Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage, ob bei einer im Privatvermögen gehaltenen GmbH-Beteiligung Schuldzinsen als Werbungskosten abziehbar sind.
2. Bei einer im Privatvermögen gehaltenen wesentlichen Beteiligung i. S. des § 17 EStG sind Schuldzinsen, welche auf die Zeit nach Veräußerung der Beteiligung entfallen, keine nachträglichen Werbungskosten.
Normenkette
EStG 1974/75 § 9 Abs. 1 S. 1; EStG 1974/75 § 9 Abs. 1 S. 2; EStG 1974/75 § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 1; EStG 1974/75 § 20; EStG 1974/75 § 24 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und dessen Ehefrau hatten in den Streitjahren 1974 und 1975 Grundstücks- und Wertpapiervermögen. Bis 1969 war er als Gesellschafter-Geschäftsführer an der W-GmbH wesentlich beteiligt; die Beteiligung war Privatvermögen.
In den Streitjahren zahlte der Kläger ebenso wie in den Jahrzehnten davor Zinsen für Kreditmittel, ohne die Zinsaufwendungen in seinen Aufzeichnungen immer nach Einkunftsarten zu trennen oder auf einzelne Vermögensgegenstände aufzuteilen. Diese Zinsen wurden bei den Einkommensteuerveranlagungen bis einschließlich 1973 als Werbungskosten oder Sonderausgaben berücksichtigt.
Im Anschluß an eine Betriebsprüfung ließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) bei den Einkommensteuerveranlagungen ab 1974 nur noch solche Schuldzinsen zum Abzug zu, die einer bestimmten Einkunftsart zugerechnet werden konnten. Soweit Zinsen nicht mehr auf einzelne Vermietungsgegenstände des Klägers entfielen, ordnete das FA sie den Einkünften aus Kapitalvermögen zu und ließ sie dort insoweit unberücksichtigt, als ihnen nicht Erträge aus Wertpapieren gegenüberstanden. Dementsprechend ergingen berichtigte Einkommensteuerbescheide für 1974 und 1975, in denen der Kläger mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurde.
In den zum Nachteil des Klägers erlassenen Einspruchsentscheidungen nahm das FA an, daß 50 v. H. der Gesamteinnahmen aus Wertpapieren stammten, die nicht fremdfinanziert worden seien, demnach auch nur 50 v. H. der Schuldzinsen mit den Wertpapieren in Zusammenhang stehen könnten. Die anderen Schuldzinsen seien im einkommensteuerrechtlich unbeachtlichen Privatbereich des Klägers entstanden, insbesondere durch Kredite, mit Hilfe derer der Kläger eine Beteiligung an der später liquidierten W-GmbH erworben und dieser GmbH ein später verlorenes Gesellschafterdarlehen zur Verfügung gestellt habe. Demzufolge sah das FA Schuldzinsen in Höhe von 816 596 DM in 1974 und von 565 186 DM in 1975 als nicht auf Wertpapiere entfallend und damit als steuerlich nicht abziehbar an. Die verbleibenden Zinsen kürzte das FA um Zinsen auf gestundete Zinsen, weil insoweit ein unmittelbarer Zusammenhang mit den Wertpapierkreditkäufen fehle, sowie um weitere Zinsen, denen keine Erträge aus Wertpapieren gegenüberstanden.
Die Klage blieb insoweit erfolglos, als die Beteiligten um die Abziehbarkeit von Schuldzinsen im Zusammenhang mit Wertpapierkäufen als Werbungskosten bei Einkünften aus Kapitalvermögen streiten. Das Finanzgericht (FG) führte dazu aus:
Der Kläger habe in den Streitjahren keine Einkünfte aus Kapitalvermögen im Wertpapierbereich erzielt. Deshalb seien weder Dividendeneinnahmen noch Kreditzinsen als Ausgaben anzusetzen.
Soweit der Kläger geltend mache, er habe ein der W-GmbH gegebenes Darlehen zurückerhalten und in Wertpapieren angelegt, sei dem entgegenzuhalten, daß die Darlehensrückzahlung durch die GmbH nur mit Hilfe eines anderweitigen Kredits möglich gewesen sei, für den der Kläger aus einer selbstschuldnerischen Bürgschaft in Anspruch genommen worden sei. Demzufolge seien daraus resultierende Zinsen den kreditierten Wertpapieranschaffungen zuzurechnen. Die mit der Beteiligung und der Bürgschaft bei der W-GmbH zusammenhängenden Zinsen seien auch nicht nach § 17 EStG abziehbar. Der Kläger sei nur bis 1969 an der W-GmbH beteiligt gewesen, in den Streitjahren sei kein Veräußerungsverlust angefallen. Die mit der wesentlichen Beteiligung in Zusammenhang stehenden Zinsen könnten allenfalls nur im Rahmen der Einkunftsart nach § 20 EStG zu berücksichtigen sein, was im Streitfall ausscheide, da die Beteiligung ständig ertraglos gewesen sei.
