Interview – Dr. Reinhard Preusche zum Verbandssanktionengesetz

Für den Referentenentwurf eines Verbandssanktionengesetzes gab es teils heftige Kritik. Diese ist so nicht gerechtfertigt, meint Dr. Reinhard Preusche, Vorstandsvorsitzender des Netzwerks Compliance e. V. Im Interview erläutert er, weshalb.

Der Interviewpartner:

Rechtsanwalt Dr. Reinhard Preusche, BKP- Legal & Compliance Frankfurt am Main, CompCor Compliance Solutions GmbH & Co KG, Vorstandsvorsitzender des Netzwerks Compliance e.V.


Frage: Das Bundeskabinett hat jetzt die Einleitung des Gesetzgebungsverfahren zum Entwurf des Verbandssanktionsgesetzes beschlossen, ohne die mehrheitlich sehr kritischen Stellungnahmen aus Anwaltschaft und Wirtschaftsverbänden zu berücksichtigen. Hat Sie das überrascht?

Antwort: Nicht wirklich. Die Verbände hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Eine Anhörung ist nach der Geschäftsordnung des Bundestages erst in der Ausschussberatung vorgesehen. Aus Sicht des Justizministeriums dürfte sich die Berücksichtigung vieler Stellungnahmen im Vorfeld parlamentarischer Beratungen aus inhaltlichen Gründen nicht aufgedrängt haben.


Frage: Wie meinen Sie das?

Antwort: Heutzutage wird von Unternehmen verlangt, dass sie risikoangemessen erforderliche Maßnahmen ergreifen, um straf- und bußgeldbewehrte Handlungen im Zusammenhang mit der Führung ihrer Geschäfte nach Möglichkeit zu verhindern. Wenn Unternehmen dieser Verpflichtung nicht nachkommen, werden sie zur Verantwortung gezogen. Das kennzeichnet eine grundsätzliche rechtskulturelle Entwicklung moderner Industriestaaten. Denken Sie etwa an das italienischen Legge di Ontologia, den UK Bribery Act, das französische Antikorruptionsgesetz, die entsprechenden Regeln in Spanien oder die Anweisungen des U.S. Justizministerium zur Wirksamkeitsprüfung von Compliance-Management-Systemen. Das Verbandssanktionsgesetz bringt diese Entwicklung jetzt auch für Deutschland auf den Punkt. Mein Eindruck ist, dass viele Kollegen diese Entwicklung bisher nicht wahrgenommen haben oder wahrnehmen wollten.


Frage: Können Sie das näher erläutern?

Antwort: Die Gesellschaft zieht jetzt die Konsequenz daraus, dass Missetaten im Zusammenhang mit der Führung von Unternehmensgeschäften bekanntlich über das Verschulden und den Tatbeitrag einzelner Mitarbeiter hinausgehen. Die sogenannte „Verbandstat“ dient lediglich als Auslöser für die Frage, ob der Verband im Vorfeld seine Verpflichtung zur Verhinderung von Unrecht erfüllt hat. Wer insoweit von dogmatischen Schwächen redet, verkennt, dass hier eine neue Zurechnungsdogmatik geschaffen wird, die – wenn man die Rechtsprechung in Deutschland und die internationale Rechtsentwicklung im Auge hat – im Ergebnis übrigens gar nicht so neu ist.


Frage: In der Praxis dürfte der Gesetzentwurf neue Belastungen und Sanktionsdrohungen für die Wirtschaft mit sich bringen. Kann man das gutheißen?

Antwort: Ich bin mir nicht sicher, ob Ihre Frage von der richtigen Prämisse ausgeht. Sieht man die Sanktionstatbestände, Sanktionszumessungs- und Bewährungsregeln des Entwurfs im Zusammenhang, denke ich nicht, dass damit erhebliche Belastungen für die Wirtschaft verbunden sein werden: Jedenfalls für Unternehmen, die schon jetzt ein aktives, auf Effizienz statt auf fromme Worte ausgerichtetes Compliance Management aufweisen können. Für die anderen wird es höchste Zeit. Die Entwurfsbegründung betont zu Recht, wie wichtig es ist, gerade auf dem Felde von Rechtskonformität und Redlichkeit für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen.


Frage: Woran machen Sie diese Aussage fest, denken Sie doch nur an die maximale Gewinnabschöpfung für größere Unternehmen bis 10 % des Jahresumsatzes!

