Entscheidungsstichwort (Thema)
Annerkennung von Gesundheitsschäden, die ein Kriegsbeschädigter als Fahrer eines Kraftfahrzeugs bei einem Verkehrsunfall erlitten hat, als mittelbare Schädigungsfolgen
Beteiligte
…, Kläger und Revisionskläger |
Tatbestand
G r ü n d e :
I
Streitig ist, ob das beklagte Land die Gesundheitsschäden, die der kriegsbeschädigte Kläger als Fahrer eines Kraftfahrzeugs bei einem Verkehrsunfall erlitten hat, als mittelbare Schädigungsfolgen anerkennen muß.
Bei dem Kläger ist ua der Verlust des rechten Armes mit sehr kurzem Stumpf als Schädigungsfolge anerkannt. Die Fahrerlaubnis wurde ihm mit der Auflage erteilt, daß er nur ein Kraftfahrzeug führen darf, das mit Automatik-Getriebe, mit einem linksseitigen Handbremshebel und mit einem Drehknopf am Lenkrad ausgerüstet ist. Am 12. Januar 1977 kam er mit einem so ausgerüsteten Wagen von der Straße ab und prallte gegen einen Baum. Dabei erlitt er erhebliche Verletzungen, die ua zur vollständigen Erblindung führten.
Der Kläger meint, die Blindheit und weitere Gesundheitsschäden müßten als Schädigungsfolgen anerkannt werden. Zu dem Unfall sei es nämlich deshalb gekommen, weil ihm an einer Bodenunebenheit das Lenkrad aus der Hand geglitten sei, und er nicht mehr rechtzeitig habe zugreifen können. Dieses Versagen liege daran, daß ihm die rechte Hand fehle.
Die Versorgungsverwaltung lehnte den Versorgungsantrag mit der Begründung ab, der Kläger sei als Führer eines Kraftfahrzeugs wegen der Zusatzeinrichtungen nicht durch die Armamputation beeinträchtigt gewesen (Bescheid vom 29. September 1982, Widerspruchsbescheid vom 23. Dezember 1982). Das Sozialgericht [SG] (Urteil vom 16. Juli 1987) hat ein Gutachten des Technischen Überwachungsvereins ua zu der Frage eingeholt, ob der Unfall nicht passiert oder anders abgelaufen wäre, wenn die anerkannten Schädigungsfolgen nicht vorhanden gewesen wären. Der Gutachter ist zu dem Ergebnis gekommen, daß gewichtigere Gründe dafür sprächen, daß der Unfall ähnlich verlaufen wäre. Das SG hat der Klage stattgegeben, weil der Kläger wegen seiner Einarmigkeit in der Unfallsituation nicht in der Lage gewesen sei, das instabile Fahrverhalten seines Pkws zu kompensieren. Das ergebe sich aus dem Gutachten. Das Landessozialgericht [LSG] (Urteil vom 28. September 1989) hat die Klage - ebenfalls unter Hinweis auf das Gutachten - mit der Begründung abgewiesen, es sei zwar möglich, aber nicht hinreichend wahrscheinlich, daß es dem Kläger als Beidhänder gelungen wäre, das Fahrzeug in der kritischen Situation zu beherrschen.
Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. September 1989 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16. Juli 1987 zurückzuweisen. |
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Das beklagte Land beantragt,
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die Revision des Klägers zurückzuweisen. |
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Die Beteiligten sind mit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger keinen Anspruch auf Versorgung wegen des Unfalls hat, der ihm als Fahrer eines Pkws zugestoßen ist. Für den Unfall und seine Folgen ist die als Kriegsbeschädigung anerkannte Armamputation nicht die wesentliche Ursache. Das folgt aus dem von dem LSG festgestellten Unfallhergang, wie ihn der Kläger selbst schildert: Sein Wagen hat durch die Bodenunebenheiten an einem Bahnübergang einen Ruck bekommen. Dadurch ist dem Kläger das Steuerrad ganz oder teilweise aus der Hand geglitten. Es ist ihm nicht gelungen, das Steuerrad rechtzeitig wieder fest zu fassen und den Wagen in die richtige Bahn zu lenken. Der Wagen ist frontal gegen einen Straßenbaum geprallt.