Nach alledem seien für die Steuerfestsetzungen der Streitjahre die vom FA in den Einspruchsentscheidungen angesetzten Wertpapiereinkünfte nicht mehr zu berücksichtigen. Andererseits seien die bisher noch bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abgezogenen Hypothekenzinsen den nicht abziehbaren Effektenkreditzinsen zuzurechnen und bei der Einkommensermittlung zu streichen.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 60, 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und der §§ 9, 20 EStG sowie von Denkgesetzen und Erfahrungssätzen. Dazu wird vorgebracht:
Die Absicht einer Überschußerzielung im Wertpapierbereich sei nicht zu bestreiten; im Streitfall lägen auch Anhaltspunkte vor, die gegen ein Umschlagen der Überschußerzielungsabsicht sprächen.
Die mit der Beteiligung und der Bürgschaft bei der W-GmbH zusammenhängenden Schuldzinsen seien - entgegen der Meinung des FG - einkommensmindernd bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen. Die Berufung des FG auf das BFH-Urteil vom 21. Juli 1981 VIII R 128/76 (BFHE 134, 119, BStBl II 1982, 36) gehe fehl, weil beim Abzug von Kreditzinsen die Frage der Ertraglosigkeit einer GmbH-Beteiligung nicht ex post, sondern ex ante zu beurteilen sei. Beim Erwerb der Beteiligung habe der Kläger nicht von einer ständigen Ertraglosigkeit der Beteiligung ausgehen müssen.
Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Einkommensteuer für die Jahre 1974 und 1975 auf null DM festzusetzen, hilfsweise Zurückverweisung.
Das FA beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Offenbleiben kann, ob das FG unter Verletzung von Verfahrensvorschriften oder in unrichtiger Anwendung von § 2 Abs. 3 Nrn. 5 und 6 EStG 1974, § 2 Abs. 1 Nrn. 5 und 6 EStG 1975 i. V. m. §§ 9, 20 und 21 EStG 1974/1975 für den Kläger und dessen Ehefrau das Vorliegen von Einkünften aus Kapitalvermögen im Wertpapierbereich der Eheleute verneint und die Einkünfte der Eheleute aus Vermietung und Verpachtung ermittelt hat, weil die Vorentscheidung keinen Bestand haben kann und die Streitsache insgesamt an das FG zurückverwiesen werden muß.
Rechtsfehlerhaft hat das FG ein Vorliegen von Einkünften aus Kapitalvermögen im Zusammenhang mit der Beteiligung des Klägers an der W-GmbH verneint. Die Vorentscheidung läßt mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen über Zinszahlungen des Klägers in den Streitjahren 1974 und 1975 im Zusammenhang mit seiner früheren Beteiligung an der W-GmbH keine Überprüfung zu, ob der Kläger den Tatbestand der Einkunftserzielung nach § 20 EStG 1974/1975 nicht verwirklichte oder - bei Tatbestandsverwirklichung - nachträgliche Schuldzinsen als Werbungskosten im Rahmen der Einkunftsart nach § 20 EStG 1974/1975 abziehen kann.
Nach den vom FG in seinem Urteil in Bezug genommenen Ausführungen in den Einspruchsentscheidungen des FA und in Tz. 72 des Betriebsprüfungsberichts vom 2. März 1964 ist nicht auszuschließen, daß der Kläger in den Streitjahren 1974 und 1975 Schuldzinsen für Kredite zur Anschaffung dieser GmbH-Beteiligung und/oder zur Hingabe eines Gesellschafterdarlehens an die GmbH und/oder zur Bürgschaftszahlung für die GmbH gezahlt hat. Feststellungen des FG dazu, ob oder wofür der Kläger Schuldzinsen im Zusammenhang mit der GmbH-Beteiligung tatsächlich gezahlt hat, fehlen. Sie sind aber für eine überprüfung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerbescheide erforderlich.
