Leitsatz

Im Sozietätsvertrag einer Anwaltspraxis stellt der Ausschluss des Rechts zur ordentlichen Kündigung für einen Zeitraum von 30 Jahren auch dann eine unzulässige Kündigungsbeschränkung dar, wenn sie Teil der Alterssicherung der Seniorpartner ist.

 

Sachverhalt

Die Parteien sind Rechtsanwälte. Sie haben sich am 28.1.1989 zu einer Sozietät "zu gemeinsamer Berufsausübung und Alterssicherung" zusammengeschlossen. Die Sozietät begann am 1.5.1989. Gemäß § 15 des Sozietätsvertrags wurde sie unter Ausschluss des Kündigungsrechts auf eine Dauer von 30 Jahren fest errichtet; im Falle unterbleibender Kündigung sollte sie für weitere 30 Jahre fortgesetzt werden. Die seinerzeit 50- bzw. 52-jährigen Beklagten brachten in die Sozietät jeweils bestehende, am Kanzleiort alt eingesessene Kanzleien ein. Der Kläger, der damals gut 30 Jahre alt und nicht nur als Anwalt, sondern als einziger der vier Beteiligten auch als Steuerberater zugelassen war, trat als Berufsanfänger ohne eigenen Mandantenstamm in die Sozietät ein. Er war von Beginn an gleichberechtigter Gesellschafter, ohne dass er für den Erwerb seines Gesellschaftsanteils eine Gegenleistung hätte erbringen müssen. Der Sozietätsvertrag sah überdies vor, dass die Sozietät dem Sozius, der aus Altersgründen seine Mitarbeit einstellt, aus dem Gewinn grundsätzlich eine an der Beamtenversorgung orientierte Altersversorgung zahlen musste. In Höhe von 50 % bestand diese Versorgungsverpflichtung auch gegenüber den Witwen. Die Versorgungsansprüche dürfen insgesamt ein Drittel des jährlichen Reinerlöses nicht übersteigen. Den tätigen Sozien wurde außerdem ein Selbstbehalt eingeräumt. Bereits nach kurzer Zeit kam es zwischen den Beteiligten zu gravierenden Streitigkeiten. Der Kläger erhob deswegen im Jahre 2002 Klage auf Feststellung, dass der Ausschluss des Kündigungsrechts für 30 Jahre unwirksam ist und die Gesellschaft wie eine unbefristete gekündigt werden kann. LG und OLG haben der Klage mit der Maßgabe stattgegeben, dass der Sozietätsvertrag mit einer Kündigungsfrist von einem Jahr kündbar sei. Der Kläger kündigte dementsprechend den Vertrag und betreibt seit 2003 eine eigene Anwalts- und Steuerberaterpraxis. Die Revision der Beklagten blieb erfolglos.

 

Entscheidung

Die vereinbarte Kündigungsfrist von 30 Jahren ist eine unzulässige Kündigungsbeschränkung i.S. des § 723 Abs. 3 BGB. Diese Bestimmung kann auch bei überlangen Befristungen von Gesellschaftsverträgen eingreifen. Jedenfalls in Sozietätsverträgen von Rechtsanwälten führen übermäßige Befristungen dazu, dass die Gesellschaftsverträge wie unbefristete zu behandeln sind mit der Folge, dass der Ausschluss oder die Erschwerung der ordentlichen Kündigung unzulässig sind.

Dies gilt zumindest dann, wenn die Bindung der Gesellschafter an die Gesellschaft zeitlich unüberschaubar ist und infolgedessen ihre persönliche und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit unvertretbar eingeengt wird[1]. Gleiches ist bei zeitlich befristeten Gesellschaftsverträgen zu beachten, bei denen die vertragliche Bindung von so langer Dauer ist, dass bei Vertragsschluss die Entwicklungen und damit die Auswirkungen auf die Gesellschafter unübersehbar sind[2]. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, die Freiheit des Einzelnen zu wahren, können bei bestimmten Gesellschaftsverträgen den Ausschluss einer übermäßig langen Bindung erfordern, wenn diese in ihrer praktischen Wirkung einem Kündigungsausschluss für unbestimmte Zeit gleichkommt. Diese Grundsätze verletzt der Gesellschaftsvertrag, weil er auch in die nach Art. 12 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der Sozien eingreift.

Zur Berufsausübung gehört das Recht, sich beruflich zusammenzuschließen, aber auch das Recht, einen Arbeitsplatz nach eigener Wahl anzunehmen, beizubehalten oder aufzugeben. Der Anwaltsberuf ist mittlerweile nicht nur durch die ständig zunehmende Zahl von Berufsträgern gekennzeichnet. Er ist überdies einem starken Wandel unterworfen, wie er z.B. im Wegfall der Singularzulassung, der Spezialisierung, der Internationalisierung oder der Schaffung von Großkanzleien zum Ausdruck kommt. Zu der geschützten Berufsausübungsfreiheit des Rechtsanwalts gehört es auch, auf diese Veränderungen entsprechend seinen Fähigkeiten und Interessen reagieren und die für ihn passende Art der Berufsausübung wählen zu können. Das schließt das Recht ein, eine einmal eingegangene berufliche Zusammenarbeit, in der er seine persönlichen beruflichen Vorstellungen nicht mehr verwirklichen kann, aufzugeben und sich beruflich neu zu orientieren.

Die Absicht, mit der Vereinbarung auch eine Alterssicherung zu gewährleisten, rechtfertigt die lange Kündigungsfrist nicht. Es ist möglich, Abfindungsmodalitäten auch anderweitig zu vereinbaren.

 

Praxishinweis

Die überlange Bindung des Klägers an den Vertrag führt nur zur Unwirksamkeit der Laufzeitklauseln, nicht zur Nichtigkeit des gesamten Gesellschaftsvertrags. An die Stelle der unzulässigen Kündigungsbeschränkung tritt das dispositive Recht, sofern nicht – wie hier – aus ...

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