Das ist ein Unfall, bei dem ohne Beweiserhebung erkannt werden kann, daß seine wesentliche Ursache in den typischen Gefahren des Kraftfahrzeugverkehrs liegt. Diese, die Gefahren des Alltagslebens und des Fußgängerverkehrs übersteigenden Gefahren, haben den Gesetzgeber veranlaßt, ein eigenständiges Rechtsgebiet zu schaffen, in dem individuelle Besonderheiten des einzelnen Kraftfahrers und des einzelnen Kraftfahrzeughalters im Streitfall grundsätzlich nicht geltend gemacht werden können. Es ist durch die Gefährdungshaftung nach dem Straßenverkehrsgesetz dafür gesorgt, daß ein durch ein Kraftfahrzeug geschädigter Dritter grundsätzlich auch dann seinen Schaden ersetzt bekommt, wenn der Fahrer etwa aufgrund einer Behinderung schuldlos gehandelt hat. Durch die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) ist Vorsorge dafür getroffen, daß sich Behinderungen der Fahrers im Straßenverkehr möglichst nicht schadenstiftend auswirken können. Die Behinderungen sind - wie auch im vorliegenden Fall - durch Sonder- und Zusatzeinrichtungen auszugleichen (vgl §§ 11a und 12 StVZO). Wenn dieser Ausgleich nicht voll gelingt und eine Fahrerlaubnis trotzdem erteilt wird, ist dem behinderten Fahrer die Pflicht auferlegt, durch besondere Sorgfalt beim Fahren die ihm bekannten Mängel auszugleichen (§ 3 Abs 1 Satz 2 Straßenverkehrsordnung).
Aus diesen Regelungen ergibt sich mittelbar, daß die Entschädigungsverpflichtung des Staates für die Folgen von Kriegsleiden nicht die Gesundheitsstörungen erfaßt, die der Kriegsbeschädigte als Fahrer eines Kraftfahrzeugs bei einem Verkehrsunfall erleidet.
Entgegen der Meinung des LSG ist die Entschädigung eines kriegsbeschädigten Fahrers nicht erst dann auszuschließen, wenn aufgrund verkehrstechnischer Überlegungen festgestellt werden kann, daß der Unfall dem Fahrer ohne Vorschädigung nicht oder nicht mit ähnlichen Folgen zugestoßen wäre. Wäre die Entscheidung wirklich von solchen Feststellungen über den tatsächlichen und den hypothetischen Unfallhergang abhängig, so wäre auf die gegen diese Feststellungen des LSG gerichteten Rügen des Klägers einzugehen. Es müßte geprüft werden, ob sich das LSG genügend mit der Aussage des Sachverständigen befaßt hat, daß der Kläger als Beidhänder die Gefahrensituation mit einiger Wahrscheinlichkeit beherrscht hätte und daß jedenfalls die Unfallfolgen am Kopf weniger schwerwiegend gewesen wären.
Es kann aber unterstellt werden, daß der Kläger als Beidhänder den Unfall nicht, jedenfalls nicht mit den erheblichen Folgen, erlitten hätte. Denn auch dann darf die kriegsbedingte Einarmigkeit nicht als wesentliche Ursache des Unfalls und seiner Folgen beurteilt werden.
Ob ein Kriegsleiden für ein weiteres Leiden ursächlich war, dh ob sog mittelbare Schädigungsfolgen vorliegen, ist zunächst eine Rechts- und keine Tatfrage. Es ist die Frage, ob das weitere Leiden unter Umständen entstanden ist, die noch zum Schutzbereich des Kriegsopferrechts zählen. Das ist dann sicher, wenn sich ein Kriegsleiden verschlimmert oder wenn sich aus einem Kriegsleiden ein weiteres Leiden entwickelt. In diesen Fällen hängt die Entscheidung im Einzelfall in aller Regel nur von der medizinischen Frage ab, ob die Verschlimmerung oder das weitere Leiden tatsächlich auf das anerkannte Leiden zurückzuführen ist. Haben andere Ereignisse mitgewirkt, ist das Gewicht dieser Mitwirkung im Verhältnis zum anerkannten Leiden zu beurteilen (vgl die Darstellung der Rechtsprechung bei Fehl in Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, § 1 BVG, RdNr 94). Daß der Schutzbereich auch Unfälle des täglichen Lebens erfaßt, bedarf ebenfalls keiner besonderen Begründung.
