Auswertung des Pilotprojekts zur automatischen Gesichtserkennung

Mit einem groß angelegten Test am Berliner Bahnhof Südkreuz sollte die Eignung einer automatisierten Gesichtserkennung für Fahndungszwecke nachgewiesen werden. Bei der Vorstellung der Ergebnisse werteten Bundesinnenminister Seehofer und Sprecher der Bundespolizei sie als vollen Erfolg und sehen die Voraussetzungen für Einführung dieser Technik als erfüllt an. Doch die Aussagekraft der vorgelegten Zahlen wird angezweifelt.  

Nach Beendigung der zweiten Phase des Pilotprojekts am Bahnhof Südkreuz in Berlin wurden jetzt die Resultate der Öffentlichkeit vorgestellt.

Stimmt die Erkennungs-Trefferquote von 80 %? 

Wie die Bundespolizei, unter deren Federführung der Test durchgeführt wurde, in ihrem Abschlussbericht  mitteilte, hat die intelligente Gesichtserkennung am Bahnhof unter realistischen Testbedingungen eine Trefferrate von über 80 Prozent erreicht, die Falscherkennungsrate habe demnach unter 0,1 Prozent gelegen.

  • Man gehe daher davon aus, dass derartige Verfahren zur Gesichtserkennung künftig zur Unterstützung der Polizeiarbeit benutzt werden könnten.
  • Entscheidungen darüber, unter welchen Bedingungen und in welchem Ausmaß die neue Technik verwendet werden könne, stünden aber noch aus.

Laut Bundesinnenminister breite Einführung möglich

Auch Bundesinnenminister Seehofer zeigte sich in einer eigenen Stellungnahme von der automatisierten Gesichtserkennung überzeugt und hält eine „breite Einführung“ für möglich.

→ Stellungnahme des Bundesinnenministers zur Gesichtserkennung

Chaos Computer Club (CCC) sieht Manipulation

Zu einer gänzlich anderen Auffassung bei der Interpretation der im Abschlussbericht vorgelegten Zahlen kommt allerdings der Chaos Computer Club (CCC), der in diesem Zusammenhang sogar von einer Manipulation der Daten spricht.

  • In seinem Kommentar zum Abschlussbericht verweist der CCC unter andere darauf, dass die durchschnittliche Erkennungsrate von 80 Prozent keines der drei im Pilotprojekt getesteten Systeme erreicht habe,
  • sondern dieser Wert nur durch die kombinierten Erkennungsdaten dieser drei Systeme zustande gekommen sei.
  • Der beste Erkennungswert eines einzelnen Systems habe dagegen bei schlechten 68,5 Prozent gelegen.

Darüber hinaus listet der CCC noch weitere Umstände auf, die zur Verzerrungen der Ergebnisse geführt haben sollen und stellt auch die Wissenschaftlichkeit des Versuchs aufgrund verschiedener weiterer Details generell in Frage.

Täglich 600 Passanten fälschlich im Visier?

Auch die Zahlen zur Falscherkennungsrate (FAR) überzeugt CCC nicht.

  • Diese Zahl ergibt die Wahrscheinlichkeit,
  • dass eine völlig unverdächtige Person
  • fälschlicherweise als eine gesuchte identifiziert wird.

Für alle drei Anbieter zusammengenommen liegt laut CCC die ausgewiesene FAR durchschnittlich bei 0,67 Prozent. Bei einer durchschnittlichen Anzahl von etwa 90.000 Reisenden pro Tag und Bahnhof gerieten täglich mindestens 600 Passanten fälschlich ins Visier der biometrischen Installation gerieten. Bei dieser "Flut von Falscherkennungsmeldungen" dürften die Beamten wohl kaum beim händischen Aussieben erfolgreich sein, "wenn doch mal ein einzelner Verbrecher durchs Bild huscht und erkannt wird". Der CCC wirft der Bundespolizei vor, "wissenschaftliche Standards missachtet" zu haben. → Law Blog.

→ Stellungnahme des CCC zum Abschlussbericht

Weitere wissenschaftliche Kritik an der Auswertung der Pilotphase

Ebenfalls wenig angetan von den vorgelegten Zahlen zum Pilotprojekt zeigten sich andere Bürgerrechtler, Datenschützer und Wissenschaftler:

Durchführungsmängel wurden schon früh gerügt

Dem Anfang August 2017 gestarteten Testprojekt zur Gesichtserkennung in dem Berliner Bahnhof wurden von Beginn an Durchführungsmängeln entgegengehalten. Nach Bürgerrechtsorganisationen und Aktivisten hatte auch Bundesdatenschutzbeauftragte Voßhoff aufgrund unzureichender Informationen der Teilnehmer die Aussetzung des Testlaufs gefordert. Der damalige Bundesinnenminister verwies dagegen auf einen möglichen Sicherheitsgewinn.

