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BAG Urteil vom 04.09.1987 - 8 AZR 552/85

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Entscheidungsstichwort (Thema)

Urlaubsabgeltung, Rechtsmißbrauch, Verfall/Schadensersatz

 

Orientierungssatz

1. § 12 Abs 1 Nr 10 des Manteltarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte in der chemischen Industrie vom 24.3.1979 (MTV) enthält nicht die Übertragung des Urlaubs in das folgende Urlaubsjahr für den Fall, daß ein enstandener Urlaubsanspruch wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit nicht verwirklicht werden konnte.

2. Der gesetzliche Urlaubsanspruch setzt nur den Bestand des Arbeitsverhältnisses und die Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 4 BUrlG, nicht aber die Erbringung von Arbeitsleistungen im Urlaubsjahr voraus.

3. Der gesetzliche Urlaub kann durch § 12 Abs 1 Nr 5 S 3 MTV nicht ausgeschlossen werden.

4. Rechtzeitige Geltendmachung des Urlaubsanspruchs und des Urlaubsabgeltungsanspruchs (§ 12 Abs 1 Nr 10 Abs 2 MTV).

 

Normenkette

TVG § 1; BUrlG §§ 4, 7

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 24.06.1985; Aktenzeichen 11 Sa 49/85)

ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 08.11.1984; Aktenzeichen 4 Ca 3827/84)

 

Tatbestand

Der im Jahr 1926 geborene schwerbehinderte Kläger war seit dem 17. März 1955 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte in der chemischen Industrie vom 24. März 1979 (MTV) Anwendung. In § 12 MTV ist u.a. geregelt:

"Urlaub

I.

Urlaubsanspruch

Der Urlaub dient der Erholung und der Erhaltung

der Arbeitskraft. Während des Urlaubs

darf der Arbeitnehmer keine Erwerbsarbeit leisten.

1. Der Arbeitnehmer hat für jedes Kalenderjahr

Anspruch auf einen bezahlten Urlaub.

2. Das Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.

.....

5. Im Austrittsjahr hat der Arbeitnehmer für

jeden angefangenen Beschäftigungsmonat im

Unternehmen Anspruch auf ein Zwölftel des

Jahresurlaubs. Scheidet der Arbeitnehmer

wegen Erreichung der Altersgrenze der gesetzlichen

Rentenversicherung oder wegen

Erwerbsunfähigkeit aus, so erhält er den

vollen Jahresurlaub, es sei denn, daß das

Arbeitsverhältnis im Eintrittsjahr endet.

Der Anspruch entfällt, wenn der Arbeitnehmer

vor seinem Ausscheiden mindestens

12 Monate lang nicht gearbeitet hat.

.....

10. Der Urlaub ist spätestens bis 31. März des

folgenden Kalenderjahres zu gewähren.

Der Urlaubsanspruch erlischt, wenn er

nicht bis dahin geltend gemacht worden ist.

.....

IV.

Urlaubsabgeltung

1. Der Urlaub kann grundsätzlich nicht abgegolten

werden.

2. Soweit jedoch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses

der Urlaubsanspruch noch

nicht erfüllt ist, ist er abzugelten.

3. Die Urlaubsabgeltung ist für das Urlaubsjahr

zulässig, in dem der Arbeitnehmer

nach Erreichung der Altersgrenze der gesetzlichen

Rentenversicherung oder wegen

Erwerbsunfähigkeit aus dem Arbeitsverhältnis

ausscheidet.

....."

Seit 28. Januar 1983 war der Kläger ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Seinem Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente wurde durch Bescheid vom 14. April 1984 rückwirkend zum 15. September 1983 stattgegeben. In einer Gehaltsabrechnung für Februar 1984 bestätigte die Beklagte dem Kläger einen offenen Urlaubsanspruch von 78,5 Tagen. Im März 1984 wies der Kläger im Personalbüro der Beklagten darauf hin, daß ihm für das Jahr 1983 noch der volle Urlaub bewilligt werden müsse. Am 2. Oktober 1984 hoben die Parteien das Arbeitsverhältnis einvernehmlich auf. Der Kläger hatte seine Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangt.

Mit der am 17. August 1984 erhobenen Klage begehrt der Kläger Urlaubsabgeltung für 1983 und 1984 in unstreitiger Höhe. Für 1983 bittet er um Abgeltung von 30 Tagen Erholungsurlaub und fünf Tagen Schwerbehindertenurlaub in Höhe von 5.415,20 DM und für 1984 um Abgeltung von elf Tagen Erholungsurlaub und vier Tagen Schwerbehindertenurlaub in Höhe von 2.290,80 DM. Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn

7.706,-- DM zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage in Höhe von 2.290,80 DM stattgegeben und die Berufung im übrigen zurückgewiesen. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision den Klageanspruch, soweit das Berufungsgericht ihm nicht entsprochen hat, weiter. Die Beklagte bittet, die Revision des Klägers zurückzuweisen und erstrebt mit ihrer Revision die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen der Parteien sind unbegründet.

