Entscheidungsstichwort (Thema)
Anteilige Gehaltsberechnung im Krankheitsfalle
Leitsatz (redaktionell)
Endet der Gehaltsfortzahlungsanspruch des Angestellten im Krankheitsfalle nach Ablauf der Sechs-Wochen-Frist (§ 63 HGB, § 616 Abs 2 BGB, § 133c GewO) an einem Tage während des laufenden Monats, so ist der anteilige Gehaltsanspruch in der Weise zu berechnen, daß das monatliche Bruttogehalt durch die in dem betreffenden Monat tatsächlich anfallenden Arbeitstage geteilt und der sich danach ergebende Betrag mit der Anzahl der krankheitsbedingt ausgefallenen Arbeitstage multipliziert wird (konkrete Berechnungsweise auf der Grundlage des Lohnausfallprinzips).
Normenkette
HGB § 63; BGB § 616; GewO § 133c; LFZG § 2 Abs. 1-2, § 1 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 03.04.1984; Aktenzeichen 7 Sa 1924/83) |
ArbG Bielefeld (Entscheidung vom 09.08.1983; Aktenzeichen 1 Ca 841/83) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, wie die Krankenbezüge des Klägers in der Zeit vom 1. bis zum 22. Februar 1983 zu berechnen sind. Tarifvertraglich ist die Berechnung des anteiligen monatlichen Gehalts im Krankheitsfalle nicht geregelt.
Der Kläger ist seit dem 1. April 1964 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Druckindustrie, als Angestellter beschäftigt. Sein monatliches Bruttogehalt belief sich zuletzt auf 4.231,-- DM; seine monatliche Gesamtvergütung betrug - unter Einschluß verschiedener Zulagen - 5.201,50 DM brutto.
Der Kläger war vom 12. Januar bis zum 28. Februar 1983 arbeitsunfähig krank. Die Beklagte gewährte ihm Krankenbezüge für die Dauer von sechs Wochen bis zum 22. Februar 1983. Bei der Berechnung der anteiligen Bezüge des Klägers für den Monat Februar ging sie von dem Divisor 22 aus (= Anzahl der monatlichen Arbeitstage im Jahresdurchschnitt). Sie teilte das dem Kläger zustehende monatliche Gesamtbruttogehalt durch 22 und multiplizierte den auf diese Weise ermittelten Betrag mit der Anzahl der in den Fortzahlungszeitraum fallenden Arbeitstage (= 16). Demgemäß zahlte sie dem Kläger für die Zeit vom 1. bis zum 22. Februar 1983 ein Bruttogrundgehalt in Höhe von 3.077,12 DM nebst den anteiligen Zulagen.
Demgegenüber ist der Kläger der Ansicht, er müsse während der fraglichen Zeit so gestellt werden, wie wenn er, ohne krank zu sein, gearbeitet hätte. In diesem Falle hätte er an 16 von im Monat Februar 1983 möglichen 20 Arbeitstagen gearbeitet. Daher müßten bei der Berechnung seines anteiligen Gehaltsanspruchs die im Monat Februar 1983 tatsächlich angefallenen 20 Arbeitstage zugrunde gelegt werden: Bei dem Divisor 20 und dem Multiplikator 16 errechne sich dann ein Grundgehalt von 3.384,80 DM brutto. Den aus den unterschiedlichen Berechnungsweisen folgenden Differenzbetrag (einschließlich der anteiligen Zulagen) von - rechnerisch unstreitig - 374,40 DM verlangt der Kläger mit seiner Klage. Demgemäß hat er beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn
374,40 DM brutto nebst 4 % Zinsen
seit dem 1. März 1983 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die von ihr gewählte Durchschnittsberechnung mit dem Divisor 22 könne nicht beanstandet werden, da sie im Jahresdurchschnitt zu einem ausgeglichenen und damit gerechten Ergebnis führe. Diese Berechnungsweise entspreche im übrigen auch den tarifvertraglichen Vorschriften für die Berechnung des zusätzlichen Urlaubsgeldes, in denen ausdrücklich der Divisor 22 bestimmt werde (§ 9 Ziffer 2 Abs. 2 MTV für Angestellte der Druckindustrie im Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Januar 1980). Die vom Kläger vertretene Berechnungsmethode stehe nicht im Einklang mit dem Prinzip des Monatsgehaltes. Mit dem Monatsgehalt solle die im Laufe des Monats unterschiedlich erbrachte Arbeitsleistung unabhängig von der Anzahl der Kalender- und Arbeitstage abgegolten werden. Für einen Arbeitstag im Monat Februar werde keine höhere Vergütung geschuldet als für sonstige Arbeitstage in anderen Monaten, obwohl der Arbeitnehmer für das gleichbleibende Gehalt in den übrigen Monaten unterschiedlich lange arbeiten müsse.