Feldtest der Bundespolizei am Berliner Bahnhof Südkreuz

Am Berliner Bahnhof Südkreuz startete der Testlauf zur automatisierten Gesichtserkennung per Software

  • mit einem Feldtest der Bundespolizei an 300 Freiwillige, deren Gesichtsbilder von den Computersystemen gespeichert wurden
  • und die anhand der Kamera-Aufnahmen am Bahnhof automatisch identifiziert werden sollten.
  • Ziel des Tests war es, die Zuverlässigkeit der automatisierten Erkennung zu überprüfen.
  • Dazu erhielten die Teilnehmer zusätzlich einen Funkchip, durch den ihre Anwesenheit am Bahnhof unabhängig von der Kameraerfassung signalisiert wird.

Auf diese Weise sollte die Quote der Falscherkennungen, sowohl False Negatives als auch False Positives, ermittelt werden. Ist diese Quote zu hoch, wäre das System nicht geeignet.

Nur Daten von Verdächtigen sollen gespeichert werden

Ähnlich wie beim Scannen von Kfz-Kennzeichen sollen auch bei der Gesichtserkennung ausschließlich die Daten von Verdächtigen aufbewahrt werden.

  • Eine Verletzung der Grundrechte nicht Verdächtiger, die von den Kameras erfasst und deren Daten nach dem Abgleich sofort wieder gelöscht werden,
  • sah der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière nicht
  • und lag damit auf der Linie des Bundesverfassungsgerichts, das eine automatisierte Erfassung von Nummernschildern als rechtlich unproblematisch einstuft, wenn diese Daten unverzüglich nach dem Abgleich mit Fahndungsdaten wieder gelöscht werden. 

BVerfG zu Speicherung und informationelle Selbstbestimmung

Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass eine automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen zwecks Abgleichs mit dem Fahndungsbestand dann nicht in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eingreift, wenn der Abgleich unverzüglich erfolgt und das Kennzeichen ohne weitere Auswertung sofort und spurenlos gelöscht wird.

Allerdings hatte das Bundesverfassungsgericht schon damals befunden, das die automatisierte Erfassung nicht anlasslos erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden darf ( Urteil v. 11.3. 2008, 1 BvR 2074/05 und 1 BvR 1254/07).

Digitalcourage sieht gesteigerten Überwachungsdruck

Bei den Bürgerrechtlern der Initiative Digitalcourage sah man den Test negativ und bemängelt einen enorm gesteigerten Überwachungsdruck.

Zudem weisen die Kritiker darauf hin, dass die Polizei künftig einfacher als bisher auf Videoaufnahmen anderer Betreiber zugreifen kann.

Erkennung kann leicht unterlaufen werden

Generell wird zudem kritisiert, dass Straftäter sich durch relativ einfache Maßnahmen wie das Tragen von Sonnenbrillen und Mützen oder durch simples Herunterblicken auf z.B. ein Smartphone die Identifizierung durch die Kamerasysteme verhindern können.

Bei den Datenschützern von Netzpolitik bemängelte man zudem, dass die Testteilnehmer nicht darauf aufmerksam gemacht wurden, sich gelegentlich so zu tarnen, zudem seien die Probanden nicht besonders repräsentativ ausgewählt worden.

Bundesdatenschutzbeauftragte verlangte Aussetzung

Auch die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff war auf Distanz zu dem Projekt gegangen und hat in einer Stellungnahme  die Aussetzung gefordert.

Ihre Kritik richtet sich dabei nicht gegen das Verfahren an sich, sondern sie bemängelt eine unzureichende Aufklärung der Probanden, von denen eine erneute datenschutzrechtliche Einwilligung einzuholen sei.

Denn anders als zunächst mitgeteilt handelt es sich bei den Transpondern, die die Testpersonen zu den genannten Kontrollzwecken mit sich tragen sollen, nicht um rein passive RFID-Chips, sondern um aktive Bluetooth-Sender (iBeacons), durch die zusätzliche Daten übertragen werden können und bei denen zumindest prinzipiell eine Erfassung auch außerhalb des Bahnhofs möglich ist. Über diese erweiterten Sendefunktionen  seien die Teilnehmer jedoch nicht informiert worden.

Zuvor hatte die Datenschutzbeauftragte wegen des freiwilligen Opt-In-Verfahrens für die Teilnehmer keine Bedenken gegen den Test geäußert. Einen flächendeckenden Einsatz der automatisierten Gesichtserkennung ohne eine hinreichende Rechtsgrundlage lehnt sich allerdings ab, womit sie auch im Einklang mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht zu Kfz-Kennzeichen steht.


Schlagworte zum Thema:  Videoüberwachung, Datenschutz