Rz. 42

§ 1632 Abs. 4 BGB gibt Pflegeeltern ein eigenes Antragsrecht, um zu verhindern, dass ein Pflegekind zur Unzeit aus der Pflegefamilie herausgenommen wird. In § 1632 Abs. 2 Satz 2 BGB wird im Übrigen die sog. Dauerverbleibensanordnung geregelt, die einen Gleichlauf mit dem Kinder- und Jugendhilferecht erzielt, das in § 33 schon immer die Pflegekindschaft als eine "zeitlich befristete" oder als eine "auf Dauer angelegte Lebensform" ansieht (vgl. auch bei Cirullies, FamRB 2021 S. 346). Da das Familiengericht hier auch von Amts wegen tätig werden muss, kann auch das Jugendamt einen entsprechenden Antrag stellen. Das Familiengericht wird den Verbleib anordnen, wenn und solange das Kindeswohl durch die Herausnahme gefährdet würde. Das BVerfG hat eine ständige Rechtsprechung entwickelt, welche hier konkrete Voraussetzungen aufstellt. Im Konfliktfall zwischen dem Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG und der verfassungsrechtlich ebenfalls anerkannten Grundrechtsposition der Pflegeeltern aus Art. 6 Abs. 1 und 3 GG kommt den leiblichen Eltern zwar der Vorrang zu. Letztlich muss jedoch das Kindeswohl bestimmend sein. Das BVerfG hält eine Verbleibensanordnung im Falle des Herausnahmewunsches durch leibliche Eltern für geboten, wenn bei einem Abbruch der entstandenen Bindung an die Pflegeeltern eine schwere und nachhaltige Schädigung des Kindeswohls zu erwarten ist (BVerfG, Beschluss v. 17.10.1984, 1 BvR 284/84). Es kommt hierbei ausdrücklich nicht auf eine (wiedergewonnene) Erziehungsgeeignetheit der Eltern an. Steht nur ein Wechsel der Pflegestelle an, muss ein solcher Schaden für das Kindeswohl sogar ausgeschlossen sein (BVerfG, Beschluss v. 14.4.1987, 1 BvR 332/86). Entsprechend entscheiden auch die Instanzgerichte (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss v. 15.6.2012, II-10 UF 47/11; OLG Hamm, Beschluss v. 25.5.2010, II-6 UF 29/10; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 7.1.2011, 5 UF 171/09; OLG Köln, Beschluss v. 4.9.2006, 27 UF 198/06). Nach der grundlegenden Entscheidung des BVerfG v. 31.3.2010 (stattgebender Kammerbeschluss, 1 BvR 2910/09) gebietet es "das Kindeswohl (…), die neuen gewachsenen Bindungen des Kindes zu seinen Pflegepersonen zu berücksichtigen und das Kind aus seiner Pflegefamilie nur herauszunehmen, wenn die körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen des Kindes als Folge der Trennung von seinen bisherigen Bezugspersonen unter Berücksichtigung der Grundrechtsposition des Kindes noch hinnehmbar sind (…). Die Grenze nicht hinnehmbarer Risiken hinsichtlich der Prognose möglicher Beeinträchtigungen des Kindes bei der Entscheidung einer Rückführung zu seinen Eltern ist dann überschritten, wenn unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht auszuschließen ist, dass die Trennung des Kindes von seinen Pflegeeltern psychische oder physische Schädigungen nach sich ziehen kann." Im Einzelfall wird eine Entscheidung nicht ohne vorherige Einholung eines aktuellen kinderpsychologischen Sachverständigengutachtens getroffen werden können. Das BVerfG hat klargestellt, dass eine solche Verbleibensanordnung wegen des Vorrangs des Kindeswohls trotz seines erheblichen Eingriffs in das Elternrecht verfassungsgemäß ist (BVerfG, Beschluss v. 17.10.1984, 1 BvR 284/84). Auch der Gesetzgeber stellt in § 33 Unterbringungen mit und ohne Rückkehroption ohne Vorgabe einer Priorität zur Verfügung. Und die Erkenntnisse der Bindungsforschung haben dazu geführt, dass gemäß § 37 Abs. 1 der Jugendhilfeträger ab einer gewissen Pflegedauer nicht mehr auf eine Rückführung, sondern auf einen Dauerverbleib hinzuarbeiten hat (vgl. auch BT-Drs. 11/5948 S. 71). Eine Verbleibensanordnung setzt weder das Vorliegen eines Pflegevertrages noch das Vorliegen einer Pflegeerlaubnis voraus (keine Erlaubnis OVG Lüneburg, Beschluss v. 7.6.2017, 4 LA 281/16 mit Anm. von Schwede, NZFam 2017 S. 807; OLG Bremen, Beschluss v. 24.4.2002, 5 WF 26/02 b; keine Pflegeerlaubnis nach § 44 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 vgl. bei Stähr, in: Hauck/Noftz, Stand: 01/2019, Werkstand 2023, § 33 SGB VIII, Rz. 20). Familienpflege i. S. d. § 1632 Abs. 4 BGB ist jedes faktische Pflegeverhältnis familienähnlicher Art, gleichgültig ob ein Pflegevertrag oder eine etwa erforderliche Pflegeerlaubnis vorliegen (so BGH, Beschluss v. 4.7.2001, XII ZB 161/98; vgl. auch OLG Hamm, Beschluss v. 9.5.2011, II-13 UF 81/11). Ein Verbleibensantrag kann daher auch gestellt werden, wenn die Familienpflege jugendhilferechtlich nach § 33 Satz 2 oder § 34 (sonstige betreute Wohnform) gewährt wurde, sofern ein familienanaloges Zusammenleben besteht. Auch Bereitschaftspflegeeltern können einen Verbleibensantrag stellen (OLG Bremen, Beschluss v. 24.4.2002, 5 WF 26/02 b).

 

Rz. 43

Die Rechtsprechung des BVerfG wird auch nicht durch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EuGHMR) verdrängt, welche der biologischen Elternstellung scheinbar größere Bedeutung beimessen. Denn Art. 8 EMRK, auf welchen sich diese Entscheidungen stützen, hat nur de...

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