Antwort: Es handelt sich um eine Maximalgröße. Im Regelfall muss in der Praxis zunächst geprüft werden, ob überhaupt eine Verletzung von Verbandspflichten vorliegt, d.h. risikoangemessen erforderliche Compliance-Maßnahmen nicht getroffen worden sind. Danach kommt eine Sanktionsmilderung in Hinblick auf die im Unternehmen bereits getroffenen Compliance Vorkehrungen ins Spiel. Schließlich besteht die Möglichkeit, eine verhängte Sanktion zur Bewährung auszusetzen. Ich sehe das in § 13 vorgesehene Verfahren (Anweisung, das Compliance Management System zu verbessern unter Verbandssanktionsvorbehalt mit Bestätigung durch eine „sachkundige Stelle“) als ein Kernstück der Neuregelung an. Kurzum, ja man muss künftig etwas Substanzielles in Richtung Compliance tun. Wer sich darum kümmert, dürfte aber wenig zu befürchten haben.


Frage: Gut, aber wie kann ein mittelständisches Unternehmen solchen Anforderungen genügen?

Antwort: Eine gute Frage. Es kommt nicht auf theoretisch hochgezüchtete Lösungen auf dem Papier an. Gefragt sind unter Berücksichtigung der Unternehmensressourcen realisierbare aber eben auch ernstgemeinte Vorgaben, Prüfungen, Zuweisung von Verantwortlichkeiten und Verfahrensunterstützung.

In der Umsetzungspraxis des Verbandssanktionsgesetzes wird es deshalb wesentlich darauf ankommen, dass mittelständische Beratungs- und Unterstützungsangebote zu Wort kommen können und das Feld von den Justizbehörden nicht Wirtschaftsprüfungs- und Rechtsanwaltskanzleien überlassen wird, die auf die Beratung von Großunternehmen ausgerichtet sind. Hierauf weist die Stellungnahme des Netzwerks Compliance ausdrücklich hin. Und – eine Bemerkung in eigener Sache – das Haufe Compliance Office, die Trainingsangebote der Haufe Akademie und die Beratungslösungen von CompCor Compliance Solutions offerieren solche Lösungen.


Frage: Wie weiß ein Unternehmen, welche Pflichten zu erfüllen sind? Hätte man nicht klarer regeln können, welche Anforderungen ein Compliance Management System erfüllen muss, damit eine Verletzung von Verbandspflichten vermieden werden und es zu einer Sanktionserleichterung kommen kann?

Antwort: Diese Frage bzw. Kritik am Regierungsentwurf wird häufig vorgetragen. Mit der kommenden ISO 37301 (Nachfolgenorm der DIN-ISO 19600) wird eine international abgestimmte Orientierungshilfe zur Verfügung stehen, die aufzeigt, was zu den Compliance Pflichten eines Verbands gehört und mit welchen Überlegungen und Umsetzungsmaßnahmen man zu einem vorzeigbaren Compliance Management System gelangen kann. In der Stellungnahme des Netzwerks Compliance haben wir deshalb vorgeschlagen, in der amtlichen Begründung des Gesetzes einen Hinweis auf diese IS0 37301 aufzunehmen.

Im Übrigen halte ich es für gut, dass der Regierungsentwurf sich hier mit Details zurückhält. Ich verstehe den Wunsch nach eindeutigen, gesetzlichen Vorgaben. Dabei wird allerdings häufig vergessen, dass solche – wären sie ausdrücklich im Gesetz oder der Begründung aufgeführt – dann auch verbindliche Maßstäbe setzen würden, die von den Behörden durchgesetzt werden müssten. Dies würde sich meines Erachtens zu Lasten der gewünschten Flexibilität für den Mittelstand auswirken.


Frage:  Sie sind Vorstandsvorsitzender des Netzwerks Compliance e.V.  Welche Stellungnahme hat Ihr Verband abgegeben?

Antwort: Wir haben den Entwurf grundsätzlich begrüßt und dann auf Hinweise Wert gelegt, wie man die Anwendung von Compliance im Unternehmen im Einzelnen verbessern könnte. Das ist meines Erachtens der richtige Weg, wie Vertreter von Praxisinteressen mit Trägern staatlicher Verantwortung zusammenarbeiten sollten.

Das Interview führte Sabrina Preisinger aus der Compliance-Redaktion der Haufe Group.

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