Nachhaltigkeitsberatung: "Von der verpflichtenden zur gewollten Nachfrage"
Herr WP/StB Lüngen, was sind gerade die aktuellen Beratungsanlässe und -fragen im Bereich der Nachhaltigkeit?
Lüngen: Aktuell sehen wir einen stark wachsenden Bedarf an Nachhaltigkeitsberatung bei KMU. Die Nachfrage ist viel höher als etwa vor drei Jahren, wenngleich sie nach dem Koalitionsbruch etwas nachgelassen hat. Allerdings freuen wir uns besonders darüber, dass wir nun viele Anfragen haben, die nicht auf die unmittelbare Verpflichtung abzielen, sondern aktiv etwas tun wollen. Es gab sozusagen einen Wechsel von der verpflichtenden hin zur gewollten Nachfrage.
Was die Arbeit ja etwas einfacher machen dürfte, oder?
Viele, die jetzt kommen, identifizieren sich mit den Positionen der Politik, das erlaubt eine andere Herangehensweise. Auf der anderen Seite treffen wir aber auch auf etliche Mandanten, die schon in Teilbereichen Dinge erarbeitet haben, manchmal vor dem Hintergrund nicht unerheblicher Softwareinvestitionen. Hier gilt es, zu erklären, welche Bereiche noch fehlen, oftmals sind diese zum Beispiel Dokumentationen zu Arbeitnehmerrechten oder andere Dinge aus dem Sozialbereich.
Stellen Sie eine Veränderung durch die neuen Rahmenbedingungen fest?
Die neuen Rahmenbedingungen haben das Thema Nachhaltigkeit endgültig vom nice-to-have zum Muss gemacht: Der gesetzliche Druck verstärkt sich durch den Referentenentwurf zum CSRD-Umsetzungsgesetz mittels der indirekten Betroffenheit von KMU. Außerdem sehen sie sich den Stakeholder-Erwartungen ausgesetzt: Kunden, Investoren und Mitarbeiter legen immer mehr Wert auf Nachhaltigkeit. Last but not least spielt auch die Finanzierung eine Rolle, da Nachhaltigkeitskriterien auch bei der Kreditvergabe immer wichtiger werden.
Wenn man aber einmal in die Historie der CSRD schaut, so stellt man fest, dass Nachhaltigkeit lange ein Thema der Werbeabteilungen war, das hat dazu geführt, dass die Berichterstattung im alten Lagebericht vom Marketing überlagert war, der Anschein der Nachhaltigkeit immer besser wurde, sich de facto aber gar nichts geändert hat. Deshalb kamen die gesetzlichen Standards. Dafür, dass der Anwendungsbereich so groß und so viele Unternehmen betroffen wurden, zeichnet die Großindustrie verantwortlich: Diese hatte aus eigenem Wettbewerbsinteresse gefordert, die Schwelle zur Berichterstattungspflicht möglichst klein zu halten.
Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
Diese unterschiedlichen Entwicklungen und Trends führen zu einer steigenden Nachfrage nach unserer Beratung und zu einer Professionalisierung unserer Arbeit. Grundsätzlich bieten wir unsere Beratungsleistung nicht nach Einheitskonzepten an, sondern arbeiten immer individuell in einem Coaching mit den Mandanten. Es ist auch wichtig, die Regulatorik nicht zu über-erfüllen. Deshalb orientieren wir uns derzeit am VSME-Standard, bei dem sich aber erst noch zeigen muss, ob er ausreicht, später den Standards zu genügen.
Derzeit laufen dazu die Beratungen in Brüssel, ich vermute, dass wir möglicherweise in zwei oder drei Monaten hier klarer sehen werden. Und noch ein Punkt: Wenn ein VW oder die Deutsche Bank heute Lieferanten einen Standard vorgibt, dann erfüllen ihn jene natürlich, wenn sie nicht ausgelistet werden wollen.
Welche Mandanten sind für die Beratung empfänglich beziehungsweise geeignet?
Grundsätzlich kann jedes KMU von einer Nachhaltigkeitsberatung profitieren. Besonders geeignet sind aber mehrere Gruppen: Zum ersten KMU, die sich proaktiv positionieren wollen; sie sehen Nachhaltigkeit als Chance und wollen Vorreiter sein. Dann folgen KMU, die unter Handlungsdruck geraten sind. Sie müssen den Anforderungen ihrer Stakeholder gerecht werden. Außerdem sind natürlich KMU mit engagierten Führungskräften perfekt: Denn der persönliche Einsatz der Unternehmensleitung ist letztlich entscheidend. Spannend sind auch KMU mit einem starken Fokus auf Innovation. Jene erkennen nämlich, dass Nachhaltigkeit neue Geschäftsmodelle ermöglicht.
Wie positionieren Sie sich als Kanzlei für Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung in der aktuellen Lage mit dem Geschäftsfeld "Nachhaltigkeitsberatung"?