Feststellungen über tatsächliche Zinszahlungen dürfen - entgegen der Meinung des FG - nicht mit der Begründung unterbleiben, eine Tatbestandsverwirklichung des § 20 EStG 1974/1975 komme nicht in Betracht, weil die Beteiligung ständig ertraglos gewesen sei. Die Berufung des FG auf das BFH-Urteil (BFHE 134, 119, BStBl II 1982, 36) geht fehl, weil aus dieser Entscheidung zu entnehmen ist, daß die Ertraglosigkeit einer GmbH-Beteiligung allein nicht ausreicht, um eine Tatbestandsverwirklichung des § 20 EStG 1974/1975 zu verneinen. Es bedarf vielmehr konkreter Anhaltspunkte dafür, daß aufgrund der individuellen Verhältnisse der Kapitalgesellschaft und/oder ihrer Gesellschafter auch langfristig mit einem Überschuß aus der Beteiligung nicht zu rechnen war. Für die Frage, ob Überschußerzielungsabsicht oder Substanzverwertungsabsicht im Vordergrund steht, ist auch zu bedenken, daß in der Regel GmbH-Beteiligungen schwieriger zu veräußern sind als Wertpapiere.
Feststellungen über tatsächliche Zinszahlungen sind für den Fall, daß bei der GmbH-Beteiligung eine Überschußerzielungsabsicht zu bejahen ist, erforderlich, weil dann die Möglichkeit der Abziehbarkeit von Schuldzinsen im Rahmen der Einkunftsart Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 EStG 1974/1975 i. V. m. § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 3 Nr. 1 EStG nicht auszuschließen ist.
Rechtlich zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß auch nach Veräußerung einer im Privatvermögen gehaltenen wesentlichen Beteiligung i. S. des § 17 EStG Verluste in der Einkunftsart nach § 20 EStG 1974/1975 zu berücksichtigen sein können. § 17 EStG betrifft nur Veräußerungsvorgänge über Anteile an einer Kapitalgesellschaft bei wesentlicher Beteiligung. Einnahmen und Ausgaben außerhalb dieser Vorgänge fallen bei einer im Privatvermögen gehaltenen Beteiligung in die Einkunftsart der Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 EStG 1974/1975. Das gilt auch für nachträgliche Ausgaben nach vollständiger Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung, soweit die Ausgaben nicht Veräußerungsvorgänge betreffen. Die Ausgaben können nachträgliche Werbungskosten sein, wenn sie mit der Einkunftsart Einkünfte aus Kapitalvermögen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen (§ 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 24 Nr. 2 EStG). Danach können auch Schuldzinsen nachträgliche Werbungskosten bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen sein. Voraussetzung ist jedoch, daß es sich um rückständige Zinsen handelt, die auf die Zeit der Kapitalüberlassung, also auf die Zeit bis zur Veräußerung der wesentlichen Beteiligung, entfallen. Schuldzinsen, welche auf die Zeit nach Veräußerung der wesentlichen Beteiligung entfallen, sind keine nachträglichen Werbungskosten. Maßgebend für diese Einschränkung gegenüber der rechtlichen Möglichkeit des Abzugs nachträglicher Betriebsausgaben sind die gleichen Überlegungen, wie sie im BFH-Urteil vom 21. Dezember 1982 VIII R 48/82 (BFHE 138, 47, BStBl II 1983, 373) für den Abzug von Schuldzinsen als nachträgliche Werbungskosten bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung nach § 21 EStG ausgesprochen wurden.
Unter den vorerwähnten Voraussetzungen können im Streitfall Schuldzinsen als nachträgliche Werbungskosten bei Einkünften aus Kapitalvermögen in Betracht kommen, wenn die Schuldzinsen für Kredite zu zahlen waren, die der Finanzierung von Anschaffungskosten der Beteiligung an der W-GmbH dienten. Dabei ist zu beachten, daß zu den Anschaffungskosten der Beteiligung auch nachträgliche Aufwendungen auf diese Beteiligung gehören. Solche nachträglichen Aufwendungen können Gesellschafterdarlehen sein, wenn sie verlorengehen oder auf ihre Rückzahlung verzichtet wird. Zusätzliche Anschaffungskosten können auch Bürgschaftszahlungen sein, wenn mit einer Ersatzleistung nicht mehr zu rechnen ist (vgl. dazu Schmidt, Einkommensteuergesetz, § 17 Anm. 24 e).
Fundstellen
Haufe-Index 74826 |
BStBl II 1984, 29 |
BFHE 1984, 257 |