Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung: Selbständiger Handelsvertreter oder unselbständiger Angestellter?

 

Leitsatz (amtlich)

Der Umstand, dass ein Handelsvertreter feste Bürozeiten einzuhalten und Außentermine anzukündigen und abzustimmen hat und ihm vorgegeben wird, wann und wie sie zu arbeiten hat und auch der Inhalt der Tätigkeit vorgegeben wird begründet nach dem streitgegenständlichen Handelsvertretervertrag keine Arbeitnehmereigenschaft.

Für die Frage der Abgrenzung des selbständigen Gewerbetreibenden vom unselbständigen Angestellten ist das Gesamtbild der Verhältnisse unter Würdigung sowohl der vertraglichen Gestaltung als auch der tatsächlichen Handhabung des Vertragsverhältnisses entscheidend. Dabei kommt es auf den wirklich gewollten Geschäftsinhalt an, der sich aus den Vereinbarungen und der praktischen Durchführung der Verträge ergibt. Ort, Zeit und Art und Weise der Tätigkeit ist nur ein Abgrenzungskriterium, welches aber im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung nicht unverzichtbar ist.

 

Normenkette

GVG § 13; ArbGG §§ 2, 5; HGB § 92

 

Verfahrensgang

LG Aachen (Beschluss vom 05.08.2013; Aktenzeichen 10 O 411/12)

 

Tenor

Der Beklagten wird Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen einen Zahlungsanspruch der Klägerin i.H.v. 1.425,25 EUR gewährt und ihr insoweit Rechtsanwalt C aus N beigeordnet.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Aachen vom 4.6.2013 in seiner Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 5.8.2013 - 1 O 411/12 - zurückgewiesen.

 

Gründe

Die gem. § 127 Abs. 2 S. 2 und 3 i.V.m. §§ 567, 569 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Aachen vom 4.6.2013 in seiner Gestalt des Nichtabhilfehilfebeschlusses vom 5.8.2013 - 1 O 411/12 - ist nur teilweise begründet.

Das LG hat der Beklagten zu Recht die Gewährung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsverteidigung mit der Begründung versagt, diese biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 S. 1 ZPO, weil der von der Klägerin geltend gemachte Rückzahlungsanspruch vorschüssiger Provisionen in der geltend gemachten Höhe bestehe und die Darlegungen der Beklagten diesem nicht entgegen stünden. Auch ein Anspruch der Beklagten auf Zahlung von Kosten für ihre Gewerbeanmeldung bestehe nicht. Soweit die Beklagte die Aufrechnung mit Schadensersatzforderungen erklärt hat, war ihr jedoch Prozesskostenhilfe zur Verteidigung der klägerischen Forderung i.H.v. 1.425,25 EUR zu gewähren.

1. Das LG ist gem. § 13 GVG, § 2 Abs. 1 Nr. 3a) ArbGG sachlich zuständig. Die Beklagte ist nicht Arbeitnehmerin i.S.d. §§ 5 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 1 Nr. 3 ArbGG. Soweit die Beklagte die Zuständigkeit des LG rügt und geltend macht, sie sei Arbeitnehmerin gewesen, bleibt sie erfolglos. Zur Begründung ihrer Arbeitnehmereigenschaft macht die Beklagte allein geltend, sie habe feste Bürozeiten einzuhalten gehabt und habe Außentermine ankündigen und abstimmen müssen. Ihr sei vorgegeben worden, wann und wie sie zu arbeiten habe, auch der Inhalt der Tätigkeit sei vorgegeben worden.

Für die Frage der Abgrenzung des selbständigen Gewerbetreibenden vom unselbständigen Angestellten ist das Gesamtbild der Verhältnisse unter Würdigung sowohl der vertraglichen Gestaltung als auch der tatsächlichen Handhabung des Vertragsverhältnisses entscheidend (vgl. BAG v. 9.6.2010 - 5 AZR 332/09 - Rz. 19; BGH Urt. v. 27.10.2009 - VIII ZB 42/08 - Rz. 12, jeweils zitiert nach juris; Senat Beschl. vom 19.3.2012 - 19 W 10/12 m.w.N.). Dabei kommt es auf den wirklich gewollten Geschäftsinhalt an, der sich aus den Vereinbarungen und der praktischen Durchführung der Verträge ergibt (vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 35. Aufl., § 84 Rz. 36). Ort, Zeit und Art und Weise der Tätigkeit ist nur ein Abgrenzungskriterium, welches aber im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung nicht unverzichtbar ist (Baumbach/Hopt, a.a.O.).

Die vertraglichen Regelungen des von der Klägerin vorgelegten "Handelsvertretervertrages vom 18.10./7.11.2011" lassen keinen Zweifel am Abschluss eines Handelsvertretervertrages. Nichts anderes ergibt sich aus der von der Klägerin behaupteten und unwidersprochen gebliebenen Zusatzvereinbarung, die in der Zeit vom 1.12.2011 bis 31.12.2012 eine Ausbildungs- und Startphase betrifft (Anlage K 2). Nach § 1 des Handelsvertretervertrages kann die Beklagte ihre Tätigkeit selbständig gestalten und ihre Arbeitszeit frei bestimmen. Selbst wenn es auf die, von der Beklagten insoweit behauptete abweichende tatsächliche Durchführung ankommt, ist das Maß der Freiheit in der Tätigkeitsgestaltung allein nicht entscheidend für die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmer und Handelsvertreter. Wird die Tätigkeit durch Weisungen eingeengt, die sich aus den Anforderungen der konkreten Geschäftsart ergeben, steht dies einer selbständigen Tätigkeit allein nicht entgegen, wenn nicht davon auszugehen ist, dass die Tätigkeit nicht mehr "im Wesentlichen frei gestaltet" wird,...

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