Steuerpolitik der Ampelkoalition

Ein Blick in den Koalitionsvertrag zeigt: Die Ampelkoalition plant keine tiefgreifenden steuerlichen Reformen. Dennoch hält das geplante steuerpolitische Programm einige Veränderungen bereit, die Steuerpflichtige und ihre Berater über die Legislaturperiode beschäftigen werden.

Die neue Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP sieht sich und die Welt am Beginn eines Jahrzehnts im Umbruch, in dem man nicht im Stillstand verharren könne. Wie dieser Umbruch konkret aussehen soll, legen die Koalitionäre in ihrem am 24.11.2021 vorgestellten Koalitionsvertrag, „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“, auf 178 Seiten ausführlich dar.

Zum Programm des selbsternannten Fortschrittsbündnisses gehören auch zahlreiche steuerpolitische Maßnahmen, die teils detailliert dargestellt, zumeist aber auch nur vage umrissen werden. Tiefgreifende steuerliche Reformvorhaben sind, vielleicht mit Ausnahme des sogenannten e-Invoicing, jedoch nicht vereinbart. Der Steuerpolitik kommt demnach nur eine Nebenrolle in den von den Koalitionären avisierten tiefgreifenden Transformationsprozessen zu, die von der Dekarbonisierung zur Einhaltung des 1,5-Grad-Pfads über die digitale Transformation bis hin zum demografischen Wandel verlaufen sollen.

Koalitionsvertrag: Im Kleingedruckten stecken Steuererhöhungen

Angesichts der steuerpolitisch diametral abweichenden Wahlprogramme der neuen Partner ist zunächst hervorzugheben, was nicht vereinbart wurde. Den leidgeprüften Steuerzahler freut, dass weder eine Vermögensteuer noch größere Steuererhöhungen angekündigt wurden, auch nicht in der Erbschaftsteuer, was bis zuletzt vielfach noch spekuliert wurde. Es muss jedoch ehrlicherweise ergänzt werden, dass im Kleingedruckten dann doch etliche Stellschrauben nachgezogen werden, die die tatsächliche Steuerbelastung für eine nennenswerte Zahl an Steuerpflichtigen in die Höhe treiben werden, z. B durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage.

Aus Sicht der politischen Arithmetik folgerichtig, aber trotzdem bedauerlich, wird es mit der Ampel keine breitenwirksamen Steuerentlastungen geben. Die Tarife von Körperschaftsteuer und Einkommensteuer bleiben unverändert hoch. Die Entscheidung über den noch bestehenden Teil des Solidaritätszuschlags überantwortet die Koalition damit dem Bundesverfassungsgericht.

Für die geplante „Superabschreibung“ fehlt das genaue Konzept

Gleichwohl enthält der Koalitionsvertrag auch den einen oder anderen steuerlichen Bonbon für die Wirtschaft. Die größten Hoffnungen weckt die Ankündigung einer „Investitionsprämie für Klimaschutz und digitale Wirtschaftsgüter“, die den Steuerpflichtigen in den Jahren 2022 und 2023 ermöglicht, einen Anteil der Anschaffungs- und Herstellungskosten der im jeweiligen Jahr angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die in besonderer Weise diesen Zwecken dienen, vom steuerlichen Gewinn abzuziehen („Superabschreibung“)“.

Auf den ersten Blick beschreibt der Koalitionsvertrag damit lediglich eine Abschreibung, die z.B. erhöht oder beschleunigt erfolgen könnte. Das Label „Innovationsprämie“ deutet dagegen eher auf eine Zulage hin. Wichtiger als die Umsetzungstechnik dürfte der Umfang der Prämie/Abschreibung sein. Geht die Koalition allzu vorsichtig vor, wäre nach der prominenten Ankündigung der Maßnahme die Enttäuschung vorprogrammiert. Da die Maßnahme bereits ab 2022 greifen soll, ist immerhin davon auszugehen, dass die Koalition relativ zügig im kommenden Jahr ihr genaues Konzept offenbaren wird.

