Verfahrensgang
SG Fulda (Entscheidung vom 05.02.2023; Aktenzeichen S 11 KR 239/22) |
Tenor
Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts wird als unzulässig verworfen.
Gründe
Der Antrag des SG Fulda auf Bestimmung des zuständigen Gerichts ist unzulässig. Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG liegen nicht vor.
1. Nach § 58 Abs 1 Nr 4 SGG wird das zuständige Gericht innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit durch das gemeinsam nächsthöhere Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Zur Feststellung der Zuständigkeit kann jedes mit dem Rechtsstreit befasste Gericht und jeder am Rechtsstreit Beteiligte das im Rechtszug höhere Gericht anrufen, das ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann (§ 58 Abs 2 SGG).
Es kann dahinstehen, ob diese Norm auch anwendbar ist, wenn nicht eines der Gerichte, das sich für unzuständig erklärt hat, sondern ein drittes Gericht zuständig sein könnte. Jedenfalls setzt das Verfahren nach § 58 Abs 1 Nr 4, Abs 2 SGG ein Rechtsschutzbedürfnis voraus (BSG vom 10.2.2005 - B 13/7 SF 36/04 S - SozR 4-1500 § 58 Nr 4 RdNr 5; BSG vom 23.7.2020 - B 11 SF 1/20 S - juris RdNr 4). Dies gilt in einer dem Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses ähnlichen Weise auch dann, wenn nicht ein Beteiligter, sondern ein Gericht den Antrag nach § 58 Abs 2 SGG stellt. Es darf für das anrufende Gericht keinen anderen, leichteren und rechtmäßigen Weg geben, das Verfahren an das aus seiner Sicht zuständige Gericht zu verweisen.
Ein solcher Weg besteht in der Möglichkeit der Weiterverweisung, wenn diese zulässig ist. Eine Weiterverweisung ist dann zulässig, wenn sie nicht dieselbe Zuständigkeitskategorie betrifft, aufgrund derer die erste Verweisung erfolgt ist. So darf etwa ein Gericht, an das nur wegen sachlicher Unzuständigkeit verwiesen worden ist, wegen örtlicher Unzuständigkeit weiterverweisen, oder bei Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit weiterverweisen, weil das Gericht der Auffassung ist, es sei sachlich nicht zuständig (B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 98 RdNr 8c mwN; Wehrhahn in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 98 RdNr 29). In diesem Fall ist der Antrag nach § 58 Abs 1 Nr 4, Abs 2 SGG unzulässig (aA Groth in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl 2022, § 58 RdNr 34, der von einem Wahlrecht des anrufenden SG ausgeht), weil es dann der Entscheidung des gemeinsam nächsthöheren Gerichts nicht bedarf. Diese Subsidiarität der Zuständigkeit des BSG nach § 58 SGG schont auch die grundsätzliche Autonomie der Landesgerichte (vgl zum Verhältnis von Bundes- und Landesverfassungsgerichtsbarkeit BVerfG vom 21.11.2017 - 2 BvR 2177/16 - BVerfGE 147, 185 [210, RdNr 46 f]).
Zwar setzt ein Antrag nach § 58 Abs 1 Nr 4, Abs 2 SGG nicht die Unverbindlichkeit eines der Verweisungsbeschlüsse voraus, wenn sich der Zuständigkeitskonflikt gerade an dieser Frage entzündet (BSG vom 25.2.1999 - B 1 SF 9/98 S - SozR 3-1720 § 17a Nr 11 = juris RdNr 7; BSG vom 7.11.2006 - B 12 SF 5/06 S - juris RdNr 4). Dies ist aber dann nicht der Fall, wenn das erstangegangene SG sich örtlich für unzuständig erachtet, das SG, an das verwiesen wurde, sich aber für sachlich unzuständig hält.
2. Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass das SG Fulda selbst befugt ist, den Rechtsstreit an das SG Gießen weiterzuverweisen, wenn es dieses für sachlich zuständig erachtet. Denn die Zuständigkeit des SG Gießen kann nur aus § 5 Abs 1 AGSGG Hessen folgen, der auf § 10 Abs 3 Satz 1 SGG beruht. Hierbei handelt es sich um die Begründung einer besonderen sachlichen Zuständigkeit (ebenso zu § 51 Abs 2 PatG aF [heute § 143 Abs 2 Satz 1 PatG] BGH vom 22.6.1954 - I ZR 225/53 - BGHZ 14, 72 [75] = juris RdNr 8). Soweit das BSG zu dem aufgrund § 10 Abs 3 SGG erlassenen § 2 der Verordnung über Zuständigkeiten in der Sozialgerichtsbarkeit vom 9.4.1954 (Bay GVBl S 56 - ZVO) angenommen hat, dass hierdurch die örtliche Zuständigkeit geregelt wird, hat es dies in Abgrenzung zu der zitierten Rechtsprechung des BGH damit begründet, dass mit dieser Regelung nicht eine fachlich besonders qualifizierte Rechtsprechung intendiert sei, sondern die günstige geographische Lage der Beklagten zum Gerichtsort München leitend gewesen sei (BSG vom 30.7.1959 - 2 RU 174/58 - BSGE 10, 233 = SozR Nr 1 zu § 549 ZPO = juris RdNr 18). Im Übrigen bezweckt § 10 Abs 3 SGG aber die Auslastung von Fachkammern für kleine Sachgebiete (so Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 10 RdNr 7) und die Bündelung der insofern bestehenden Fachkompetenz.
Der Verweisungsbeschluss des SG Dortmund betraf nur die örtliche Zuständigkeit. Das SG Dortmund hat die Frage der besonderen sachlichen Zuständigkeit gar nicht geprüft. Die Bindungswirkung, die einer Weiterverweisung entgegensteht, erfasst indes nur solche Zuständigkeitsfragen, hinsichtlich derer das zuerst verweisende Gericht die Zuständigkeit geprüft und bejaht hat (BSG vom 7.11.2006 - B 12 SF 5/06 S - juris RdNr 5; BGH vom 26.11.1997 - XII ARZ 34/97 - juris RdNr 11). Für eine Anrufung des BSG nach § 58 Abs 1 Nr 4, Abs 2 SGG besteht daher keine Notwendigkeit.
Der Senat weist allerdings darauf hin, dass das SG Fulda nach Anhörung der Beteiligten zu prüfen haben wird, ob der vorliegende Rechtsstreit tatsächlich eine Angelegenheit der Knappschaftsversicherung iS des § 5 Abs 1 AGSGG Hessen ist oder ob es sich nicht um eine Angelegenheit der allgemeinen Krankenversicherung handelt. Diese Frage lässt sich nicht allein mit dem Hinweis darauf beantworten, dass die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See verklagt ist. Sollte es hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit zu einem negativen Kompetenzkonflikt der in Betracht kommenden hessischen Gerichte kommen, wäre indes das Hessische Landessozialgericht zur Zuständigkeitsbestimmung berufen (§ 58 Abs 1 Nr 4 SGG).
Meßling |
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Söhngen |
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Burkiczak |
Fundstellen
Dokument-Index HI15757873 |