2.2.1 Entstehungsprozesses und -kontext

Konzept der "Corprate Scorecard" als Basis

Von methodischer Seite aus wird regelmäßig die fehlende wissenschaftliche Untermauerung der BSC verantwortlich gemacht. Doch damit wäre der BSC Unrecht getan, denn eine Betrachtung des Entstehungsprozesses und -kontextes macht deutlich, dass die BSC weder mit dem originären Anspruch hoher wissenschaftlicher Qualität entwickelt wurde, noch anfangs explizit an der Unterstützung der Strategieimplementierung ansetzte. Ein kurzer Blick auf den Prozess und Kontext der BSC-Entstehung macht dies deutlich.

Ungeachtet dessen, dass die Geburtsstunde der BSC im Allgemeinen in die vielzitierte Studie "Measuring Performance in the Organization of the Future" datiert wird, ist festzuhalten, dass die Wurzeln der (Balanced) Scorecard um viele Jahre vor 1992 zurück gehen.[1] Ohne an dieser Stelle die komplette Entstehungsgeschichte nachzeichnen zu können,kann festgestellt werden, dass die BSC letztlich als ein Teilergebnis viele Jahre zurückreichender Studien bezüglich der Frage anzusehen ist, wie IT-Transformationsprozesse in Unternehmen effektiver ausgestaltet werden können. Konkret sollte der Frage nachgegangen werden, inwieweit ein engerer Link zwischen den Kennzahlen zur Gesamtunternehmenssteuerung mit dem Kennzahlen zur Steuerung der IT, zu effektiveren IT-Transformationsprozessen beitragen könne. Der originäre Fokus war demzufolge nicht auf die Strategie, sondern auf die Veränderungsprozesse im Rahmen von großen IT-Implementierungen gelegt.

Fallstudiensammlung statt wissenschaftlichem Ansatz

Methodologisch stützt sich die BSC deshalb auch nicht zuvorderst auf wissenschaftliche Grundlagenforschung, sondern basiert auf der im angelsächsischen Raum weitverbreiteten und bei der damals zur KPMG gehörenden IT-Beratung Nolan, Norton & Co ebenfalls regelmäßig angewandten Fallstudienforschung. Hierbei werden kleine Arbeitsgruppen zu ausgewählten Fragestellungen gebildet, um diese in jeweils branchenübergreifend zusammengesetzten Teams an konkreten Fragestellungen arbeiten zu lassen. Die Ergebnisse der jeweiligen Arbeitsgruppen wurden (wie es auch heute noch bspw. im Rahmen des bekannten "CFO-Panels" von Horváth & Partners üblich ist) regelmäßig in Präsentationen oder Reports zusammengefasst und an alle Beteiligten zur weiteren Verwendung und zum eigenen Ausprobieren im jeweiligen Unternehmen verteilt. Vereinzelt wurden und werden von Teilnehmern oder vom Sponsor der Treffen zusätzliche Publikationen für einen weiteren Leserkreis erstellt, so wie dies auch im Fall der "Scorecard" geschehen ist.

Die Rollen von Zufall und Glück

Die Analyse der damaligen Teilnehmerveröffentlichungen zeigt deutlich, dass der Entstehungsprozess der BSC tatsächlich nicht mit den vielzitierten Publikationen im HBM beginnt, sondern dass diese Veröffentlichung bestenfalls eine weitere Veröffentlichung der Arbeitskreisergebnisse darstellen. Deshalb erscheint der Umstand, dass das von Schneiderman (Analog Devices) in den Arbeitskreis eingebrachte Konzept der "Corporate" Scorecard unter dem neuen Namen "Balanced" Scorecard von den Studienleitern vermarktet werden konnte, eher als glücklicher Zufall für die Studienleiter, denn als Ergebnis einer zugrunde liegenden betriebswirtschaftlichen Forschung.

[1] Vgl. Stephan, 2014, S. 166 ff.

2.2.2 Kulturelle Anwendungsdifferenzen

BSC erfordert ein "Trial-and-Error"-Vorgehen

Während es im angloamerikanischen Raum nicht ungewöhnlich ist, mit einem Trial-and-Error-Ansatz auch an betriebswirtschaftliche Problemstellungen heranzugehen, ist diese Herangehensweise im deutschsprachigen Raum eher selten anzutreffen. Stellt bspw. eine US-amerikanische Führungskraft im Laufe einer BSC-Einführung fest, dass die BSC ihm/ihr nicht die gewünschten Resultate liefert, wird er/sie so lange Veränderungen am Konzept vornehmen, bis sich die erwartete Wirkung einstellt oder er/sie wird die ganze Übung wieder abbrechen und stattdessen etwas Alternatives ausprobieren. Allfällige Misserfolge werden in erster Linie einer fehlerhaften oder inkonsistenten Vorgehensweise angelastet und es wird ohne große Aufregung nachgebessert und korrigiert. Vergleichsweise kurzfristiges Ausprobieren und ggf. rasches Nachjustieren sind kulturell verankerte und auch im Management gemeinhin akzeptierte Handlungsprinzipien.

Im deutschsprachigen Raum werden Konzepte und Methoden jedoch grundsätzlich so exakt wie möglich und falls möglich von Beginn an gemäß Lehrbuch implementiert. Auf Basis genauer und detaillierter Planungen werden Projekte aller Art abgearbeitet und die Ursachen beobachteter Suboptima allenfalls nach umfänglicher Analysearbeit korrigiert. Die Kultur der Konzeptimplementierung lässt sich eher mit einem generalstabsmäßigen Vorgehen, als dem geschilderten Trial-and-Error-Prozess vergleichen.

Die notwendige Basis für dieses generalstabsmäßige Vorgehen ist jedoch ein effektives und in sich schlüssiges Konzept, das praktisch keine Interpretationsspielräume offenlässt. Eine Voraussetzung, die wie ausgeführt wurde, im Falle der BSC nicht gegeben ist. Weil d...

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