In anderen Fallgruppen, in denen das Ereignis, das in Verbindung mit der Schädigungsfolge zu einer weiteren Schädigung führte, ein besonderes Gewicht hat, ist der Kausalzusammenhang als Zurechnungszusammenhang (vgl dazu Deutsch, JZ 1992, 97) besonders zu begründen. Sie kann zu dem Ergebnis führen, daß die Entschädigung auch dann zu versagen ist, wenn feststeht, daß der Kläger ohne die Vorschädigung nicht weiter geschädigt worden wäre. So hat sowohl das BSG (Urteil vom 25. November 1965 - 9 RV 526/64, SGb 1966, 20) unter Hinweis auf die Wesentlichkeitstheorie in der Kriegsopferversorgung wie auch der Bundesgerichtshof (Urteil vom 24. April 1952 - III ZR 100/51, NJW 1952, 1010) unter Hinweis auf die Adäqanztheorie im Schadensersatzrecht in Fällen entschieden, in denen sich der Kläger ohne die Vorschädigung einem Sprengstoffattentat bzw einem Artilleriebeschuß möglicherweise hätte entziehen können.
Bei einem Unfall eines kriegsbeschädigten Fußgängers im Straßenverkehr, bei dem das Kriegsleiden, aber auch grob verkehrswidriges Verhalten des Beschädigten selbst zusammengewirkt haben, hat das BSG (BSGE 48, 187) den Zurechnungszusammenhang sowohl allgemein als auch in dem Einzelfall bejaht. Es hat dies vor allem damit begründet, daß einem Kriegsbeschädigten als Fußgänger grundsätzlich keine bestimmten Auflagen gemacht werden dürfen. Er darf und soll im Hinblick auf den Rehabilitationsgedanken des Kriegsopferrechts ohne besondere Hilfen bis an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit gehen. Anders hat das BSG in Fällen der Teilnahme am Kraftfahrzeugverkehr entschieden. Es hat bestätigt, daß den Hinterbliebenen eines armamputierten Beschädigten, der beim Fahren mit einem Kleinkraftrad zu Tode gekommen ist, die Entschädigung zu versagen ist (Urteil vom 26. Februar 1959 - 9 RV 96/55, KOV 1959, 157). Für den Kraftfahrzeugverkehr ist die Frage, wieweit von einem Beschädigten verlangt werden kann, die Mängel, die sich aus der Beschädigung ergeben, auszugleichen, durch das Gesetz beantwortet. Sie sind in vollem Umfang durch Zusatzeinrichtungen und besondere Sorgfalt auszugleichen.
Diese Verpflichtung hat nicht nur zur Folge, daß der Beschädigte gehindert ist, sich gegenüber dem aus einem Unfall Schadensersatzberechtigten auf seine Behinderung zu berufen; auch der für die Vorschädigung verantwortliche Staat kann in der Regel nicht für die Folgen eines beim Führen eines Kfz erlittenen Unfalls entschädigungspflichtig werden, der ohne die Schädigungsfolgen nicht oder nicht in dieser Schwere eingetreten wäre. Denn wesentliche Ursache für den Unfall und dessen Folgen ist in diesen Fällen das Führen des Kraftfahrzeugs durch den Beschädigten. Die Folgen der Selbstgefährdung, die der Beschädigte auf sich nimmt, indem er ein Kfz führt, fallen ebenso in seinen eigenen Verantwortungsbereich wie die Folgen der Gefahren, die er als Kraftfahrer für Dritte setzt. Dies mag anders sein, wenn die anerkannte Schädigungsfolge, zB ein Hirnschaden, plötzlich und unvorhersehbar die Ursache für den erlittenen Unfall setzt (vgl BSG Urteil vom 18. März 1964, 10/11 RV 1004/62, Breith 1964 S 882). In den Fällen hingegen, in denen es - wie hier - schon vor Antritt der unfallbringenden Fahrt offenkundig war, daß der Beschädigte den Unwägbarkeiten und Risiken des motorisierten Straßenverkehrs nicht oder nur unter Einschränkungen gewachsen war, liegt die wesentliche Ursache für im Zusammenhang mit der Schädigung eingetretene Unfälle nicht in der anerkannten Schädigungsfolge, sondern in dem Entschluß des Beschädigten, trotz seiner Behinderung am motorisierten Straßenverkehr teilzunehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT
Fundstellen
Haufe-Index 517875 |
BSGE, 1 |
NJW 1992, 3318 |