Insbesondere bei der Verlustnutzung drängt die Zeit

Schnelle Gesetzgebung ist auch für die angekündigte Verlängerung der erweiterten Verlustverrechnung bis Ende 2023 erforderlich. Der mit dem 3. Corona-Steuerhilfegesetz auf 10 Mio. Euro bzw. 20 Mio. Euro bei Zusammenveranlagung erhöhte Verlustrücktrag würde ansonsten Ende 2021 auslaufen, womit ab 2022 wieder die Vorkrisenhöchstgrenzen von 1 bzw. 2 Mio. Euro gelten würden. Offenbar unabhängig von der Coronakrise und dauerhaft soll der Rücktrag auf die vorangegangenen zwei Jahre ermöglicht werden. Auch bei der angekündigten Anhebung der linearen Abschreibung für den Wohnungsneubau von zwei auf drei Prozent dürfte die Koalition relativ schnell zur Tat schreiben, auch weil hierfür gesetzestechnisch lediglich eine Zahl ausgetauscht werden muss.

Mehr Zeit können sich der neue Bundesfinanzminister, Christian Lindner, und seine Fachbeamten für die ungleich komplexere Evaluierung der Thesaurierungsbesteuerung (§ 34a EStG) und des gerade erst eingeführten Optionsmodells (§ 1a KStG) nehmen. Laut Prüfauftrag sollen sie unter die Lupe nehmen, inwiefern praxistaugliche Anpassungen erforderlich sind. Angesichts der weiterhin geringen Nutzung der Thesaurierungsbegünstigung, die seit ihrer Einführung mit der Unternehmensteuerreform 2008 konstant hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist, und den seit Jahren vorgetragen Verbesserungsvorschlägen sollte hieran eigentlich kein Zweifel bestehen. Auch beim Optionsmodell hat die scheidende Große Koalition längst nicht alle Vorschläge aus der Praxis berücksichtig (z.B. die Eröffnung der Option für Gesellschaften bürgerlichen Rechts oder Verbesserungen bei der Einbringung von Sonderbetriebsvermögen) und es besteht noch deutlich Luft nach oben.

BFH Nichtanwendungsgesetzgebung absehbar

Ein Geschenk für aktivistische Nichtregierungsorganisationen bringt der ehemalige Attac-Mitbegründer und jetzt als verbeamteter Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft (und Klimaschutz) vorgesehene, derzeitige Europaparlamentarier Sven Giegold mit. Nicht nur, dass Attac fortan einen direkten Draht in die Bundesregierung hat, seine ehemaligen Weggefährten dürften auch bald wieder den Status der Gemeinnützigkeit zuerkannt bekommen. Den hatte der BFH für derart politisch vorgehende Organisationen verneint, was die Ampelkoalition zurückdrehen will. Im Gegenzug sollen die Profiteure unter den zivilgesellschaftlichen Lobbyorganisationen aber neuen Transparenzpflichten und Regeln zur Offenlegung ihrer Spendenstruktur und Finanzierung unterliegen.

Einen Schwerpunkt unter den steuerpolitischen Maßnahmen bilden Ankündigungen zur weiteren Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens, die sich teilweise mit der ebenfalls sehr hervorgehobenen Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung überschneiden.

e-Invoicing womöglich weitreichendste Neuerung in der Steuerpolitik der Ampelkoalition

Beiden Zwecken dient die möglicherweise weitreichendste Neuerung, die als „schnellstmögliche“ Einführung eines bundesweit einheitlichen elektronischen Meldesystems für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen zur Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug beschrieben wird. Dahinter versteckt sich ein sog. e-Invoicing oder auch e-Reporting, wie es schon in Ländern wie Italien oder Spanien in verschiedenen Ausführungen im Einsatz ist. Gegenstand ist immer die Übermittlung von Rechnungsdaten (nahezu) in Echtzeit an die Finanzverwaltung. Umsatzsteuerbetrug kann so wirksam zurückgedrängt werden, aber die Daten können auch in die Ertragsbesteuerung einfließen. Die genaue Ausgestaltung des deutschen Systems bleibt abzuwarten. Das Gleiche gilt für die offene Frage, ob es der Ampel gelingt, die Steuerverwaltungen der Länder von einer engagierten Mitarbeit zu überzeugen.