Wir haben die Nachhaltigkeit als Beratungsthema schon seit über drei Jahren in unsere Jahresgespräche integriert und bekommen auch Anfragen von außerhalb der bestehenden Mandantschaft. Bei der Beratung selbst müssen wir dann unterscheiden: Haben wir auch das Prüfungsmandat, dann endet diese mit der abstrakten Informationsvermittlung über die anzuwendenden Normen und wir stehen insoweit als Sparringspartner zur Verfügung. Es soll ein Verständnis über die Standards vermittelt werden und der Mandant in die Lage versetzt werden eigenständig die doppelte Wesentlichkeitsanalyse durchzuführen, zu erkennen was mögliche Messpunkte sind und wer im Unternehmen welche Informationen haben könnte. Diese abstrakt aufbereitete Wissensvermittlung halten wir noch für ok und mit dem Prüfungsmandat vereinbar, da hier der späteren Prüfungshandlung nicht vorgegriffen wird.
Haben wir nur das Beratungsmandat und prüfen den Bericht anschließend nicht, gehen wir gemeinsam mit den Mandanten den Weg weiter und übernehmen das Projektmanagement bis zum ersten Konzeptbericht. Danach wollen wir im Grunde auch hier raus sein; es ist für uns kein Dauermandat, denn der Mandant sollte das Thema in den Folgejahren selbstständig umsetzen können.
Mit welchen Mitarbeitenden bieten Sie diese Beratung an, und was ist Ihr Benefit als Kanzlei?
Unser Team in der Nachhaltigkeitsberatung besteht aus einem Wirtschaftsprüfer, der gleichzeitig ESG-Fachmann ist, zwei weiteren WPs und außerdem vier Prüfungsassistenten. Durch diese Beratungsleistung gewinnen wir als WPs noch einen weiteren Bereich hinzu, wo wir tief ins Unternehmen einsteigen können. Zudem können wir auch auf unsere Netzwerkpartner zurückgreifen, sollten komplexere Sachverhalte und ein größerer Projektbedarf vorliegen.
Grundsätzlich ist es auch gar nicht negativ, wenn sich die Dinge hier langsam entwickeln, dann kommt es nicht zu einer Verfloskelung, wie sie es teilweise in den Berichten der DAX-Unternehmen heute beobachten können, wo Text und Zahl gelegentlich überhaupt nicht zusammenpassen. Dafür brauchen wir aber eine andere Fehlerkultur, den Mut, auch über, von den Prüfern festgestellten Verbesserungen zu sprechen und diese umzusetzen. Diese Fehlerkultur ist für die Unternehmen aber auch für die interessierte Öffentlichkeit geboten, damit Verbesserungsvorschläge transparent berichtet werden können und aus Vorschlägen Taten werden. In der finanziellen Berichterstattung wird auch, wenn sich das Betriebsergebnis halbiert, darüber konkret berichtet, um zu erkennen, wo Veränderungen in den Geschäftsprozessen notwendig sind.
Was raten Sie Unternehmen ganz allgemein in der derzeitigen Situation?
Meine Überzeugung ist es, dass Unternehmen, die sich auf Dauer zukunftsfähig positionieren wollen, nicht umhinkommen, sich dem nachhaltigen Zeitgeist anzupassen. Die angestrebte Synchronisation von nationalem Lieferkettengesetz (LkSG) und EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) begrüße ich insbesondere, da die vorgesehene Reduktion des Anwenderkreises aus Sicht des Mittelstandes einen pragmatischen Ansatz darstellt.
Schließlich kann niemand unangekündigt in einer Vorstadt in Bangladesch irgendwelche Fotos von Zulieferbetrieben machen – das war doch ohnehin immer klar. Der übliche Passus ist dann eben 'Wir haben intern in Bangladesch Schwächen festgestellt und sind dabei, diese zu beheben.' Ich persönlich glaube: Unternehmen, die Teile ihrer Produktion in kritische Länder ausgelagert haben, fürchten sich mehr vor Social Media und einem potenziellen Shitstorm als vor Sanktionen nach CSRD.
Auf der anderen Seite muss ich aber auch sagen: Den Stuckateurbetrieb, der seit 1965 hier im Ruhrgebiet tätig ist, interessiert es nicht, ob sein Zement – der ein Prozent seiner Kosten ausmacht – in Kasachstan umweltverträglich produziert worden ist oder nicht, der muss zusehen, dass er Mitarbeitende findet und für diese entsprechend passende Aufträge.
Gibt es ein paar Tipps, die jedes Unternehmen schnell umsetzen kann, die aber die Arbeit später erleichtern?
Ich weise immer darauf hin, die Kosten für die Erstellung des verpflichtenden ESG-Reportings bereits als Rückstellungen im Vorjahr zu bilden. Dies vor dem Hintergrund, dass bei Verbräuchen, also insbesondere von Energieressourcen, wichtig, die Zähler schon zu Beginn des berichtspflichtigen Jahres zu installieren – sonst haben Sie ja am Ende keine Werte. Klingt alles eher banal, wird aber in der Praxis öfter übersehen.
Die Dr. Stallmeyer GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft hat ihren Hauptsitz in Köln und unterhält eine Zweigniederlassung in Mönchengladbach, zudem Beratungsstellen in Düsseldorf und Erkelenz. Das Beratungsunternehmen beschäftigt derzeit rund 60 Mitarbeitende und hat sich in diesem Jahr der Afileon Gruppe angeschlossen.
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