Leitsatz (amtlich)
Behält sich der Eigentümer bei der Veräußerung seines Grundstücks den Nießbrauch daran vor, dann ist die Bestellung des Nießbrauchs keine Gegenleistung des Erwerbers.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1, § 21
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb 1968 von ihren Eltern ein Grundstück mit einem Einfamilienhaus zum Preise von 80 000 DM. Auf den Kaufpreis wurden angerechnet: Eine Barzahlung an die Eltern, Abfindungen an die Geschwister und Übernahme von Grundstücksbelastungen. Außerdem verpflichtete sich die Klägerin zur Zahlung einer monatlichen Rente von 150 DM an ihre Eltern und räumte ihnen den Nießbrauch an dem Grundstück ein, dessen monatliche Erträge mit 350 DM angegeben wurden.
Die Klägerin baute das Haus zu einem Dreifamilienhaus um und erklärte für das Streitjahr Einnahmen aus der Vermietung von zwei Wohnungen. Die dritte Wohnung bewohnten die Eltern. Bei den Werbungskosten machte die Klägerin einen Zinsanteil in Höhe von 15 v. H. der Jahresleistungen der Rente und des Nießbrauchs von zusammen 6 000 DM = 900 DM geltend.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte als Werbungskosten nur einen Zinsanteil aus der Rente in Höhe von 15. v. H. von 1 800 DM = 270 DM.
Einspruch und Klage, mit denen sich die Klägerin auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 4. August 1961 VI 269/60 S (BFHE 73, 813, BStBl III 1961, 562) berief, blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) hielt den Abzug eines fiktiven Zinsanteils aus dem Nießbrauch als Werbungskosten für ausgeschlossen. Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen Rechts und macht dazu geltend:
Nach einhelliger Ansicht in der Literatur gehöre der kapitalisierte Wert des Nießbrauchs zu den Anschaffungskosten, obwohl der Nießbrauchsbesteller keine Geldleistungen aufwende. Die Anschaffungskosten seien im Wege der Absetzung für Abnutzung (AfA) als Werbungskosten abziehbar. Der Nießbrauchsberechtigte habe Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in voller Höhe des Wertes des Nießbrauchs, der höher sein könne als das AfA-Volumen des Erwerbers und Nießbrauchsbestellers. Im gleichen Umfang verzichtet der Besteller auf Einnahmen, er habe also Aufwendungen. Wirtschaftlich sei die Einräumung des Nießbrauchs ein Surrogat für Geldleistungen und der Kaufpreisrente vergleichbar.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Einkommensteuer 1969 auf 3 038 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Die Klägerin ist nicht berechtigt, einen Zinsanteil, der angeblich in der Jahresleistung des Nießbrauchs ihrer Eltern enthalten ist, als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes 1969 - EStG -) bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG) geltend zu machen.
Der Senat geht mit der im Zivilrecht herrschenden Ansicht davon aus, daß bei der Veräußerung eines Grundstücks unter gleichzeitiger Bestellung eines Nießbrauchsrechts für den Veräußerer der Erwerber von vornherein nur das mit dem Nießbrauch belastete Eigentum an dem Grundstück erwirbt und der Veräußerer mit dem Nießbrauch die Nutzungsmöglichkeit zurückbehält, die ihm zuvor aufgrund seines Eigentums zustand (vgl. Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 6. Juni 1957 IV ZB 53/57, BGHZ 24, 372, 374; Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 14. Juni 1967 2 Z 26/67, Neue Juristische Wochenschrift 1967 S. 1912; vgl. ferner Heck, Grundriß des Sachenrechts, § 21, S. 83 - Erwerb deducto usufructu -; Flume Allgemeiner Teil BGB, 2. Bd., 3. Aufl., S. 192). Dabei wird durchaus gesehen, daß die Bestellung des Nießbrauchs zivilrechtlich voraussetzt, daß der Besteller Eigentümer des belasteten Gegenstandes ist (vgl. Urteil des Reichsgerichts vom 10. September 1935 III 42/35, RGZ 148, 321, 324; Staudinger/Dilcher, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Aufl., § 107 Anm. 16). Die Annahme, daß der Erwerber belastetes Eigentum erlange, entspreche jedoch "allein der hier notwendigen wirtschaftlichen Beurteilung" (BGHZ 24, 372, 374).
Der Reichsfinanzhof hat seit dem Urteil vom 11. Juli 1928 VI A 221/28 (RStBl 1928, 330) die Auffassung vertreten, daß beim vorbehaltenen Wohnrecht der Erwerber das Grundstück "vermindert um das Wirtschaftsgut des Wohnens" erwirbt. Das Wohnrecht sei weder Entgelt für die Überlassung des Eigentums noch überhaupt eine Leistung des neuen Eigentümers, und zwar selbst dann nicht, wenn im Kaufvertrag der Wert des vorbehaltenen Wohnrechts auf den Kaufpreis verrechnet werde.
