanzlei wird es immer schwieriger, die stetig komplexer werdenden Aufgaben zu bewältigen. Damit meine ich nicht nur die fachlichen Fragen, denn die gab es schon immer. Problematisch ist aber die Fülle an zusätzlichen Aufgaben, etwa in den Bereichen Digitalisierung, Datenschutz, Geldwäsche oder KI. 

Sehen Sie gar keine Chance mehr für Einzelkämpfer:innen?

Diese Themen als Einzelberater:in zu bewältigen, ist eine große fachliche und zeitliche Herausforderung, Für Kanzleien, die nicht das gesamte Beratungsspektrum abdecken möchten, kann die Spezialisierung auf bestimmte Branchen oder bestimmte Beratungsfelder eine sinnvolle Alternative sein. Wer dies nicht möchte, aber bereit ist, sich mit Sozien abzustimmen und Entscheidungen gemeinsam zu treffen, dem würde ich hingegen zum Zusammenschluss mit Berufskollegen raten.

Gelingt dieser Zusammenschluss immer ohne Weiteres?

Das größte Problem besteht meist darin, einen Sozius zu finden, mit dem man fachlich und menschlich harmonisch zusammenarbeiten kann. Dies setzt identische Vorstellungen über die zukünftige Kanzleistrategie, über Kanzleiziele und über die Art der Kanzleiführung voraus. Die Suche nach einem passenden Sozius kann insbesondere in ländlichen Regionen schwierig sein. Alternativ ist aber auch eine Kooperation mit spezialisierten Berufskollegen oder mit verwandten Berufsgruppen wie Rechtsanwälten, oder Unternehmensberatern möglich.

Erfolgsrezept der Steuerberatung: Alles nutzen, was Technologien bieten

Wie sieht eine erfolgversprechende Geschäftsstrategie von 2024 bis 2027 aus?

Zunächst sollte der Fokus auf den klassischen Geschäftsfeldern sowie deren weitgehender Automatisierung und Digitalisierung liegen. Hier gilt es, alles zu nutzen, was moderne Technologien bieten. Der Mandant weiß schließlich um die digitale Buchführung und den reduzierten Arbeitsaufwand für die Kanzlei und wird zunehmend preissensibler. Um Deckungsbeiträge stabil zu halten, gilt es daher, die Digitalisierung der Geschäftsprozesse so weit wie möglich voranzutreiben und auch die Möglichkeiten zu nutzen, die sich durch KI ergeben. Daneben sollte der Aufbau neuer Beratungsfelder treten. Was früher betriebswirtschaftliche Tipps bei der Jahresabschlussbesprechung waren, muss zu einem strukturierten betriebswirtschaftlichen Beratungsangebot ausgebaut werden.

Welche Beratungsfelder sind hier von besonderem Interesse?

Im Grunde die gesamte Palette dessen, was auf den bereits vorhandenen Zahlen der Buchführung aufbaut: Kostenrechnung, Unternehmensplanung und Finanzierung. Anfang 2021 ist das Stabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) in Kraft getreten. Es enthält unter anderem für GmbH-Geschäftsführer die Pflicht, ein Krisenfrüherkennungssystem einzurichten. Dazu gehört insbesondere eine Unternehmensplanung. Dies den Mandanten zu vermitteln und ein entsprechendes Angebot zu machen, eröffnet zusätzliche Beratungsfelder. 

Wie lässt sich die betriebswirtschaftliche Beratung angesichts knapper Ressourcen auf- und ausbauen?

Der Hauptengpass ist für die meisten Kanzleien der Faktor ‚Zeit‘ und der Aufbau des fachlichen Know-how. Letzteres fällt denjenigen leichter, die ein betriebswirtschaftliches Studium absolviert haben. Der erstmalige Aufbau eines neuen Beratungsangebots und die Schaffung von Arbeitshilfen ist in den meisten Fällen zunächst einmal „Chefsache“. Danach können einzelne Tätigkeiten oft an Mitarbeitende delegiert werden. Oder die Kanzlei stellt einen Mitarbeiter mit betriebswirtschaftlicher Ausbildung ein, der alle betriebswirtschaftlichen Beratungsaufträge bearbeitet.

