Human Factors: Sicherheit am Arbeitsplatz

Viele Jahre lang ist die Zahl der schweren Unfälle in deutschen Unternehmen immer weiter gesunken. Seit einiger Zeit aber beobachten Arbeitsschützer einen beunruhigenden Trend: Die Unfallzahlen stagnieren oder steigen sogar leicht. Angesichts ausgefeilter technischer Schutzkonzepte, besserer Mitarbeiterinformation und ergonomischer Arbeitsplätze ist dieses Phänomen nicht leicht zu verstehen. Hilfe verspricht ein Ansatz, der zuerst in Risikobranchen entwickelt wurde.

Human Factors ist der Sammelbegriff dafür, dass sowohl in der Forschung wie in der betrieblichen Praxis berücksichtigt wird, über welche physischen, psychischen und kognitiven Fähigkeiten Menschen verfügen, um ihre Arbeit zu erledigen, besonders wenn Technik am Arbeitsplatz eine Rolle spielt. Diese Forschungsrichtung wurde zuerst für die Luft- und Raumfahrt und andere Branchen entwickelt, in denen das Verhalten bestimmter Mitarbeiter sicherheitsentscheidend ist, etwa bei Piloten, Fluglotsen und anderen Mitarbeitern in Leitwarten.

Fähigkeiten entdecken, nicht vermeintliche Defizite bewerten

In den Schlagzeilen, aber auch bei Gesprächen in Unternehmen spricht man häufig von menschlichem Versagen, wenn keine technischen o.ä. Ursachen für einen Unfall zu finden sind. Human Factors zielt auf etwas anderes ab. Hier geht es darum, die Fähigkeiten von Menschen genauer zu untersuchen und Arbeitsanforderungen an das tatsächliche, nicht das gewünschte Können der Beschäftigten anzupassen.

Was Human Factors bewirken können

Mit dem Einsatz von Human Factors-Tools möchten Unternehmen einerseits erreichen, dass Arbeitsplätze so ausgestattet werden, dass Mitarbeiter so belastungsfrei wie möglich arbeiten können. Das fängt beim Büroarbeitsplatz an und wird umso relevanter, je komplexer und risikoreicher die dort ausgeführten Tätigkeiten sind. Umgekehrt wird erforscht, welche Fähigkeiten Menschen tatsächlich haben und wann sie überfordert sind.

Ein Beispiel: Viele Kontroll- und Aufsichtsarbeiten sind so belastend, weil die Aufgabe monoton ist und keine Eigeninitiative oder Variation zulässt. Trotzdem soll sichergestellt sein, dass die Beschäftigten an solchen Arbeitsplätzen möglichst keine Fehler machen. Heute weiß man z. B, dass Menschen bei solchen Tätigkeiten nach etwa zwei Stunden anfangen, Fehler zu machen. Für die Arbeitssicherheit lässt sich daraus ableiten, dass etwa alle zwei Stunden ein Mitarbeiterwechsel erfolgen sollte und dass kein Mitarbeiter solche Kontrolltätigkeiten etwa eine ganze Arbeitsschicht lang ausführen sollte.

Arbeitsplätze an menschliche Fähigkeiten und Bedürfnisse anpassen

Im obigen Beispiel wäre es sinnlos, Mitarbeiter durch Druck oder andere Maßnahmen dazu bewegen zu wollen, über viele Stunden hin keine Fehler zu machen. Menschen können das nicht leisten, und wenn es bei solchen Arbeitsbedingungen zu Fehlern oder Unfällen kommt, hat nicht der Mensch versagt, sondern der Arbeitsplatz und die Tätigkeit wurden falsch geplant.

Um anspruchsvolle Arbeitsplätze menschengerecht und ergonomisch zu gestalten, müssen viele Spezialisten aus verschiedenen Fachbereichen zusammenarbeiten: Ingenieure, Produktdesigner, IT-Fachleute, Psychologen, Ärzte und Experten für Ergonomie.

Forschung für integrierte Sicherheit an Arbeitsplätzen

Inzwischen gibt es sogar eine ganze Reihe von Studiengängen rund um das Thema Human Factors. Studierende beschäftigen sich im Rahmen dieser Ausbildung u. a. mit der Sicherheit in Mensch-Maschine-Interaktionen, Ergonomie, Usability und User Experience. Absolventen und andere Spezialisten für Human Factors arbeiten für sehr unterschiedliche Branchen und Arbeitsplätze:

  • Sie beraten bei der Entwicklung und Gestaltung von komplexen Mensch-Maschine-Systemen wie Leitwarten, Cockpits etc.
  • Sie arbeiten an der Gestaltung und Evaluation von technischen Produkten, Software und Websites unter den Gesichtspunkten Ergonomie bzw. Usability mit.
  • Sie beraten bei der Gestaltung von Informations- und Kommunikationsmedien
  • Sie arbeiten unterstützend im Sicherheitsmanagement in Unternehmen, Organisationen und Institutionen mit hohem Gefährdungspotenzial (z.B. Kraftwerke, Flugbetriebe, Chemieanlagen, Krankenhäuser)
  • Sie helfen bei der Personalauswahl und -entwicklung in technikgeprägten Organisationen (Z.B. Eignungstests für Piloten, Fluglotsen)

Je komplexer und gefährlicher Arbeitsplätze sind, desto wichtiger ist es, bei der Planung, Aufgabengestaltung und Personalauswahl auch den Faktor Mensch zu berücksichtigen. Dies wird künftig in vielen Branchen an Bedeutung gewinnen.


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