Grundsicherung: Ausschlussgründe für Unionsbürger

Sozialtourismus war das Unwort des Jahres 2013. Es beschreibt die Migrationsströme innerhalb der EU, um in Deutschland in den Genuss der - europaweit fast schon höchsten - einmaligen Grundsicherungsleistungen zu kommen. Der EuGH hat sich im Oktober 2020 erneut dazu geäußert.

Die Grundsicherung für Unionsbürger – Ein Rückblick

Noch bevor das Unwort des Jahres 2013 gewählt war, wurde das Phänomen des Sozialtourismus in der deutschen Politik wahrgenommen. Schon zum 1.1.2008 hatte der Gesetzgeber versucht, den unerwünschten Wanderbewegungen mit einem absoluten Ausschlussgrund entgegenzuwirken. Wer nur „zur Arbeitssuche“ nach Deutschland kommt, sollte keine Grundsicherungsleistungen erhalten. 

Nur zur Arbeitsuche – die Rechtsansicht des EuGH

Dem Merkmal „nur zur Arbeitsuche“ hat der EuGH bereits 2009 in seiner ersten einschlägigen Entscheidung im Juli 2009 („Vatsouras/Koupatantze“) Ausdruck verliehen. Das Merkmal „nur zur Arbeitsuche“ wurde mit dem Begriff „hinreichende Verbindung zum jeweiligen Arbeitsmarkt“ noch einmal verdeutlicht. Aus Gründen der europäisch verankerten Gleichbehandlung traf der EuGH die Kernaussage, dass „Unionsbürger und Inländer nach den gleichen Kriterien Zugang zu den Grundsicherungsleistungen zu gewähren ist“.

Für den Zugang zu den Grundsicherungsleistungen ist es unter anderem entscheidend, ob der Betroffene während eines angemessenen Zeitraums tatsächlich eine Beschäftigung in dem betreffenden Mitgliedstaat gesucht hat. 
Die Ernsthaftigkeit der Suche wird beispielsweise - je nach Branche – an deutschen Sprachkenntnissen, Fachkenntnissen oder auch der beruflichen Erfahrung ausgemacht. Auch eine Wohnung in Deutschland bzw. ein Wohnsitz sprechen für eine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt. Eine abgeschlossene Eingliederungsvereinbarung kann für die Einzelfallprüfung herangezogen werden.

Wer also ernsthaft in einem angemessenen Zeitfenster in Deutschland Arbeit sucht – und das muss nach dem EuGH das nationale Gericht feststellen – der weist die notwendige Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt auf und hat Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

Fehlendes eigenes Bemühen

Was aber ist, wenn der Unionsbürger die Sozialleistungen zwar gerne nutzt, selbst aber nichts zur Änderung seiner Lage beiträgt? Also keine Arbeit sucht und sich nicht ernsthaft bemüht, seine Arbeitslosigkeit zu beenden.

Der EuGH und der Schutz der Familie

Nach der neuen Entscheidung des EuGH kann auch bei fehlender Eigeninitiative aus Gründen des europarechtlichen Schutzes der Familie ein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen bestehen. Der EuGH hat nun einen entsprechenden Ausschlussgrund im deutschen Recht für europarechtswidrig erklärt. In dem aktuellen Rechtsstreit steht damit dem Kläger eines Nachbarlandes, der mit seinen beiden schulpflichtigen Töchtern in Deutschland lebt, ein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen zu.

Reaktion des deutschen Gesetzgebers

Der deutsche Gesetzgeber hat die Konsequenz aus diesem Urteil des EuGH bereits selbst gezogen und den einschlägigen Ausschlussgrund bereits zum 1.1.2021 wieder gestrichen.

Hinweis: EuGH, Urteil v. 6.10.2020, C-181/19

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