Im übrigen könne der Grundsatz, der Angestellte müsse die Vergütung so erhalten, als wäre er an der Arbeitsleistung nicht verhindert gewesen, bei Teilgehaltsberechnungen nicht uneingeschränkt gelten. Aus Billigkeitsgründen müsse zur Vereinfachung der Berechnungsweise der Tagesvergütung ein Durchschnittswert zugrunde gelegt werden können. Andernfalls sei der Arbeitgeber gezwungen, in allen Fällen der Teilgehaltsberechnung jeweils eine manuelle Abrechnung vorzunehmen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Gehaltsfortzahlungsanspruch zu.
I. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 HGB behält der kaufmännische Angestellte seinen Anspruch auf Gehalt, wenn er durch unverschuldetes Unglück an der Leistung der Dienste verhindert wird, jedoch nicht über die Dauer von sechs Wochen hinaus. Als Unglück im Sinne der genannten Bestimmung ist in erster Linie Krankheit zu nennen (vgl. statt vieler BAG 11, 12 = AP Nr. 22 zu § 63 HGB, zu III 1 der Gründe; Kaiser/Dunkl, Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, 2. Aufl., II Rz 44, 46, 47). Der am 12. Januar 1983 erkrankte Kläger hat daher - worüber zwischen den Parteien im Grunde auch kein Streit besteht - Anspruch auf Gehaltsfortzahlung bis einschließlich 22. Februar 1983.
II. 1. Das Gesetz regelt nicht, was zum Gehalt im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 1 HGB gehört, und auch nicht, wie die Höhe des Anspruchs zu errechnen ist; entsprechendes gilt für die Bestimmungen des § 616 Abs. 2 Satz 1 BGB und § 133 c Satz 1 GewO. In allen diesen Fällen ist jedoch bei der Ermittlung der Anspruchshöhe davon auszugehen, daß der Angestellte diejenige Vergütung erhalten soll, die er verdient hätte, wenn er nicht an der Leistung der Dienste verhindert gewesen wäre; er soll nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden, als wenn er in dieser Zeit gearbeitet hätte (st. Rspr. des Bundesarbeitsgerichts, vgl. Urteil vom 12. Oktober 1956 - 2 AZR 464/54 - AP Nr. 4 zu § 63 HGB - sowie aus neuerer Zeit Urteil vom 4. Oktober 1978 - 5 AZR 886/77 - AP Nr. 11 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie, zu 3 a der Gründe, mit zahlreichen weiteren Nachweisen; ferner Schmatz/-Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl., L 402; Kaiser/Dunkl, aaO, I § 1 Rz 87; Feichtinger, AR-Blattei, Krankheit III, Lohn- und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle, E II 1). Dieser Gedanke, den der Gesetzgeber auch in § 2 Abs. 1 und Abs. 2 LohnFG für das Recht der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle verankert hat und der sich unter der Bezeichnung "Lohnausfallprinzip" eingebürgert hat, ist auch für die Berechnung der anteiligen Gehaltshöhe im Krankheitsfalle maßgeblich. Daher ist von den verschiedenen Berechnungsmethoden derjenigen der Vorzug zu geben, welche dieser gesetzgeberischen Vorstellung am nächsten kommt.
2. Im Schrifttum werden für die hier vorzunehmende Berechnung unterschiedliche Wege aufgezeigt. So wollen Hessel/Marienhagen die Anspruchshöhe in der Weise ermitteln, daß das Monatsgehalt durch die Zahl der im Jahresdurchschnitt auf einen Monat entfallenden Arbeitstage und Wochenfeiertage geteilt wird. Diese Methode soll am ehesten gerechte Ergebnisse gewährleisten, weil sie - im Gegensatz zur Stundenberechnung - mit nur einem einzigen Durchschnittswert, nämlich den durchschnittlichen monatlichen Arbeitstagen im Kalenderjahr (zum Beispiel 1980 22 Arbeitstage) auskommt (Krankheit im Arbeitsrecht, 4. Aufl., S. 73 f.). Diesen Weg hat die Beklagte beschritten.
Töns vertritt eine Berechnungsart, bei der nicht auf Arbeitstage, sondern auf Kalendertage abgestellt wird. Danach ist für jeden Kalendertag der auf ihn nach der Zahl der Tage des Monats entfallende Bruchteil des Monatsbetrages des Arbeitsentgelts zu zahlen (Die wirtschaftliche Sicherung der Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit, C 166). Für den Streitfall würde dies bedeuten, daß der Kläger 22/28 seiner Bezüge verlangen könnte (Grundgehalt 3.324,36 DM gegenüber dem Betrag von 3.384,80 DM, den der Kläger errechnet - ohne anteilige Zulagen). Diese Berechnungsweise ist in § 36 Abs. 2 BAT für Teilansprüche vorgesehen.
