Leitsatz (amtlich)
Die Regelung über den Umfang der beschränkten Steuerpflicht (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG) geht der Vorschrift über die Bemessung des Kapitalertragsteuerabzugs (§ 43 a Abs. 2 Satz 2 EStG) vor. Deshalb ist Kapitalertragsteuer (Kuponsteuer), die nicht die Kürzung um gezahlte Stückzinsen gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG berücksichtigt, insoweit ohne rechtlichen Grund erhoben und daher zu erstatten.
Normenkette
EStG § 20 Abs. 2 Nr. 3 S. 2, § 43 Abs. 1 Nr. 6, § 43a Abs. 2 S. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 5 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine in der Schweiz ansässige „Holding S. A.”, erwarb in der Zeit vom 11. Februar bis 4. März 1977 festverzinsliche Wertpapiere (Anleihen der Bundesrepublik, der Bundesbahn und der Bundespost) zum Nennwert von 23 Mio DM; neben dem jeweiligen Tageskurs entrichtete die Klägerin Stückzinsen im Betrag von 730 986,11 DM. Im Mai 1977 verkaufte die Klägerin diese Wertpapiere. Die bis zu diesem Zeitpunkt und bei der Veräußerung vereinnahmten Zinsen betrugen 1 131 674 DM. Von diesem Betrag führte die Deutsche Bank AG Kapitalertragsteuer in Höhe von 282 918 DM (= 25 %) an den Beklagten und Revisionsbeklagten (das Finanzamt – FA –) ab.
Die Klägerin vertrat beim FA die Auffassung, der Kapitalertrag von 1 131 674 DM sei um die beim Erwerb der Wertpapiere gezahlten Stückzinsen zu kürzen; die auf diesen Betrag entfallende Kapitalertragsteuer von 182 746,85 DM sei zu erstatten.
Das FA lehnte diesen Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 6. März 1979 ab. Dem Steuerabzug unterlägen gemäß § 43 a Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die vollen Kapitalerträge ohne jeden Abzug. Durch § 43 a Abs. 2 Satz 2 EStG sei klargestellt, daß auch Stückzinsen unter dieses Kürzungsverbot fielen.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) führte u. a. aus:
Eine Kürzung der vereinnahmten Zinsen um das für den Erwerb der Zinsen gezahlte Entgelt sei nicht zulässig. Diese bis zur Neufassung der ertragsteuerrechtlichen Vorschriften durch das Körperschaftsteuerreformgesetz (KStRG) vom 31. August 1976 (BGBl I 2597, BStBl I 445) noch umstrittene Kürzung sei nunmehr nach § 43 a Abs. 2 Satz 2 EStG ausdrücklich ausgeschlossen. Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestünden nicht. Im Einzelfall könnten Härten durch einen Billigkeitserlaß beseitigt werden, über den im vorliegenden Verfahren jedoch nicht zu entscheiden sei.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie bringt u. a. vor: Das FG habe nicht beachtet, daß zu den Kapitalerträgen nicht die Zinsanteile gehörten, die sie – die Klägerin – den Veräußerern habe vergüten müssen. Sie habe insoweit nur käuflich erworbene Zinsforderungen eingezogen, aber keine eigenen Erträge erzielt. § 43 a Abs. 2 Satz 2 EStG sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil anderenfalls eine vom Ergebnis her untragbare Besteuerung die Folge sei; im Streitfall reiche die Steuerbelastung bis zu 321 %.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG und die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen aufzuheben und das FA zu verpflichten, für im Jahre 1977 einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer in Höhe von 182 746,85 DM einen Freistellungsbescheid zu erteilen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das FA ist verpflichtet, die Klägerin von der für ihre Rechnung einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer in dem begehrten Umfang freizustellen.
1. Nach den Feststellungen des FG ist davon auszugehen, daß die Klägerin eine Aktiengesellschaft („S. A.”) des schweizerischen Rechts ist (vgl. Meier-Hayoz/Forstmoser, Grundriß des Schweizerischen Gesellschaftsrechts, 4. Aufl. 1981, S. 141, 256), die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland hat.
a) Die Klägerin ist sonach mit ihren inländischen, d. h. in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) erzielten Einkünften beschränkt körperschaftsteuerpflichtig (§ 2 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes – KStG 1977 –). Inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Einkommensteuerpflicht und Körperschaftsteuerpflicht (§ 8 Abs. 1 KStG 1977) sind – unter anderen – Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG. Die Klägerin kann solche Einkünfte nach der hier gebotenen isolierenden Betrachtungsweise erzielen (§ 49 Abs. 2 EStG; vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 28. März 1984 I R 129/79, BFHE 141, 131, BStBl II 1984, 620).
