Rz. 42
Als weitere kumulativ zu erfüllende Voraussetzung, ohne deren Vorliegen ein Anspruch auf Elterngeld nicht besteht, muss nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 die Betreuung und Erziehung des Kindes durch den Anspruchsteller selbst erfolgen. Dies ist nur konsequent, soll doch das Elterngeld eine Unterstützung bei der Sicherung der Lebensgrundlage darstellen und Einkommensausfälle kompensieren, die mit der Betreuung des Kindes in der ersten Lebensphase verbunden sind. Dann ist es aber richtig, die Betreuungs- und Erziehungsleistung den Anspruchsberechtigten selbst abzuverlangen.
Rz. 43
§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ist vor dem Hintergrund des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zu sehen, wonach Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern sind und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Betreuung wird als die "allgemeine Beaufsichtigung, Pflege und Versorgung des Kindes" definiert, während unter den Begriff der Erziehung "die Sorge für die Ausbildung und Bildung durch Entfaltung der Fähigkeiten des Kindes" fällt.
Rz. 44
Der Umstand, dass die Betreuung und Erziehung durch den Berechtigten selbst zu erfolgen hat, schließt nicht aus, dass sich der Berechtigte der Hilfe von Dritten bedient.
Betreuung durch eine Tagesmutter ist unschädlich
M und F sind beide berufstätig. Nach der Geburt des K geht M seiner Beschäftigung uneingeschränkt weiter nach, während F ihre Erwerbstätigkeit nur noch in Teilzeit fortführt. Während der Abwesenheit der F kümmert sich von Montag bis Mittwoch an den Vormittagen eine Tagesmutter um K, donnerstags und freitags hält sich K bei seiner Oma auf. In der übrigen Zeit ist F für K da. An den Abenden und am Wochenende widmet sich auch M dem K. Kann hier noch von einer Betreuung und Erziehung des K durch F ausgegangen werden?
Lösung
Obwohl F den K nur an den Nachmittagen alleine um sich hat, steht dies einer Betreuung und Erziehung durch F selbst i. S. d. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 nicht entgegen. Denn hiermit ist keineswegs die alleinige Betreuung und Erziehung durch den Anspruchsberechtigten gemeint.
Rz. 45
Dieses Ergebnis lässt sich nachvollziehbar mit der Ausrichtung des BEEG begründen. Denn durch das BEEG sollen nach dem Willen des Gesetzgebers die Chancen für Männer verbessert werden, "aktive Väter zu sein"; gleichzeitig soll es "einen Beitrag für die Gleichstellung der Geschlechter leisten". Dem würde es zuwiderlaufen, wenn der jeweils Berechtigte sicherstellen müsste, dass er die Betreuung und Erziehung alleine und ausschließlich übernimmt. Dadurch würden nicht nur die tatsächlichen Lebensverhältnisse vernachlässigt, der Gesetzgeber würde zudem in einer mit Art. 6 Abs. 2 GG nicht in Einklang zu bringenden Art und Weise jeweils einem Elternteil faktisch die ausschließliche Betreuung und Erziehung zuweisen und damit den Eltern die "Erziehungsverantwortung" entziehen. Denn es steht den Eltern zu, darüber zu befinden, ob einem von ihnen (überwiegend) oder beiden die Betreuungs- und Erziehungsverantwortung – ggf. unter Zuhilfenahme Dritter – zufällt. Dies schließt auch die Entscheidung darüber ein, zu welchem Zeitpunkt, in welchem Umfang und welcher Intensität dies erfolgen soll.
Rz. 46
Dass der Gesetzgeber selbst von einer zumindest teilweisen "Delegation" von Betreuung und Erziehung ausgeht, zeigt sich auch daran, dass er die Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Umfang von durchschnittlich 32 Wochenstunden zulässt (§ 1 Abs. 6). Denn dies hat – zumindest bei Eltern, bei denen der andere Teil voll berufstätig ist – zwangsläufig die Betreuung und Erziehung durch Dritte zur Folge. Deren Personenkreis darf durchaus als weit bezeichnet werden, insbesondere ist er nicht auf (nahe) Angehörige beschränkt, sondern kann z. B. auch Betreuungspersonal in Kinderkrippen und Tagesmütter und -väter umfassen.
Rz. 47
Obwohl hinsichtlich des Merkmals der Betreuung und Erziehung keine Vorgaben zeitlicher Art bestehen, darf die Zuwendung zum Kind in Gestalt von Betreuung und Erziehung "nicht von ganz untergeordneter Bedeutung" sein. Selbst wenn das Kind vom Berechtigten nicht zeitlich überwiegend betreut und erzogen werden muss, wird man doch eine wesentliche Einflussnahme verlangen müssen.
Rz. 48
Das Gesetz erfasst indes nicht nur die Situationen, in denen Betreuung und Erziehung ohne Weiteres durch die Eltern wahrgenommen werden können. Für den Fall, dass die Eltern des Kindes verstorben sind oder wegen einer schweren Krankheit oder Schwerbehinderung ihr Kind nicht betreuen können, haben nach § 1 Abs. 4 Verwandte bis zum 3. Grad und ihre Ehegatten Anspruch auf Elterngeld, wenn sie die übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 erfüllen und von anderen Berechtigten Elterngeld nicht in Anspruch genommen wird. Unterdessen bestimmt § 1 Abs. 5, dass der Anspruch auf Elterngeld unberührt bleibt, wenn die Betreuung und Erziehung des Kindes aus einem wichtigen Grund nicht sofort aufgenommen werden kann oder wenn sie unterbrochen werden muss.