Viel Potenzial beinhaltet auch die freilich nicht zum ersten Mal politisch angekündigte Beschleunigung und Modernisierung der Betriebsprüfung. Auch hierbei dürfte entscheidend sind, ob die Länder mitziehen, wenn die Ampel ihr Vorhaben in die Tat umsetzt.

Anzeigenpflicht innerstaatlicher Steuergestaltungen und Reform der Grunderwerbssteuer bergen Herausforderungen

Das Gegenteil von Bürokratieabbau ist offenkundig die Einbeziehung auch rein innerstaatlicher Steuergestaltungen in die Anzeigepflicht für bislang nur grenzüberschreitende Steuergestaltungen. Zwar sollen hiervon nur Unternehmen betroffen sein, die Größenbeschränkung auf einen Jahresumsatz von 10 Mio. Euro setzt aber denkbar niedrig an.

Als ebenso problematisch muss die erneute Reform der Grunderwerbsteuer gelten, die den Steuerpflichtigen droht. Zwar sollen die Länder eine Option erhalten, den Erwerb selbst genutzten Wohneigentums zu erleichtern, was wohl persönliche Freibeträge meint. Die Gegenfinanzierung über eine nochmals verschärfte Besteuerung von Share Deals könnte aber sämtliche Unternehmen mit Immobilienbesitz vor neue Herausforderungen (und Belastungen) stellen.

Für Privatpersonen sind eine Reihe von Detailänderungen vorgesehen, bei denen der Koalitionsvertag teilweise sehr konkret wird. Insbesondere bei Freibeträgen zeigt sich die Ampel spendabel und erhöht den Sparerpauschbetrag, den Freibetrag bzgl. Mitarbeiterkapitalbeteiligungen und den Ausbildungsfreibetrag. Die „Home Office“-Pauschale wird um ein Jahr bis Ende 2022 verlängert. In Anbetracht der tiefgreifenden Änderung der Arbeitswelt und der zweifellos dauerhaft gewachsenen Bedeutung von Home Office sollten die Koalitionäre überlegen, ob sie nicht sogar eine völlige Entfristung ins Auge fassen wollen.

Koalitionsvertrag schweigt sich über die Maßnahmen zum Abbau von Steuersubventionen aus

Klima- und Umweltpolitik wird auch über Steuerpolitik stattfinden. Neben der o.g. Innovationsprämie/Superabschreibung betrifft das z.B. die Dienstwagenbesteuerung. Bei Hybridfahrzeugen soll es künftig auf die rein elektrische Fahrleistung ankommen, will man in den Genuss der günstigen, für solche Fahrzeuge halbierten 1%-Regelung kommen. Die Herstellung und das Inverkehrbringen von Plastik dürfte demnächst mit einer Plastiksteuer verteuert werden, womit die Koalition die nach bisheriger Planung aus dem Bundeshaushalt an die EU abzuführende Plastikabgabe offenbar als eine Art Verbrauchsteuer weiterreichen will.

Teurer wird es für Bürger und Unternehmen auch, wenn die Ampel mit dem angekündigten Abbau von Steuersubventionen Ernst macht. Der Koalitionsvertrag schweigt sich über die genau geplanten Maßnahmen weitgehend aus. Womöglich will man den Betroffenen nicht zu viel Zeit zur Vorbereitung der politischen Abwehrschlacht geben. Nur bei Steuerbegünstigungen, die sich auf die wirtschaftliche Nutzung von Strom beziehen, wird es einigermaßen konkret. Da allerdings auch die EEG-Umlage ab 2023 wegfällt, soll es durch Steuern und Abgaben auf Strom insgesamt keine Mehrbelastung der Unternehmen geben.

In der Gesamtschau gibt sich die Ampel ein steuerpolitisches Programm, dass hinter den versprochenen Aufbruch zurückfällt. Es dürfte aber ausreichen, Steuerpflichtige und ihre Berater über die Legislaturperiode zu beschäftigen.

Einen vollständigen Überblick über die steuerlichen Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag lesen Sie hier.

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