Leitsatz

Der Unternehmer kann den Vorsteuerabzug nicht in Anspruch nehmen, wenn er in den Streitjahren nicht im Besitz einer oder mehrerer Rechnungen der fraglichen GmbH gewesen ist. Bei einem Buchführungskonto des leistenden Unternehmers (hier Debitorenkonto) handelt es sich nicht um ein Dokument, mit dem gegenüber einem Leistungsempfänger über eine erbrachte Leistung abgerechnet wird.

 

Sachverhalt

Das Finanzamt führte bei dem Kioskbetrieb der Klägerin eine Betriebsprüfung durch. Anlass waren Feststellungen der Steuerfahndung, dass die Lieferantin der Klägerin, die G GmbH, Waren gegen Barzahlung und ohne ordnungsgemäße Rechnung lieferte, ohne selbst die entsprechenden Umsätze zu erklären. Laut Betriebsprüfung hatte die Klägerin Eingangsumsätze in Höhe von 49.085,42 EUR (2014) und 102.218,24 EUR (2015) aus Lieferungen der G GmbH sowie die entsprechenden Ausgangsumsätze nicht in ihrer Buchführung erfasst (Schwarzein/-verkäufe). Die Klägerin bezahlte die Waren der G GmbH bar und verzichtete auf die Ausstellung ordnungsgemäßer Rechnungen. Die damit zusammenhängenden bisher nicht erklärten Ausgangsumsätze schätzte das Finanzamt. Zwar berücksichtigte das Finanzamt die festgestellten Schwarzeinkäufe als Betriebsausgaben, gewährte jedoch insoweit mangels Eingangsrechnung keinen Vorsteuerabzug.

Laut Klägerin sei ihr gleichwohl der Vorsteuerabzug zu gewähren, da die Finanzverwaltung über sämtliche Angaben über die materiellen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs durch die Wiederherstellung des Debitorenkontos der Klägerin bei der G GmbH verfüge.

 

Entscheidung

Nach Auffassung des FG kann die Klägerin den Vorsteuerabzug aus den im Rahmen der Betriebsprüfung festgestellten Eingangsumsätzen nicht in Anspruch nehmen, da sie nicht im Besitz von Rechnungen der G GmbH gewesen ist.

Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG weiter voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt (vgl. auch Art. 178 Buchst. a MwStSystRL). Zwar hat der EuGH die Erfüllung der Voraussetzung einer ordnungsmäßen Rechnung dahingehend eingeschränkt, dass aufgrund des Grundprinzips der Mehrwertsteuerneutralität der Vorsteuerabzug gewährt wird, wenn die materiellen Voraussetzungen erfüllt sind, EuGH, Urteil v. 21.11.2018, C-664/16 (Vadan). Diese Einschränkungen betrafen jedoch jeweils die formellen Anforderungen der Art. 220-236 MwStSystRL und 238-240 MwStSystRL an den Inhalt einer Rechnung, nicht hingegen die sich unmittelbar aus Art. 178 Buchst. a MwStSystRL ergebende Voraussetzung, dass der Steuerpflichtige im Besitz einer Rechnung sein muss. Somit bestätigte der EuGH die Bedeutung einer Rechnung oder anderer Abrechnungsunterlagen für das Recht auf Vorsteuerabzug. Der fehlende Nachweis des Rechnungsbesitzes kann deshalb nicht durch eine Schätzung ersetzt werden (vgl. auch BFH, Urteil v. 12.3.2020, V R 48/17, BStBl 2020 II S. 604).

Die G GmbH hat der Klägerin über die streitgegenständlichen Leistungen keine Rechnung ausgestellt. Die Klägerin verfügte im Streitjahr auch nicht über die unter ihrem Debitorenkonto gespeicherten Daten in elektronischer Form oder auf Papier ausgedruckter Form. Bei dem im Rahmen der steuerstrafrechtlichen Ermittlungen technisch wiederhergestellten Debitorenkonto der Klägerin würde es sich auch dann nicht um eine Rechnung handeln, wenn es der Klägerin in elektronischer Form oder ausgedruckt auf Papier vorläge. Bei einem Buchführungskonto des leistenden Unternehmers – im Streitfall ein Debitorenkonto – handelt es sich nicht um ein Dokument, mit dem gegenüber einem Leistungsempfänger über eine erbrachte Leistung abgerechnet wird. Die Buchführung dient allein den eigenbetrieblichen Dokumentationszwecken des leistenden Unternehmers.

 

Hinweis

Selbst wenn das FG das Debitorenkonto als "Ersatzrechnung" angesehen hätte, wäre der Vorsteuerabzug evtl. zu versagen gewesen, weil die Klägerin wusste oder hätte wissen müssen, dass sie sich durch den ihren Vorsteuerabzug begründenden Umsatz an einer im Rahmen einer Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt hat (vgl. EuGH, Urteil v. 18.12.2014, C-131/13 (Italmoda); BFH, Beschluss v. 16.5.2019, XI B 13/19, BStBl 2021 II S. 950).

 

Link zur Entscheidung

FG Münster, Gerichtsbescheid v. 23.03.2022, 5 K 2093/20 U

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