GWB-Novelle zu europäischem und deutschem Unternehmensbegriff

Die GWB-Novelle plant die Einführung einer wirksamen Fusionskontrolle zum Schutz der Märkte vor Missbrauch von Marktmacht. Doch Unternehmensbegriffe sind in der EU unterschiedlich und werden es wohl auch mittelfristig bleiben. Die GWB-Novelle soll zwar eine Annäherung bringen - der Referentenentwurf bleibt aber auf halbem Wege stehen. Schließt er die haftungsrechtliche "Wurstlücke".

Seit Juli dieses Jahres liegt der Referentenentwurf des Bundeswirtschaftsministeriums zur 9. GWB-Novelle vor. Der Entwurf verfolgt den Zweck,

  • durch Einführung einer wirksamen Fusionskontrolle den Schutz der Märkte vor Missbrauch von Marktmacht zu verbessern,
  • er erweitert den Handlungsspielraum von Presseunternehmen und
  • dient dem Zweck, die EU-Richtlinie 214/104 für Schadenersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen in nationales Recht umzusetzen.
  • Der Entwurf soll eine effektivere Verfolgung von Kartellverstößen, eine effektivere Bußgeldhaftung sowie die effektivere Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gewährleisten.

Annäherung an den europäischen Unternehmensbegriff

Ein wesentlicher Knackpunkt der beabsichtigten Reform ist die Angleichung des deutschen Unternehmensbegriffes an den europäischen Standard.

  • Während das deutsche Recht bisher immer noch von einem formaljuristischen Unternehmensbegriff ausgeht, der innerhalb eines Konzerns strikt zwischen den einzelnen juristischen Personen unterscheidet,
  • knüpft der europäische Unternehmensbegriff an die „wirtschaftliche Einheit“ von Unternehmen an.

Dies bedeutet in der Konsequenz, dass auf europäischer Ebene für Kartellverstöße nicht nur das juristische Einzelunternehmen zur Verantwortung gezogen werden kann, das den Verstoß konkret begangen hat, sondern in der Regel der gesamte Konzern.

„Wurstlücke“ hat zu erster Gesetzgeberreaktion  geführt

Der enge deutsche Unternehmensbegriff hat in der Vergangenheit erhebliche Haftungslücken aufgezeigt.

So ist es einem bekannten westfälischen Wurstfabrikanten gelungen, eine Geldbuße des Bundeskartellamtes in dreistelliger Millionenhöhe ins Leere laufen zu lassen.

Dies gelang, indem er das hierfür haftungsrechtlich verantwortliche Unternehmen seines Konzerns wirtschaftlich so ausgehöhlt hat, dass dieses zur Zahlung der Buße nicht in  der Lage war und schließlich vom Markt verschwunden ist.

  • Dieser unter der Bezeichnung “Wurstlücke“ bekannt gewordene Fall hat dazu geführt, dass der Gesetzgeber bereits im Jahr 2013 die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit auch auf die Rechtsnachfolger der betreffenden Unternehmen ausgedehnt hat.
  • Eine vollständige Schließung der Regelungslücke wurde hierdurch aber nicht erreicht. 

Bußgeldadressat soll künftig der Konzern sein

Die verbleibenden Regelungslücken sollen nun dadurch geschlossen werden, dass der europäische Unternehmensbegriff in das deutsche Recht übernommen wird:, § 81 Abs. 3 a,b,c GWB-E.

Im Fall der Verhängung eines Bußgeldes führt danach die formaljuristische Verantwortlichkeit eines juristisch selbständigen Unternehmens nicht mehr zu einer Begrenzung der Haftung auf dieses Unternehmen, vielmehr würde in Zukunft Adressat eines kartellrechtlichen Bußgeldes der gesamte Konzern als wirtschaftliche Einheit sein.

Eine zusätzliche Verschärfung würde dadurch eintreten, dass die Höhe des Bußgeldes nicht mehr nur an den Umsätzen des jeweils betroffenen juristisch selbständigen Unternehmens, sondern am Konzernumsatz bemessen würde. Die Bußgelder würden hierdurch also deutlich erhöht.

Der Referentenentwurf bleibt beim Schadensersatz auf halben Wege stehen

Der Referentenentwurf ist in der Übernahme des europäischen Unternehmensbegriff allerdings nicht konsequent. Er regelt für den Fall des Kartellverstoßes nämlich nicht, ob für kartellrechtliche Schadensersatzansprüche künftig weiterhin nur das rechtsverletzende juristische Unternehmen oder auch der Mutterkonzern in Anspruch genommen werden kann. Das europäische Recht sieht auch hier die Haftung des Gesamtkonzerns vor.

Der Referentenentwurf überlässt die Entscheidung in diesem Punkt bewusst der Rechtsprechung und drückt sich damit um die juristisch bisher nicht geklärte und hoch umstrittene Frage, ob die EU-Richtlinie eine komplette Übernahme des europäischen Unternehmensbegriff in nationales Recht verlangt.

Weitere wichtige Einzelregelungen des Entwurfs

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die schadensrechtliche Haftung von Unternehmen, die sich als Kronzeugen anbieten, auf den Schaden ihrer unmittelbaren und mittelbaren Abnehmer begrenzt wird, es sei denn dass das geschädigte Unternehmen von den anderen Rechtsverletzern keinen Schadensersatz erlangen kann.

Die Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche soll auf fünf Jahre erweitert werden. Daneben erhalten Geschädigte unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Auskunft und Herausgabe von Beweismitteln, soweit hierdurch keine Geschäftsgeheimnisse verletzt werden. Außerdem besteht künftig eine widerlegliche Vermutung, dass eine Kartellabsprache auch zu einem Schaden führt.

Ist die GWB-Novelle negativ für die Konzernethik?

Bei den betroffenen Unternehmen stößt das Gesetzesvorhaben naturgemäß auf wenig Gegenliebe. Neben verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine verschuldensunabhängige Haftung wirtschaftlich verbundener Unternehmen werden aus dem Gesichtspunkt der Unternehmenscompliance Gegenargumente abgeleitet.

  • Die Haftung einer Konzernmuttergesellschaft für ein rechtlich selbständiges Einzelunternehmen würde nach Meinung der Kritiker dazu führen, dass das Mutterunternehmen selbst bei vollständiger Regeltreue für Verstöße einer Tochtergesellschaft haftet, die es en detail nicht kontrollieren kann.
  • Eine Haftung für Verstöße, die der Kontrolle der Muttergesellschaft entzogen sind, könnte – so die Argumentation - das Interesse eines Unternehmens an der Implementierung und Einhaltung ethischer Grundsätze stark reduzieren, wenn selbst die strikte Einhaltung der ethischen Grundsätze durch eine Gesellschaft die Haftung für die Verletzung von Regeln durch andere - wenn auch wirtschaftlich nahestehende Unternehmen - nicht ausschließt.

Compliance wird nicht geschwächt, sondern gestärkt

Die Argumentation der Kritiker erscheint als stark von wirtschaftlichen Eigeninteressen geprägt und ist im Ergebnis abwegig. Eher ist zu erwarten, dass durch die mit der Novelle einhergehende Haftungsverschärfung das Interesse konzernverbundener Unternehmen an gegenseitiger Kontrolle und Regelüberwachung steigt. Also:

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Schlagworte zum Thema:  Fusion, Kartellrecht