Bei den Zinsen aus den umstrittenen Anleihen der Bundesrepublik, der Bundesbahn und der Bundespost handelt es sich um Zinsen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 8 EStG (i. d. F. des Art. 2 Nr. 5 KStRG), die die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. c, bb EStG (i. d. F. des Art. 2 Nr. 13 KStRG) erfüllen. Dies gilt auch, soweit die Klägerin Stückzinsen erzielt hat (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 i. V. m. § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 EStG). Die bei der Einlösung oder Weiterveräußerung der Zinsscheine vereinnahmten Zinsen sind um das Entgelt für den Erwerb der Zinsscheine zu kürzen (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 i. V. m. § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG).
b) Die Frage der inländischen Steuerpflicht ist unabhängig davon zu prüfen, ob eine – von der Klägerin nicht begehrte – Freistellung von der Kapitalertragsteuer nach dem maßgeblichen Doppelbesteuerungsabkommen in Betracht käme (vgl. BFH-Urteil vom 12. Oktober 1978 I R 69/75, BFHE 126, 209, BStBl II 1979, 64, unter 1.).
2. Das FG geht zutreffend davon aus, daß die durch Art. 2 Nr. 10 KStRG geänderten Bestimmungen des EStG über den Steuerabzug vom Kapitalertrag anzuwenden sind. Diese Bestimmungen sind erstmals auf Einnahmen anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1976 zufließen (§ 52 Abs. 1 Satz 3 EStG i. d. F. des Art. 2 Nr. 18 KStRG). Die umstrittenen Zinsen und Stückzinsen sind im Mai 1977 zugeflossen.
a) Entsprechend der vorstehenden Einordnung der Kapitalerträge unter § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 Buchst. c, bb EStG wird die Einkommensteuer (Körperschaftsteuer) gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 Buchst. a EStG (i. V. m. § 50 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 KStG 1977) durch Abzug vom Kapitalertrag erhoben und abgegolten. Bei Stückzinsen wird der Steuerabzug gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG vorgenommen. Stückzinsen sind inländische Kapitalerträge, wenn der Schuldner der Anleihe oder Forderung und die die Kapitalerträge auszahlende Stelle Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland haben (§ 43 Abs. 3 Satz 2 EStG). Die die Kapitalerträge auszahlende Stelle ist die natürliche Person, Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse, die dem Veräußerer die Stückzinsen auszahlt oder gutschreibt (§ 45 Abs. 2 Nr. 2 EStG).
b) Dem Steuerabzug unterliegen die vollen Kapitalerträge ohne jeden Abzug (§ 43 a Abs. 2 Satz 1 EStG). § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG ist nicht anzuwenden (§ 43 a Abs. 2 Satz 2 EStG). § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG besagt, daß die bei der Einlösung oder Weiterveräußerung der Zinsscheine vom Erwerber der Zinsscheine vereinnahmten Zinsen um das Entgelt für den Erwerb der Zinsscheine zu kürzen sind. Hierbei handelt es sich um eine gesetzliche Regelung zum Abzug negativer Einnahmen (Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 3. Aufl., § 20 Anm. 46). Ist diese Vorschrift nicht anzuwenden, ist der Steuerabzug aus den vollen Kapitalerträgen (vereinnahmte Zinsen und Stückzinsen) ohne Kürzung um das Entgelt für den Erwerb der Zinsscheine (verausgabte Stückzinsen) zu erheben.
c) Nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG gilt die Vorschrift des § 20 Abs. 2 entsprechend. Mithin erstreckt sich die beschränkte Steuerpflicht auf den in § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG beschriebenen Umfang und stimmt damit nicht der Regelung über die Bemessung der Kapitalertragsteuer (§ 43 a Abs. 2 Satz 2 EStG) überein.
3. Die streitigen Abzugsbeträge sind ohne rechtlichen Grund für Rechnung der Klägerin gezahlt worden (vgl. § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung – AO 1977 –), weil der Steuerabzug auf gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG nicht steuerbare Zinsen erhoben wurde.