Betriebswirtschaftliche Tipps von Steuerberatern: Mehr als ein Goodie

Wo liegen die Hauptschwierigkeiten beim Aufbau eines Beratungsangebots – in der Vermarktung, in der Angebotsstrukturierung oder in der tatsächlichen Leistungserbringung?

Wenn betriebswirtschaftliche Tipps in der Vergangenheit eine kostenlose ‚Zugabe‘ zur steuerlichen Beratung waren und jetzt zu einer selbständigen und abrechenbaren Beratungsleistung werden sollen, dann muss dieses Beratungsangebot entsprechend strukturiert und präsentiert werden. Für den Mandanten muss erkennbar sein, dass das Beratungsangebot etwas anderes ist als das, was es bisher schon kostenlos gab. Mit Musterauswertungen und Arbeitshilfen für den Mandanten kann der konkrete Nutzen der Beratung oft gut kommuniziert werden.

In welchen Schritten lässt sich der Aufbau eines solchen Geschäftsfelds am besten bewerkstelligen?

Zunächst ist die Frage zu beantworten, welche vereinbarten Tätigkeiten in das Beratungsangebot der Kanzlei passen und sowohl fachlich als auch zeitlich bewältigt werden können. Schritt zwei ist dann die Aneignung des erforderlichen Know-hows über Seminare, Webinare oder Literatur. Schritt drei ist die personelle Entscheidung, wer die neue Beratungstätigkeit erbringen soll: Welche Tätigkeiten kann nur der Kanzleiinhaber erbringen und welche Tätigkeiten sind an Mitarbeiter zu delegieren? Im vierten Schritt geht es darum, zu entscheiden, ob die Beratungsleistung innerhalb der Kanzlei erbracht  wird oder ob dafür eine eigene Gesellschaft gegründet werden soll. Letzteres lohnt sich erst, wenn die betriebswirtschaftliche Beratung in größeren Umfang erfolgen soll. Schritt fünf ist dann die Vermarktung.

Dr. Andreas Nagel

Wie sollte die Vermarktung idealerweise aussehen?

Steuerliche Beratungsleistungen muss der Mandant zur Erfüllung seiner steuerlichen Verpflichtungen in Anspruch nehmen. Für die betriebswirtschaftliche Beratung gibt es eine derartige Verpflichtung nicht. Der Mandant kann frei entscheiden, ob er diese zusätzliche Beratung in Anspruch nehmen möchte und ob er bereit ist, dafür ein zusätzliches Honorar zu zahlen. Diese Bereitschaft wird nur bestehen, wenn dem Mandanten der konkrete Nutzen der Beratung dargestellt werden kann. Dies kann durch entsprechende Beratungsunterlagen erfolgen, zum Beispiel eine Broschüre, eine Beispielberatung oder eine Musterauswertung, aus der erkennbar ist, wie die Beratung ablaufen wird und welche Leistung der Mandant für sein Honorar erhält.

Gibt es einen oder mehrere Hauptfehler, die es zu vermeiden gilt?

Die Beratung muss qualitativ wirklich gut sein, denn der Mandant kann die Qualität einer betriebswirtschaftlichen Beratung deutlich besser beurteilen als die Qualität der steuerlichen Beratung. Wenn die betriebswirtschaftliche Beratung nicht so gut ist, wie erwartet, besteht die Gefahr, dass der Mandant daraus Rückschlüsse auf die Qualität der steuerlichen Beratung zieht und hier ebenfalls mangelnde Qualität vermutet. Diesen ‚Imagetransfer‘ von der betriebswirtschaftlichen auf die steuerliche Beratung gilt es unbedingt zu vermeiden, denn sonst verliert die Kanzlei wegen schlechter betriebswirtschaftlicher Beratung im schlimmsten Fall sogar das steuerliche Mandat.

Schlagworte zum Thema:  Steuerberatung, Unternehmensführung