Kinderarbeit erkennen und Abhilfe schaffen: To Dos für Unternehmen

Kinderarbeit hat gravierende Auswirkungen für die Betroffenen, wird aber aktuell auch für Unternehmen deutlich relevanter. Vor allem auf die Abhilfe im konkreten Fall sollten – und können – sie sich vorbereiten.
Wie Kinderarbeit entsteht
Aber warum gibt es überhaupt noch Kinderarbeit? Sollten Bemühungen von Unternehmen, wie Zertifizierungen, Audits und gesetzliche Verpflichtungen sie nicht verhindern?
Nehmen wir als Beispiel den Fall der 13-jährigen Tin Tin (der Name wurde zum Schutz des Kindes verändert), die mit ihren Großeltern in einer ländlichen Gegend in Vietnam lebt. Die Großeltern arbeiten zur Erntesaison jeweils mehrere Monate auf verschiedenen landwirtschaftlichen Plantagen als Erntehelfer für Weltmarktprodukte, zum Beispiel für Kaffee. Das Mädchen arbeitet mit, seit sie fünf ist. Die Arbeit auf dem Feld ist hart und durch die ständigen Reisen in neue Gebiete muss sie mit zehn die Schule abbrechen – auch, weil das Geld der Familie nicht mehr ausreicht.
Das zeigt: Die Hauptursache von Kinderarbeit ist Armut, die es in vielen Ländern gibt, aus denen Unternehmen Rohstoffe oder Produkte beziehen. Somit gibt es kaum eine Lieferkette, die frei von Risiken ist.
Unternehmen sind stärker in der Pflicht
Während in Deutschland die politische Diskussion und öffentliche Meinung rund um unternehmerische Sorgfaltspflichten polarisiert, sind weltweit mindestens 160 Millionen Kinder weiterhin Kinderarbeit ausgesetzt. Betroffen sind insbesondere tiefere Ebenen verzweigter Lieferketten, etwa in der Landwirtschaft, im Bergbau, aber auch in kleinen Fabriken und Workshops.
Mit der europäischen Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) werden Unternehmen ab 2027 bei Kinderarbeit stärker in die Pflicht genommen. Die Abhilfe von Kinderarbeitsfällen wird im Vergleich zum deutschen Lieferkettengesetz (LkSG) in der europäischen Richtlinie umfassender betrachtet: Anstatt nur die Rechtsverletzung beim Lieferanten abzustellen, indem man arbeitenden Kindern kündigt, gibt die CSDDD vor, neben Verbesserungsmaßnahmen beim Lieferanten auch auf den konkreten Fall einzugehen und das betroffene Kind zu unterstützen.
Hürden für Abhilfe
Doch oft bleibt die Einzelfallhilfe aus, weil Unternehmen nichts von den Menschenrechtsverletzungen erfahren. Kinderarbeit wird bei Risikoanalysen oder Audits nicht unbedingt entdeckt, zum Beispiel, weil sich Lieferanten auf Fabrikbesuche vorbereiten und Kinderarbeitsfälle verschleiern. Auch gängige Beschwerdemechanismen, wie die Gesetzgebungen sie vorsehen, erweisen sich als ineffektiv. Überwiegend, weil die arbeitenden Kinder auf den Lohn angewiesen sind, und somit keinen Anreiz haben, sich zu melden. Erst, wenn eigene Mitarbeitende der Qualitätssicherung oder Social Compliance vor Ort sind und nach dem Fabrikbesuch ein komisches Gefühl haben, greift bisweilen ein etabliertes Protokoll, wie der Verdacht zu melden und zu eskalieren ist. In den meisten Fällen schaut aber niemand darauf, was mit dem Kind geschieht.
Die Erfahrung zeigt, dass zumeist kurzfristige, einfache Lösungen zum Einsatz kommen, die das abnehmende Unternehmen vor Reputationsverlust schützen, die Kinderrechtsverletzung aber in tieferliegende Ebenen der Lieferkette verlagern, in denen weniger Transparenz herrscht ( Studie von Save the Children, 2023). Häufig stehen auch keine finanziellen Mittel zur Verfügung, um kinderrechtsbasierte Abhilfe zu gewährleisten.
Einen Abhilfemechanismus etablieren
Unternehmen können Kinder wirksam schützen, wenn sie die Anforderungen von LkSG und CSDDD erfüllen – auch im konkreten Fall. Der beste Weg für Abhilfe besteht darin, in verlässliche und wirksame Abhilfemechanismen zu investieren. Save the Children bietet Unternehmen etwa einen globalen Abhilfemechanismus für Kinderarbeit. Der Mechanismus greift, wenn ein Kinderarbeitsverdacht besteht oder ein konkreter Fall auftritt. Nach Benachrichtigung kann eine Fallmanagerin oder ein Fallmanager innerhalb von 72 Stunden vor Ort sein und Abhilfe auf zwei Ebenen leisten:
- Gemeinsam mit dem Lieferanten Schwachstellen und Verbesserungsmaßnahmen identifizieren – zum Beispiel Recruiting-Trainings mit verbesserter Altersüberprüfung.
