BSG-Urteil: Sozialleistungsträger Straftäter nicht haftbar machen

Führt strafbares Verhalten zu einer Leistungserbringung nach dem SGB II, hat das nicht immer eine Ersatzpflicht zur Folge. Nur "sozialwidriges Verhalten" mit spezifischem Bezug zur Leistungserbringung führt zur Ersatzpflicht.

Wegen einer im Juli 2003 begangenen Straftat (Diebstahl, vorsätzliche Körperverletzung, versuchte Vergewaltigung) wurde der 1973 geborene Kläger zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren auf Bewährung verurteilt. Unter dem Verdacht, die Geschädigte (erneut) telefonisch kontaktiert zu haben, wurde er von Januar 2005 bis März 2005 in Untersuchungshaft genommen. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 24.1.2005.

Kostenersatz wegen schuldhaftem Verhalten 

Der Sozialhilfeträger bewilligte für Ehefrau und Tochter vom Mitte Februar bis Ende März 2005 SGB II-Leistungen und verlangte vom Kläger "Kostenersatz wegen schuldhaften Verhaltens" von 1.477,41 EUR. Dieser habe den Verlust des Arbeitsplatzes durch seine Haft und in der Folge die Hilfebedürftigkeit von Ehefrau und Kind grob fahrlässig selbst herbeigeführt habe.

LSG: Sozialwidriges Verhalten ohne wichtigen Grund

Das Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main hob die Ersatzbescheide auf. Der Sozialleistungsträger legte beim Hessisches Landessozialgericht Berufung ein. Das Urteil des SG wurde abgeändert und die Klage abgewiesen. Der Kläger habe durch seine strafbare Handlung (§ 34 SGB II) sozialwidrig und zumindest grob fahrlässig gehandelt. Zum Zeitpunkt des sozialwidrigen Verhaltens (Straftat im Jahre 2003) und bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit (Untersuchungshaft im Jahre 2005) bestand Bedarfsgemeinschaft mit der Ehefrau und dem Kind, diese bestand auch während der Haft fort.

BSG: Nicht immer Ersatzpflicht bei verwerflichem Verhalten 

Das Bundessozialgericht gab der Revision des Klägers statt (Urteil v. 2.11.2012, B 4 AS 39/12 R). Denn nicht jedes verwerfliche Verhalten, das zu einer Leistungserbringung nach dem SGB II führt, hat eine Ersatzpflicht zur Folge - lediglich "sozialwidriges Verhalten" mit spezifischem Bezug zur Leistungserbringung. Dies gelte seit der Neufassung der Kostenersatzpflicht bei Einführung des Bundessozialhilfegesetzes.

Rechtsanspruch auf existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen

Die Anwendung des § 34 Abs. 1 SGB II ist eingeschränkt, weil bei existenzsichernde und nur bedarfsabhängigen Leistungen ein Rechtsanspruch besteht und diese grundsätzlich unabhängig von Ursache und etwaigen vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit zu leisten sind. Dieser Grundsatz darf nicht durch eine weitreichende Ersatzpflicht unterlaufen werden.  

Verhalten des Klägers sollte keine Bedürftigkeit herbeiführen

Das Verhalten des Klägers könne nicht als sozialwidrig im Sinne des § 34 SGB II eingestuft werden, obwohl es verwerflich sei. Die im Mittelpunkt stehenden Straftaten hat keine spezifische Beziehung bzw. inneren Zusammenhang zur Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II. Die zur Inhaftierung im Januar 2005 führende Straftat hatte nicht das Ziel, dass die Erwerbsfähigkeit oder -möglichkeit wegfällt und so Hilfebedürftigkeit entsteht..

BSG
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