Ein Überblick über die ersten zu § 175b AO ergangenen Gerichtsentscheidungen

[Ohne Titel]

StB Dipl.-Fw. Karl-Heinz Günther[*]

§ 175b AO ergänzt das Portfolio der verfahrensrechtlichen Änderungsvorschriften und ist vor dem Hintergrund der zunehmenden Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens zu sehen. Mit der Änderungsvorschrift betritt der Gesetzgeber Neuland, was naturgemäß Auslegungs- und Zweifelsfragen nach sich zieht, die einer gerichtlichen Klärung bedürfen. Streitpotential bietet insb. die Frage des der Finanzverwaltung zustehenden Änderungsumfangs.

[*] Der Autor ist als Steuerberater in Übach-Palenberg tätig. Er ist Regierungsdirektor a.D. und war stellvertretender Vorsteher bei einem Finanzamt.

1. Einleitung

Die zunehmende Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens macht auch Überlegungen erforderlich, ob und in welchem Umfang Steuerbescheide bei der Datenübermittlung durch Dritte geändert werden können. Der Gesetzgeber hat dies mit der Einführung von 175b AO umgesetzt.

§ 175b Abs. 1 bis 3 AO ist erstmals anzuwenden, wenn steuerliche Daten eines Steuerpflichtigen für Besteuerungszeiträume nach 2016 oder Besteuerungszeitpunkte nach dem 31.12.2016 auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten als mitteilungspflichtiger Stelle elektronisch an Finanzbehörden zu übermitteln sind (Art. 97 § 27 Abs. 2 EGAO).

§ 175b Abs. 4 AO ist erstmals anzuwenden, wenn Daten i.S.d. § 93c AO der Finanzbehörde nach dem 25.6.2017 zugehen.

§ 175b AO findet unter folgenden Voraussetzungen Anwendung:

  • § 175b Abs. 1 AO regelt, dass ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern ist, soweit von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelte Daten i.S.d. § 93c AO bei der Steuerfestsetzung nicht oder nicht zutreffend berücksichtigt wurden.
  • Gelten Daten, die von mitteilungspflichtigen Stellen nach Maßgabe des § 93c AO an die Finanzverwaltung übermittelt wurden, nach § 150 Abs. 7 S. 2 als Angaben des Steuerpflichtigen, ist der Steuerbescheid nach § 175b Abs. 2 AO aufzuheben oder zu ändern, soweit diese Daten zu Ungunsten des Steuerpflichtigen unrichtig sind.
  • § 175b Abs. 3 AO betrifft Fälle, in denen eine Einwilligung des Steuerpflichtigen in die Übermittlung von Daten i.S.d. § 93c AO an die Finanzbehörden Voraussetzung für die steuerliche Berücksichtigung der Daten ist. Soweit eine Einwilligung nicht vorliegt, ist die Finanzverwaltung verpflichtet, den Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern.
  • § 175b Abs. 4 AO bestimmt, dass die Regularien von § 175b Abs. 1 und 2 nicht gelten, wenn nachträglich übermittelte Daten i.S.d. § 93c Abs. 1 oder 3 AO nicht rechtserheblich sind.

Schon die in § 175b AO beschriebenen Änderungspflichten der Finanzverwaltung lassen erahnen, dass in diesem Bereich zu Gerichtsverfahren führende Rechtsstreitigkeiten nicht ausbleiben werden. Nachfolgend erfolgt ein Überblick über die ersten zu § 175b AO ergangenen Gerichtsentscheidungen.

2. Änderung nach § 175b Abs. 1 AO auch bei Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung nach Einzelsteuergesetz

Urteil des BFH: Mit Urteil v. 8.9.2021 (BFH v. 8.9.2021 – X R 5/21, BStBl. II 2022, 398 = AO-StB 2022, 146 [Weigel]) hat der BFH sich erstmals mit der Änderungsvorschrift des § 175b AO befasst. Er stellte klar, dass die Änderung eines Einkommensteuerbescheids nach § 175b Abs. 1 AO zulässig ist, wenn ein Unternehmen der gesetzlichen Krankenversicherung – entgegen der gesetzlichen Anordnung – die Identifikationsnummer des Versicherungsnehmers nicht übermittelt, der Datensatz der Steuernummer einer Person zugeordnet wird, die nicht Versicherungsnehmer ist und der Veranlagungs-Sachbearbeiter – materiell-rechtlich zu Unrecht – entscheidet, dieser Person den Sonderausgabenabzug zu gewähren.

Essentieller Inhalt eines Datensatzes: Wenn steuerliche Daten eines Steuerpflichtigen auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten (mitteilungspflichtige Stelle) an Finanzbehörden elektronisch zu übermitteln sind, muss der Datensatz – vorbehaltlich abweichender Bestimmungen in den Steuergesetzen – gem. § 93c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c AO u.a. den Familiennamen, den Vornamen, den Tag der Geburt, die Anschrift und die Identifikationsnummer des Steuerpflichtigen enthalten.

Im Streitfall hatte das FA vom Vater für eine Krankenversicherung des Kindes geleistete Krankenversicherungsbeiträge fälschlicherweise bei der Veranlagung der Mutter berücksichtigt und diesen Steuerbescheid im Nachhinein nach § 175b Abs. 1 AO geändert. Denn das Versicherungsunternehmen hatte anstelle der Identifikationsnummer des Vaters den nach der gesetzlichen Regelung nicht übermittlungspflichtigen Namen des Vaters übermittelt. In diesem Punkt wich der übermittelte Datensatz von der gesetzlichen Vorgabe ab. Zu der Frage, weshalb dieser Datensatz – der weder die Identifikationsnummer noch die Steuernummer, den Namen oder sonstige personenbezogene Merkmale der Mutter enthielt – zur Steuernummer der Mutter gelangt war, gab es im Streitfall keinerlei Anhaltspunkte.

Der BFH bestätigte die Rechtmäßigkeit der Bescheidänderung, denn die von der mitteilungspflichtigen Stelle an die Finanzbehörden übermittelten Daten i.S.d. § 93c AO wurden bei der S...

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