- Gemeinsam mit dem Kind eine passende Lösung finden, sie umsetzen und auf ihren Erfolg hin überwachen.
Das Wohl des Kindes und seine Rechte auf Bildung, Sicherheit, Gesundheit und Entwicklung stehen dabei im Mittelpunkt – und zwar langfristig. Das beinhaltet zum Beispiel die (Re-)Integration in die Schule oder eine Berufsausbildung sowie finanzielle Unterstützung, bis das Alter erreicht wird, in dem das Kind sicher in die Arbeitswelt eintreten kann. So ist es auch für Kinder, die bereits arbeiten mussten, nicht zu spät.
Erfolgsfaktoren sind eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Unternehmen und ihren Zulieferern sowie eine frühzeitige Klärung der Kostenübernahme, damit das Abhilfeprogramm schnellstmöglich ansetzen kann.
In der Landwirtschaft ist die individuelle Abhilfe bei Kinderarbeit besonders wichtig, aber auch besonders schwierig. Weltweit arbeiten etwa 98 Millionen 5-17-Jährige in der Landwirtschaft. Durch die Komplexität internationaler Lieferketten sind diese Fälle oft unsichtbar. Und wenn sie entdeckt werden, handelt es sich meist um ein strukturelles Problem. Save the Children hat für diesen Kontext mit seiner Tochterorganisation The Centre for Child Rights and Business‘ (The Centre) einen Ansatz etabliert, der individuelle mit kollektiver Abhilfe kombiniert. In schlimmen Fällen greift der oben geschilderte Prozess, der das betroffene Kind schützt. Um kollektiv und systematisch zu wirken, werden etwa sogenannte After-School-Centres etabliert, von denen eine große Anzahl an Kindern profitieren kann ( The Centre, 2024).
Fallbeispiel für einen Abhilfemechanismus
Zurück zum Fall von Tin Tin: Ein Handelsunternehmen, das in Vietnam Rohstoffe bezieht, hatte The Centre beauftragt, auf einigen Plantagen sogenannte Kinderrechtsrisikoanalysen durchzuführen. Das Team hatte Tin Tin beim Arbeiten auf einer Kaffeeplantage entdeckt. Hier konnte der Abhilfemechanismus greifen: Ihre Arbeit auf der Plantage wurde beendet und ein für sie passendes Abhilfeprogramm erarbeitet. Die Suche nach einem Schulplatz war erfolgreich. Tin Tin erhielt zur Überbrückung Nachhilfestunden, um verpassten Unterricht aufzuholen sowie lesen und schreiben zu lernen. Ein Lehrer:innen-Paar aus dem Ort unterstützte sie bis zur Eingliederung in die staatliche Schule. Zudem brachten sie ihr das Nähen bei. Das abnehmende Unternehmen zahlte eine monatliche Zuwendung, um den Verlust des Einkommens auszugleichen. So konnte Tin Tin die Bildungslücken aufholen und sich auf eine Zukunft als Näherin vorbereiten.
Eine solche Begleitung im Einzelfall ist nicht nur Reputationsschutz für Unternehmen, sondern kann auch Automatismen von generationsübergreifender Armut durchbrechen und somit ein unerlässlicher Schritt für fairen Handel in der Zukunft sein.
Möglichkeiten für kleinere Unternehmen
Und was ist mit kleineren Unternehmen, die noch nicht von LkSG und CSDDD betroffen sind? Sie können neben freiwilligen Maßnahmen auch zu nachweisbarer Wirkung gegen Kinderarbeit in Lieferketten beitragen, wenn sie Kinderrechtsorganisationen unterstützen. So bündelt etwa der Fonds „ Schule statt Kinderarbeit“ Gelder von Unternehmen und nutzt sie in wichtigen Beschaffungsländern deutscher Unternehmen – wie etwa Bangladesch, Vietnam oder der Demokratischen Republik Kongo – für Projekte, die an den Grundursachen von Kinderarbeit ansetzen. Daneben finanziert der Fond die Begleitung besonders schwieriger Fälle von Kinderarbeit, die nicht im Sorgfaltsbereich einzelner Unternehmen liegen. Das Ziel: Strukturelle Treiber von Kinderarbeit minimieren, Bildung fördern und dabei bei den Menschen anfangen, die es am schwersten haben und am wenigsten von bestehenden Regularien profitieren.
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