Entscheidungsstichwort (Thema)

Bußgeldbewerter Verstoß gegen den Nichtraucherschutz in Baden-Württemberg: Duldung des Verzehrs auswärtig bestellter Speisen durch den Betreiber einer Rauchergaststätte

 

Leitsatz (amtlich)

Bestellen Gäste einer Rauchergaststätte ohne Beteiligung des Wirtes bei einem Lieferservice warme Speisen zum Verzehr in der Gaststätte, begeht der Wirt auch dann keinen Verstoß gegen das Landesnichtraucherschutzgesetz Baden-Württemberg, wenn er den Gästen Besteck zur Verfügung stellt.

 

Verfahrensgang

AG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 27.06.2017)

 

Tenor

  1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Freiburg im Breisgau vom 27.06.2017 aufgehoben. Der Betroffene wird freigesprochen.
  2. Die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.
 

Gründe

I.

Der Betroffene wurde durch Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 27.06.2017 wegen vorsätzlichen Nichtverhinderns von Verstößen gegen das Landesnichtraucherschutzgesetz zu einer Geldbuße von 200,- EUR verurteilt. Hierzu wurden folgende Feststellungen getroffen:

Der Betroffene ist Wirt und betreibt die Kneipe "X", Y-Straße in F. In der vom Betroffenen betriebenen Kneipe "X" wird geraucht. Am 29.06.2016 verzehrte eine Gruppe von Kunden an einem Tisch in der Gaststätte mindestens vier Pizzen mit Salatbeilage, die auf Bestellung der Kunden von einem Lieferdienst angeliefert worden waren. Für den ihm bekannten Verzehr stellte der Betroffenen auf Bitte der Kunden Essbesteck zur Verfügung.

Das Verhalten des Betroffenen wurde als vorsätzliches Nichtverhindern von Verstößen gegen das Landesnichtrauchergesetz gewertet (Ordnungswidrigkeit nach § 9 Abs. 1 Nr. 7 Alt. 2, § 7 Abs. 1 Satz 1 LNRSchG). Der Betroffene habe aktiv durch Bereitstellen des Essbestecks den Verzehr der Speisen gefördert, diese mithin verabreicht und somit eine Gaststätte im Sinne des § 7 LNRSchG betrieben; dennoch habe er das Rauchen in der Gaststätte entgegen § 8 Abs. 1 und 2, § 9 Abs. 1 Nr. 7 Alt. 2 LNRSchG nicht verhindert.

Gegen das Urteil hat der Betroffene in zulässiger Weise "Rechtsbeschwerde" eingelegt, welche - bei einer Geldbuße von nicht mehr als 250 EUR - als Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde auszulegen war (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 300 StPO). In der Begründung des Rechtsmittels hebt der Beschwerdeführer insbesondere darauf ab, dass die Zurverfügungstellung des Essbestecks kein "Verabreichen" im Sinne des § 7 Abs. 2 LNRSchG darstelle.

Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat unter dem 11.09.2017 auf Verwerfung des Antrages auf Zulassung der Rechtsbeschwerde angetragen.

Der Einzelrichter ließ mit Beschluss vom 09.10.2017 die Rechtsbeschwerde zu, da es geboten sei, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 OWiG); ferner übertrug er die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern, da es geboten sei, das Urteil zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen (§ 80a Abs. 1 und 3 OWiG).

II.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet, wobei der Senat in der Sache selbst zu entscheiden hatte (§ 79 Abs. 3 Satz 1, § 354 Abs. 1 StPO). Der Betroffene war freizusprechen, da dessen rechtsfehlerfrei festgestelltes Verhalten nicht bußgeldbewehrt ist und ein Schuldspruch demzufolge gegen den - auch für das Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden - Grundsatz nullum crimen sine legeverstieße (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG).

1. Im Land Baden-Württemberg ist aufgrund § 7 Abs. 1 LNRSchG in Gaststätten das Rauchen grundsätzlich untersagt. Hiervon werden lediglich in bestimmten Fällen nach § 7 Abs. 2 LNRSchG (idF vom 03.03.2009; GBl. S. 81) Ausnahmen gemacht; die gesetzliche Erweiterung im Unterschied zu § 7 Abs. 2 LNRSchG idF vom 25.07.2007 (GBl. S. 337) erfolgte vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 30.07.2008 (BVerfGE 121, 317; LT-Drs. 14/3661 S. 1). Danach ist das Rauchen - außer in vollständig abgetrennten Nebenräumen (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 LNRSchG) - zulässig in Gaststätten mit weniger als 75 Quadratmetern Gastfläche und ohne abgetrennten Nebenraum, wenn keine oder lediglich kalte Speisen einfacher Art zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht werden, Personen mit nicht vollendetem 18. Lebensjahr der Zutritt verwehrt wird und die Gaststätten am Eingangsbereich in deutlich erkennbarer Weise als Rauchergaststätten, zu denen Personen mit nicht vollendetem 18. Lebensjahr keinen Zutritt haben, gekennzeichnet sind (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 LNRSchG). Für die Einhaltung des Rauchverbots ist der Gaststättenbetreiber verantwortlich (§ 8 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 LNRSchG). Verhindert der Gaststättenbetreiber vorsätzlich oder fahrlässig Verstöße gegen das Rauchverbot nicht, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Alt. 2 LNRSchG); diese kann mit einer Geldbuße bis zu 2.500 EUR und im innerhalb eines Jahres erfolgenden Wiederholungsfall mit einer Geldbuße bis zu 5.000 EUR geahndet werden (§ 9 Abs. 2 Satz 2 LNRSchG).

2. Die durch die Gäste verzehrten Sp...

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