Entscheidungsstichwort (Thema)
Streitwerterhöhung bei zinsähnlicher Geltendmachung entgangenen Gewinns aus alternativer Kapitalanlage
Leitsatz (amtlich)
1. Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und zahlreicher Oberlandesgerichte ist entgangener Gewinn, der als gleichbleibender Hundertsatz einer bestimmten Summe (Zinsen) geltend gemacht wird, eine Nebenforderung im Sinne von § 4 Abs. 1 Hs. 2 ZPO, § 43 Abs. 1 GKG der ebenfalls eingeklagten Hauptforderung und erhöht den Streitwert nicht. Auch aus der historischen Entwicklung der Norm folgt keine abweichende Beurteilung.
2. Für die rechtliche Einordnung als Nebenforderung ist es unerheblich, dass der Berechnung des Schadens nicht über den gesam-ten Zeitraum der gleiche Hundertsatz zugrunde gelegt, sondern die Berechnung jeweils lediglich für den Zeitraum eines Jahres nach einem einheitlichen Zinssatz durchgeführt wurde.
3. Die Einordnung von entgangenen Kapitalanlagezinsen als Zinsnebenforderung führt weder zu einer Beeinträchtigung des verfassungsrechtlichen Gebots effektiven Rechtsschutzes noch stellt sie einen ungerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit der Parteivertreter dar.
4. Die vorläufige Streitwertfestsetzung entfaltet keine irgendwie geartete Bindungswirkung für die endgültige Streitwertfestsetzung.
Normenkette
ZPO § 4 Abs. 1 Hs. 2; GKG § 43 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Göttingen (Beschluss vom 27.06.2016; Aktenzeichen 16 O 10/13) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten zu 1) sowie der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1) gegen den Streitwertbeschluss des LG Göttingen vom 27.06.2016 - 16 O 10/13 - wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß § 32 Abs. 2 RVG, § 68 Abs. 1 S. 1 GKG statthaft und gemäß §§ 68 Abs. 1 S. 3, 63 Abs. 3 S. 2 GKG fristgemäß eingelegt.
In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg. Das LG hat bei der Bemessung des Streitwertes den geltend gemachten entgangenen Gewinn zutreffend nicht berücksichtigt.
1. Es entspricht - worauf das LG bereits zutreffend hingewiesen hat - mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass entgangener Gewinn, der als gleichbleibender Hundertsatz einer bestimmten Summe (Zinsen) geltend gemacht wird, eine Nebenforderung im Sinne von § 4 Abs. 1 Hs. 2 ZPO, § 43 Abs. 1 GKG der ebenfalls eingeklagten Hauptforderung ist und den Streitwert nicht erhöht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 08.05.2012 - XI ZR 261/10, juris-Rn. 14; vom 15.01.2013 - XI ZR 370/11; vom 02.06.2015 - XI ZR 323/14; jeweils vom 27.06.2013 - III ZR 143/12 juris-Rn. 6 ff. und III ZR 257/12, juris-Rn. 5 f. vom 27.11.2013 - III ZR 423/12, juris-Rn. 1 vom 18.12.2013 - III ZR 65/13, juris-Rn. 2; vom 16.07.2015 - III ZR 164/14, juris-Rn. 7; vom 18.02.2014 - II ZR 191/12, juris-Rn. 5; vom 13.05.2014 - II ZR 24/14, juris-Rn. 1 und 02.06.2014 - II ZR 61/14, juris-Rn. 1 sowie vom 10.12.2014 - IV ZR 116/14).
Die in jüngerer Vergangenheit ergangenen Entscheidungen des IX. Zivilsenates (Urteil und Beschlüsse vom 17.11.2011 - IX ZR 161/09, vom 10.05.2012 - IX ZR 205/09 sowie vom 30.01.2013 - IX ZR 204/09) stehen dem nicht entgegen. Diese Entscheidungen betrafen jeweils einen speziellen Fall des Anwaltsregresses. Der IX. Zivilsenat hat hier entschieden, dass Zinsforderungen dann beim Streitwert zu berücksichtigen sind, wenn diese daraus hergeleitet werden, dass der Rechtsanwalt einen Anspruch verjähren lassen hat, der ab einem gewissen Zeitpunkt zu verzinsen gewesen wäre. Diesen Entscheidungen kann aber nicht entnommen werden, dass in Form eines Zinsausfallschadens geltend gemachter entgangener Gewinn grundsätzlich als Teil der Hauptforderung - und nicht als Nebenforderung im Sinne von § 4 Abs. 1 ZPO bzw. § 43 Abs. 1 GKG - zu bewerten sein soll. Tatsächlich sind die von dem 9. Zivilsenat entschiedenen Fälle auch nicht mit dem streitgegenständlichen Fall vergleichbar. Der Rechtsprechung des IX. Zivilsenates liegt die Überlegung zugrunde, dass es sich in den dort entschiedenen Fällen bei den verlangten Zinsen jeweils um unselbständige Berechnungsposten eines einheitlichen Schadensersatzanspruches handele (so ausdrücklich in dem Beschluss vom 10.05.2012 - IX ZR 205/09, juris-Rn. 5).
Bei dem hier geltend gemachten entgangenen Gewinn handelt es sich nicht um einen unselbständigen Berechnungsposten eines einheitlichen Schadensersatzanspruchs. Es ist vielmehr anerkannt, dass der entgangene Gewinn ein selbständiger Streitgegenstand ist (BGH, Urteil vom 26.02.2015 - III ZR 53/14, juris-Rn. 4; BGH, Beschluss vom 19.06.2000 - II ZR 319/98, juris-Rn. 18; Kammergericht, Beschluss vom 11.06.2015 - 12 U 173/13, juris-Rn. 6). Dies schließt aus, ihn als bloßen Rechnungsposten oder unselbständigen Bestandteil eines einheitlichen Schadensersatzanspruchs zu bewerten. Die Rechtsprechung des IX. Zivilsenates ist somit auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.
Der IX. Zivilsenat hat sich in...