I. Geltung des Gebotes
1. Beginn der Beschränkung
Rz. 17
Die zulässige Höchstgeschwindigkeit gilt regelmäßig ab dem die Geschwindigkeit beschränkenden ersten Zeichen bzw. ab dem Ortsschild. Eine Toleranzstrecke kommt allenfalls bei schwerer Erkennbarkeit der Verkehrsschilder in Betracht (OLG Stuttgart VRS 9, 251; OLG Saarbrücken zfs 1987, 30), wobei eine andere Frage ist, ob in diesem Bereich begangene Geschwindigkeitsverstöße verfolgt werden sollen (s. nachfolgend Toleranzrichtlinien, Rdn 19 ff.).
2. Ende
Rz. 18
Bei einer durch Verkehrszeichen angeordneten Geschwindigkeitsbeschränkung handelt es sich um ein Streckengebot, d.h. die durch Zeichen Nr. 274 StVZO angeordnete Beschränkung endet erst mit dem diese aufhebenden Verkehrsschild Nr. 278 und nicht etwa weil das Geschwindigkeitsbegrenzungszeichen nach einer Straßeneinmündung nicht wiederholt wird (OLG Hamm NZV 2001, 489; OLG Celle NZV 2019, 265; a.A. LG Bonn NZV 2004, 98). Ist allerdings das Zeichen 274 mit einem Gefahrenzeichen 103 oder 123 kombiniert, endet das Gebot mit dem Ende der Gefahrenstelle. Das gilt allerdings nicht gleichermaßen im Falle eines im Hinblick auf Straßenschäden angeordneten Gefahrenzeichens Nr. 101. Hier endet die Beschränkung erst mit einem entsprechenden Aufhebungsschild, da sich das Ende der Beschränkung nicht zweifelsfrei aus der Örtlichkeit ergibt (OLG Celle zfs 2019, 352).
3. Toleranzstrecken
Rz. 19
Literatur zu Toleranzstrecken: Weigel, "Richtlinien der Bundesländer", DAR 2017, 222.
Wenn auch die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit jeweils ab Beginn des Begrenzungsschildes gilt, schreiben die jeweiligen Landespolizeirichtlinien, da Polizei Ländersache ist, von Land zu Land unterschiedliche Toleranzstrecken vor, in denen Geschwindigkeitsmessungen nicht durchgeführt werden sollen. Existieren (wie z.B. im Saarland oder in Baden-Württemberg solche Richtlinien nicht, muss der bei der Messung einzuhaltende Abstand einzelfallbezogen bestimmt werden (OLG Karlsruhe zfs 2018, 353).
Praxistipp
In der Regel sehen die jeweiligen Richtlinien vor, dass erst ab 150 bis 200 m nach Beginn einer Geschwindigkeitsbeschränkung gemessen werden soll (OLG Dresden NZV 2006, 110; OLG Bamberg DAR 2006, 464; OLG Celle NZV 2012, 254).
Die vorgesehenen Mindestentfernungen können jedoch bei Vorliegen eines sachlichen Grundes (z.B. besondere Gefahrenstellen wie Kindergärten etc.) unterschritten werden (OLG Brandenburg DAR 2006, 464; OLG Celle DAR 2011, 597; OLG Celle NZV 2012, 254; OLG Bamberg DAR 2012, 528; OLG Bamberg NZV 2013, 52).
Es ist allerdings nicht Aufgabe des Richters zu überprüfen, ob der Standort des Verkehrszeichens sinnvoll war. Verkehrszeichen sind nämlich Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen und sind – außer im Fall ihrer Nichtigkeit, die nur bei Willkür, Sinnwidrigkeit oder bei objektiver Unklarheit vorliegt – zu beachten (OLG Celle DAR 2011, 597).
Rz. 20
Ob auch für die unmittelbar vor dem Ortsausgang liegende Strecke eine Messtoleranz gewährt wird, ist umstritten (ablehnend: OLG Oldenburg zfs 1996, 396 sowie OLG Stuttgart DAR 2011, 599, das seine früher bejahende Auffassung, DAR 2011, 220, unter Hinweis auf die zwischenzeitlich geänderten Toleranzrichtlinien wieder aufgegeben hat; befürwortet dagegen von OLG Bamberg DAR 2012, 528).
Rz. 21
Die Richtlinien sind zwar lediglich innerdienstliche Vorschriften, sie sichern aber auch die Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer in vergleichbaren Kontrollsituationen, indem sie für alle mit der Verkehrsüberwachung betrauten Beamten verbindlich sind (OLG Oldenburg NZV 1994, 286; BayObLG NZV 1995, 496; OLG Dresden DAR 2010, 29).
Rz. 22
Tipp: Gleichbehandlungsgrundsatz
Ist die Messung unter Missachtung der Richtlinien durchgeführt worden, besteht zwar kein Beweisverwertungsverbot (OLG Celle NZV 2012, 253; OLG Frankfurt zfs 2015, 653; DAR 2016, 395). Allerdings kann der Gleichbehandlungsgrundsatz (BayObLG NStZ – RR 2003, 345; OLG Stuttgart DAR 2011, 220) eine Reduzierung der Geldbuße oder den Wegfall des Fahrverbotes (OLG Oldenburg zfs 2014, 353; OLG Frankfurt DAR 2016, 395) oder gar die Einstellung des Verfahrens (OLG Stuttgart DAR 2011, 220; OLG Celle NZV 2012, 253) rechtfertigen.
4. Verkehrsberuhigte Zone oder Parkplatz
Rz. 23
Ein Kraftfahrer muss wissen, dass in einer verkehrsberuhigten Zone Schrittgeschwindigkeit einzuhalten ist (Brandenburgisches OLG DAR 2005, 570).
Die Behauptung eines Betroffenen, er sei als Fußgänger oder Beifahrer in einen geschwindigkeitsbeschränkten Bereich gelangt, den er als Ortskundiger nicht gekannt habe, wird kaum zu widerlegen sein, so dass ihm nicht einmal Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann (OLG Hamm SVR 2006, 192; OLG Hamm, Beschl. v. 18.6.2014 – 1 RBs 89/14).
Anderes gilt für Parkplätze. Überschreitet ein Betroffener nach Verlassen des Parkplatzes die zulässige Geschwindigkeit ist er auch dann nicht entschuldigt, wenn er sich dort längere Zeit aufgehalten hat; dies gilt zumindest, wenn er in der gleichen Richtung weiterfährt, in der er den Platz angefahren hatte (OLG Oldenburg NZV 2012, 193).
5. Tachodefekt
Rz. 24
Die Behauptung, der Tacho sei defekt gewesen, entschuldigt nicht (OLG Düsse...