Schmatz/Fischwasser (aaO, L 402) und Kaiser/Dunkl (aaO, I § 1 Rz 87) schlagen eine konkrete Berechnungsweise vor: Der Angestellte solle für jeden Tag des Arbeitsausfalls das für diese Zeit zu leistende Monatsgehalt, geteilt durch die Zahl der Arbeitstage mit Gehaltsanspruch einschließlich der gesetzlichen Feiertage erhalten. Das Monatsgehalt wird danach durch die Zahl der jeweiligen Arbeitstage (einschließlich der gesetzlichen Feiertage) geteilt und der so ermittelte Betrag mit der Anzahl der tatsächlich ausgefallenen Arbeitstage multipliziert (vgl. auch MünchKomm-Schaub, § 616 Rz 103). Für den Streitfall ergibt das die Berechnung 16/20 von 4.231,-- DM = 3.384,80 DM. Diese Methode hat der Kläger aufgegriffen.
Die zuletzt aufgezeigte Berechnungsmethode stellt mit ihrer konkreten Betrachtungsweise auf die jeweiligen Verhältnisse ab und berücksichtigt damit das Lohnausfallprinzip am genauesten. Sie verdient folglich gegenüber anderen Berechnungsarten den Vorzug.
III. Die von der Beklagten vorgenommene pauschalierte Berechnungsweise, die von einem Durchschnittswert ausgeht, gelangt nur zu Annäherungswerten, ohne daß dies durch sachliche Gründe zwingend geboten wäre.
1. Eine pauschalierte Berechnungsweise wird nicht durch das Prinzip des Monatsgehalts veranlaßt. Zwar hat der Senat in der Entscheidung vom 28. Februar 1975 (5 AZR 213/74 - AP Nr. 1 zu § 628 BGB Teilvergütung) ausgeführt, mit einem Monatsgehalt werde regelmäßig die im Laufe eines Monats vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung unabhängig von der in dem betreffenden Monat gegebenen Zahl von Arbeits-, Werk- oder Kalendertagen in gleichbleibender Höhe abgegolten, daher könne bei der Berechnung der Tagesvergütung von einem Durchschnittswert ausgegangen werden. Dieser Entscheidung lag jedoch eine andere Fallgestaltung zugrunde. Vor allem aber hat der Senat entscheidend darauf abgestellt, daß es sich bei der Berechnungsweise des damaligen Streitfalles um eine betriebsübliche handelte und deshalb das Einverständnis des Arbeitnehmers mit der vom Arbeitgeber geübten Praxis unterstellt werden konnte (aaO, zu 2 der Gründe). Darüber hinaus hat der Senat einschränkend klargestellt, für bestimmte einzelne Tatbestände, wie die Gehaltszahlung im Krankheitsfalle, könne sich durch Gesetz etwas anderes ergeben.
2. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, daß die pauschalierte Berechnungsmethode durch die einschlägige tarifvertragliche Bestimmung über das zusätzliche Urlaubsgeld (§ 9 Ziffer 2 Abs. 2 MTV für Angestellte der Druckindustrie im Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Januar 1980) vorgegeben werde. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, haben die Tarifvertragsparteien damit lediglich einen Tatbestand behandelt, der gesetzlich nicht geregelt ist und der daher auch nicht auf die Lohnfortzahlungsbestimmungen ausgedehnt werden kann.
3. Eine Pauschalregelung läßt sich schließlich auch nicht mit dem Hinweis auf eine gewisse Arbeitserleichterung für den Arbeitgeber rechtfertigen. Zwar macht die konkrete Methode die Bestimmung der im jeweiligen Monat anfallenden Arbeitstage erforderlich. Die pauschale Berechnungsweise verlangt dagegen stets eine Bestimmung der jahresdurchschnittlichen - allerdings auch unterschiedlichen - Zahl von Arbeitstagen im Monat (vgl. Hessel/Marienhagen, aaO, S. 74 Fußnote 248). Bereits daraus wird deutlich, daß der Arbeitsaufwand beider Berechnungsvorgänge sich nicht wesentlich unterscheidet.
Dr. Gehring Michels-Holl Schneider
Prof. Dr. Krems Wengeler
Fundstellen
Haufe-Index 440083 |
DB 1986, 130-131 (Leitsatz 1 und Gründe) |
NJW 1986, 2906 |
ARST 1986, 134-135 (Leitsatz 1 und Gründe) |
BlStSozArbR 1985, 361-362 |
NZA 1986, 231-232 (Leitsatz 1 und Gründe) |
AP § 63 HGB (Leitsatz 1 und Gründe), Nr 40 |
EzA § 63 HGB, Nr 38 (Leitsatz 1 und Gründe) |