Der BFH hat bei der Übertragung des Eigentums an einem Grundstück in dem vorbehaltenen Nießbrauch oder Wohnrecht in einigen Entscheidungen ebenfalls keine Gegenleistung des Erwerbers, sondern die Zurückbehaltung dieses Rechts durch den Eigentümer gesehen (so insbesondere Urteil vom 6. Juli 1966 VI 148/65, BFHE 86, 676, BStBl III 1966, 622; vgl. ferner Urteile vom 4. März 1960 VI 223/58, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Einkommensteuergesetz, § 21, Rechtsspruch 78; vom 19. Februar 1965 VI 278/63, StRK, Einkommensteuergesetz, § 21, Rechtsspruch 222; vom 7. Mai 1965 VI 303/64, StRK, Einkommensteuergesetz, § 21, Rechtsspruch 228, und vom 28. Februar 1974 IV R 60/69, BFHE 112, 257, BStBl II 1974, 481; vgl. auch Urteil vom 17. Juli 1957 II 143/55 U, BFHE 65, 155, BStBl III 1957, 294; anders unter ausdrücklichem Hinweis auf § 11 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes - GrEStG -, Urteile vom 13. Juli 1960 II 49/60 U, BFHE 71, 440, BStBl III 1960, 413, und vom 20. April 1977 II R 48/76, BFHE 122, 355, BStBl II 1977, 676). In anderen Entscheidungen geht der BFH jedoch davon aus, daß die Einräumung des Nießbrauchs (Wohnrechts) beim Erwerb eines Grundstücks eine Gegenleistung des Erwerbers sei (vgl. Urteile vom 7. Juni 1956 IV 700/54, StRK,Einkommensteuergesetz, § 21, Rechtsspruch 24; vom 8. Februar 1957 VI 27/56 U, BFHE 64, 550, BStBl III 1957, 207; vom 5. Juli 1957 VI 74/55 U, BFHE 65, 419, BStBl III 1957, 393; vom 4. August 1961 VI 269/60 S, BFHE 73, 813, BStBl III 1961, 562; vom 1. Dezember 1961 VI 296/60, StRK, Einkommensteuergesetz, § 21, Rechtsspruch 116; vom 24. Juli 1964 VI 107/63, StRK, Einkommensteuergesetz, § 21, Rechtsspruch 193, und vom 21. Februar 1967 VI 263/65, BFHE 88, 168, BStBl III 1967, 311).
Die Ansichten in der Literatur sind ebenfalls geteilt (vgl. die Übersicht bei Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 6 EStG Anm. 388, mit Nachweisen).
Der Senat ist der Ansicht, daß der vorbehaltene Nießbrauch keine Gegenleistung des Grundstückserwerbers ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob neben dem Nießbrauch noch Leistungen des Erwerbers vereinbart wurden, die dann - unter Berücksichtigung des Barwerts des Nießbrauchs - den gesamten Vorgang entgeltlich erscheinen lassen. Die Eigenart des Vorbehaltsnießbrauchs wird dadurch nicht berührt. Sowohl bei der entgeltlichen wie bei der unentgeltlichen Übertragung eines Gegenstandes besteht die Besonderheit des Vorbehaltsnießbrauchs wirtschaftlich gesehen darin, daß die damit bezeichnete Verfügungs- und Nutzungsmöglichkeit beim Veräußerer bleibt. Der Erwerber erlangt nur belastetes Eigentum, seine Verfügungsmacht (§ 903 BGB) ist von Anfang an beschränkt. Es ist daher gerechtfertigt, die Nießbrauchsbestellung hier anders zu sehen als in den Fällen, in denen der Nießbrauch zwar im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Grundstücks, jedoch nicht an dem übertragenen Grundstück bestellt wird (vgl. BFH-Urteil vom 12. September 1969 VI R 333/67, BFHE 96, 523, BStBl II 1969, 706).
Der Senat setzt sich damit nicht in Widerspruch zu seiner Entscheidung vom 27. Juni 1978 VIII R 54/74 (BFHE 125, 535, BStBl II 1979, 332); denn dort war nicht ein vorbehaltener Nießbrauch zu beurteilen. Der Senat weicht auch nicht von dem Urteil in StRK, Einkommensteuergesetz, § 21, Rechtsspruch 24 i. S. des § 11 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ab, weil darin nur über die Berücksichtigung einer Rentenleistung als Werbungskosten oder Sonderausgabe zu entscheiden war. Der Senat weicht jedoch ab von den oben erwähnten Urteilen in BFHE 64, 550, BStBl III 1957, 207; BFHE 65, 419, BStBl III 1957, 393; BFHE 73, 813, BStBl III 1961, 562; StRK, Einkommensteuergesetz, § 21, Rechtsspruch 116, StRK, Einkommensteuergesetz, § 21, Rechtsspruch 193, und BFHE 88, 168, BStBl III 1967, 311. Einer Anrufung des Großen Senats gemäß § 11 Abs. 3 FGO bedarf es gleichwohl nicht, weil die Zuständigkeit des VI. Senats insoweit auf den erkennenden Senat übergegangen ist.
Ist die Bestellung des Nießbrauchs keine Gegenleistung des Erwerbers für den Erwerb des Eigentums am Grundstück, scheidet schon aus diesem Grunde die Annahme eines Zinsanteils in der Jahresleistung des Nießbrauchs aus.
Fundstellen
BStBl II 1982, 378 |
BFHE 1981, 130 |
NJW 1982, 256 |