a) Nach der Begründung des Regierungsentwurfs zum Dritten Steuerreformgesetz (BTDrucks 7/1470) sollte für das Steuerabzugsverfahren aus Gründen der Praktikabilität die Anwendung der Sonderregelung ausgeschlossen sein, wonach der Erwerber eines Zinsscheins die von ihm vereinnahmten Zinsen um das Entgelt kürzen kann, das er für den Erwerb des Zinsscheins aufgewendet hat. Im Steuerabzugsverfahren könnten die Verhältnisse beim einzelnen Gläubiger des Kapitalertrags nicht berücksichtigt werden (BTDrucks 7/1470, S. 308, zu § 156, der als § 43 a EStG in das KStRG übernommen wurde). Danach sollte eine Vereinfachungsregelung für das Steuerabzugsverfahren und nicht materielles Einkommensteuerrecht geschaffen werden. Hierfür spricht – neben dem sonst bestehenden Widerspruch zwischen § 49 Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 EStG und § 43 a Abs. 2 Satz 2 EStG –, daß die Vorschrift des § 43 a Abs. 2 Satz 2 EStG nach ihrer systematischen Stellung im Gesetz lediglich das Steuerabzugsverfahren regeln, jedoch nicht den Umfang der beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte erweitern soll (vgl. auch BFH-Urteil vom 23. September 1969 I R 141/67, BFHE 96, 532 BStBl II 1969, 729).
b) Mithin ist davon auszugehen, daß der Steuerabzug, soweit er auf der Anwendung des § 43 a Abs. 2 Satz 2 EStG beruht, Beträge erfaßt, die nicht zu den Einkünften i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG gehören (vgl. Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19. Aufl., § 43 a EStG, grüne Blätter S. 10; a. A. Scholtz in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 43 Anm. 15, § 43 a Anm. 20), sondern die aus Praktikabilitätsgründen dem Steuerabzug unterworfen werden. Die Vorschriften über das Steuerabzugsverfahren regeln nur dieses Verfahren und erweitern nicht den Umfang der Steuerpflicht.
c) Damit wird vermieden, daß der beschränkt Steuerpflichtige – wie im Streitfall die Klägerin – unabhängig von seiner Besitzzeit zu der Kapitalertragsteuer aus dem gesamten Zinszahlungszeitraum herangezogen wird (vgl. zu der in diesem Fall möglichen Effektivbelastung Siara/Schneiders/Hofmann, das Kuponsteuergesetz, Frankfurt/Main 1965, Anm. 120). Bei diesem Verständnis der gesetzlichen Bestimmungen bleibt – im Rahmen steuerrechtlich anzuerkennender Gestaltungen – kein Raum für die Auffassung, die gesamte Kuponsteuer könne „unterlaufen” werden (vgl. Erlaß des Bundesministers der Finanzen – BMF – vom 10. Januar 1967 IV B/3 – S 2400 – 4/67, abgedruckt bei Philipowski, Kuponsteuer, Wiesbaden 1979, S. 103 f.), wenn Anleihepapiere während des laufenden Zinszahlungszeitraums von einer im Ausland ansässigen Person an eine andere im Ausland ansässige Person gegen Vergütung von Stückzinsen veräußert werden (vgl. Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 12. Aufl., § 43 Anm. 68; Scholtz, a. a. O., § 43 Anm. 139; BTDrucks IV/2345, S. 8). Gemäß § 43 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 45 Abs. 2 Nr. 2 EStG sind Stückzinsen (nur dann) inländische Kapitalerträge, wenn die Person, die die Stückzinsen auszahlt oder gutschreibt, Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland hat.
4. Die die Kapitalerträge auszahlende Stelle hat die Kapitalertragsteuer für Rechnung des Schuldners der Kapitalertragsteuer (§ 45 Abs. 1 EStG) einzubehalten (§ 45 Abs. 2 Satz 1 EStG) und an das FA abzuführen (§ 45 Abs. 4 EStG). Ist dies ohne rechtlichen Grund geschehen, kann der Steuerschuldner die Erstattung der abgeführten Steuer verlangen (vgl. zum Steuerabzug nach § 50 a Abs. 5 EStG BFH-Urteil vom 20. Juni 1984 I R 283/81, BFHE 142, 35, BStBl II 1984, 828).
Nach § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 ist durch Steuerbescheid über die volle oder teilweise Freistellung von einer Steuer – insbesondere auch von der Kapitalertragsteuer – zu entscheiden (vgl. BTDrucks VI/1982 zu § 136, S. 145; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 155 AO 1977 Anm. 3; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung (AO 1977)/Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl. 1983, § 155 AO 1977 Anm. 4). Ein solcher Freistellungsbescheid – als Grundlage für eine Erstattung (§§ 218, 37 AO 1977) – ist zu erteilen, wenn der Steuerpflichtige – wie im Streitfall die Klägerin – mit Erfolg geltend macht, auf seine Rechnung sei ohne rechtlichen Grund Kapitalertragsteuer gezahlt worden. Der Senat legt das Klage- und Revisionsbegehren der Klägerin dahin aus, daß Freistellung im vorgenannten Sinne begehrt wird. Er geht außerdem davon aus, daß mit den angefochtenen Verwaltungsentscheidungen über die Freistellung der Klägerin in diesem Sinne ablehnend entschieden worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 510425 |
BFHE 1985, 416 |