I. Die Revision des Klägers

Der Kläger wendet sich dagegen, daß die Klage abgewiesen wurde, soweit sie die Urlaubsabgeltung für 1983 in Höhe von 5.415,20 DM betrifft. Im Ergebnis ist dem Landesarbeitsgericht jedoch beizupflichten, das insoweit die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt hat.

1. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Urlaubsanspruch für 1983 sei zwar entstanden; er sei aber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in einen Urlaubsabgeltungsanspruch übergegangen, weil der Kläger in der Folgezeit seine Erwerbsfähigkeit und damit seine Arbeitsfähigkeit nicht wiedererlangt habe. Dies ist nicht frei von Rechtsirrtum.

Nach § 12 IV Nr. 2 MTV, der mit § 7 Abs. 4 BUrlG übereinstimmt, tritt mit dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis an die Stelle des Anspruchs auf Urlaubsgewährung der Abgeltungsanspruch. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts setzt die Entstehung dieses Anspruchs nicht voraus, daß der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsfähig ist. Dies entspricht seit dem Urteil vom 28. Juni 1984 - 6 AZR 521/81 - (BAGE 46, 224 = AP Nr. 18 zu § 7 BUrlG Abgeltung) der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 10. Februar 1987 - 8 AZR 529/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt, sowie Urteil vom 23. Juli 1987 - 8 AZR 42/85 -), an der der Senat festhält.

2. Dennoch ist die Revision des Klägers zurückzuweisen, da die Entscheidung sich aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 563 ZPO).

Der Urlaubsanspruch des Klägers für das Jahr 1983 erlosch am 31. März 1984. Dies folgt aus § 12 I Nr. 10 MTV. Nach dieser Bestimmung ist der Urlaub spätestens bis 31. März des folgenden Kalenderjahres zu gewähren und erlischt der Urlaubsanspruch, wenn er nicht bis dahin geltend gemacht worden ist. Dem Untergang des Urlaubsanspruchs für 1983 stand nicht entgegen, daß der Kläger über den 31. März 1984 hinaus arbeitsunfähig erkrankt war. Bereits in seinem Urteil vom 31. Oktober 1986 (- 8 AZR 244/84 - AP Nr. 25 zu § 13 BUrlG, zu II 2 der Gründe, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt) hat der Senat im Anschluß an die Rechtsprechung des Sechsten Senats entschieden, daß die hier anzuwendende Tarifnorm eine Übertragung des Urlaubs in das folgende Urlaubsjahr für den Fall, daß ein entstandener Urlaubsanspruch wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit nicht verwirklicht werden konnte, nicht enthält. Von dieser Auffassung abzuweichen besteht kein Anlaß.

Der Kläger hat den Urlaubsanspruch nicht rechtzeitig geltend gemacht. Der Hinweis, den der Kläger im März 1984 dem Personalbüro der Beklagten gegeben hatte, enthielt keine wirksame Geltendmachung. In diesem Zeitpunkt war der Kläger noch arbeitsunfähig erkrankt, so daß die Beklagte den Urlaubsanspruch nicht hätte erfüllen können (vgl. Urteil des Senats vom 13. November 1986 - 8 AZR 212/84 - AP Nr. 26 zu § 13 BUrlG, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

Der Verfall des Urlaubsanspruchs wurde auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Gehaltsabrechnung für Februar 1984 zugunsten des Klägers einen Urlaubsanspruch von 78,5 Tagen auswies. Allein dadurch war die Beklagte nicht gehindert, sich nach Ablauf des Übertragungszeitraums auf das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu berufen (vgl. Urteil des Senats vom 10. März 1987 - 8 AZR 610/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Tatsachen, die im vorliegenden Fall eine Abweichung von diesem Grundsatz rechtfertigen, hat der Kläger nicht vorgetragen.

Der Urlaubsanspruch des Klägers für 1983 ist somit am 31. März 1984 erloschen und bestand im Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, am 2. Oktober 1984, nicht mehr.

II. Die Revision der Beklagten

Die Beklagte wendet sich dagegen, daß das Landesarbeitsgericht der Klage insoweit stattgegeben hat, als der Kläger Urlaubsabgeltung für 1984 in Höhe des anteiligen gesetzlichen Urlaubs fordert. Diese Entscheidung des Berufungsgerichts ist jedoch nicht zu beanstanden.

1. Das Landesarbeitsgericht hat die Auffassung vertreten, der Urlaubsanspruch für 1984 sei entstanden. § 12 I Nr. 5 Satz 3 MTV stehe ihm, jedenfalls im hier geltend gemachten Umfang des gesetzlichen Urlaubsanspruchs, nicht entgegen und § 12 IV Nr. 3 MTV eröffne den Urlaubsabgeltungsanspruch über die Regelung des § 7 Abs. 4 BUrlG hinausgehend auch für den Fall, daß nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Arbeitsunfähigkeit sich in der Erwerbsunfähigkeit fortsetzt.

2. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts sind frei von Rechtsirrtum.

a) Der Senat hat sich bereits im Urteil vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 - (AP Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zu I 2 der Gründe, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt) der Rechtsprechung des Sechsten Senats angeschlossen, nach der der gesetzliche Urlaubsanspruch nur den Bestand des Arbeitsverhältnisses und die Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 4 BUrlG, nicht aber die Erbringung von Arbeitsleistungen im Urlaubsjahr voraussetzt. Der Urlaubsanspruch des Klägers für 1984 ist somit in Höhe des gesetzlichen Urlaubs entstanden. Da der Kläger nur diesen Urlaub anteilig fordert, bedarf es an dieser Stelle keiner Erwägungen zu der Frage, ob der MTV für den über den gesetzlichen Urlaub hinausgehenden Urlaub tatsächliche Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers im Urlaubsjahr fordert.

b) Nichts anderes ergibt sich aus § 12 I Nr. 5 MTV. Nach Satz 1 dieser Bestimmung hat der Arbeitnehmer im Austrittsjahr für jeden angefangenen Beschäftigungsmonat im Unternehmen Anspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs. Nach Satz 2 erhält er den vollen Jahresurlaub, wenn er wegen Erreichung der Altersgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung oder wegen Erwerbsunfähigkeit ausscheidet, es sei denn, daß das Arbeitsverhältnis im Eintrittsjahr endet. Satz 3 läßt den Anspruch entfallen, wenn der Arbeitnehmer vor seinem Ausscheiden mindestens zwölf Monate lang nicht gearbeitet hat. Die Regelung in Satz 3 läßt nicht eindeutig erkennen, ob durch sie der in Satz 1 vorgesehene Teilurlaub oder der in Satz 2 vorgesehene Vollurlaub oder beides ausgeschlossen werden soll. Die Frage kann jedoch dahinstehen. Im vorliegenden Fall macht der Kläger nur den gesetzlichen Urlaub, ja sogar nur einen Teil desselben, geltend. Dieser kann durch § 12 I Nr. 5 Satz 3 MTV jedoch nicht ausgeschlossen werden. Insoweit ist diese Tarifnorm nichtig (§ 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG, § 134 BGB; vgl. BAG Urteil vom 8. März 1984 - 6 AZR 442/83 -, BAGE 46, 199 ff. = AP Nr. 15 zu § 13 BUrlG).

c) Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß es nicht darauf ankommt, ob der Kläger nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsfähig war. § 12 IV Nr. 3 MTV läßt die Urlaubsabgeltung für das Jahr des Ausscheidens auch zu, wenn das Arbeitsverhältnis wegen Erwerbsunfähigkeit des Arbeitnehmers endet. Die Tarifnorm enthält somit eine Regelung, die für den Arbeitnehmer günstiger ist als die Bestimmung des § 7 Abs. 4 BUrlG, nach der es darauf ankommt, ob der Urlaubsanspruch trotz der Erwerbsunfähigkeit des Arbeitnehmers bei unterstelltem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses erfüllbar gewesen wäre (vgl. Urteil des Senats vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 - AP Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt).

3. Der Kläger hat den Urlaubsabgeltungsanspruch für 1984 rechtzeitig geltend gemacht. Zwar liegt der Zeitpunkt der Klageerhebung (17. August 1984) vor dem Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (2. Oktober 1984). Dennoch ist die Geltendmachung nicht deshalb unwirksam, weil sie zeitlich vor der Entstehung des Anspruchs lag. Darin, daß der Kläger nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Verfolgung seines bis dahin unbegründeten Anspruchs fortsetzte, ist eine rechtzeitige Geltendmachung im Sinne des § 12 I Nr. 10 Abs. 2 MTV zu sehen. Da das Arbeitsverhältnis am 31. März 1985, dem Ende des Übertragungszeitraums (vgl. § 12 I Nr. 10 Abs. 1 MTV), nicht mehr bestand, erlosch der Urlaubsabgeltungsanspruch in diesem Zeitpunkt. Allerdings steht dem Kläger der Klageanspruch als Schadenersatzanspruch zu. Durch die Geltendmachung des Urlaubsabgeltungsanspruchs hat der Kläger die Beklagte in Verzug gesetzt (§ 284 Abs. 1 BGB). Für den durch den Untergang des Anspruchs am 31. März 1985 entstandenen Schaden muß die Beklagte dem Kläger einstehen (§ 286 Abs. 1, § 287 Satz 2 BGB). Nach § 249 Satz 1 BGB schuldet die Beklagte dem Kläger somit den der Urlaubsabgeltung für 1984 entsprechenden Geldbetrag.

Michels-Holl Dr. Leinemann Dr. Peifer

Dr. Meyer R. Schmidt

 

Fundstellen

Dokument-Index HI441666

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