GG Art. 6 Abs. 1 u. 2; BGB § 1600 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 u. 3

Leitsatz

a) Bei Bestehen einer sozial-familiären Beziehung zwischen Kind und rechtlichem Vater ist der Antrag des leiblichen Vaters auf Anfechtung der Vaterschaft stets unbegründet (Fortführung von Senatsbeschl. v. 18.10.2017 – XII ZB 525/16, zur Veröffentlichung bestimmt, und Senatsurt. v. 6.12.2006 – XII ZR 164/04, BGHZ 170, 161 = FamRZ 2007, 538).

b) Eine Auslegung des Gesetzes dahin, dass die Anfechtung dennoch möglich sei, wenn der leibliche Vater seinerseits eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind habe und mit ihm in einer Familie zusammenlebe, ist nicht zulässig.

c) Das mit einer bestehenden sozial-familiären Beziehung einhergehende Elternrecht des rechtlichen Vaters ist auch in dieser Konstellation gegenüber dem grundrechtlich geschützten Interesse des leiblichen Vaters, die rechtliche Vaterstellung erlangen zu können, vorrangig (im Anschluss an BVerfG, Beschl. v. 9.4.2003 – 1 BvR 1493/96, BVerfGE 108, 82 = FamRZ 2003, 816 und Senatsurt. v. 6.12.2006 – XII ZR 164/04, BGHZ 170, 161 = FamRZ 2007, 538).

BGH, Beschl. v. 15.11.2017 – XII ZB 389/16 (OLG Hamm, AG Iserlohn)

1 Gründe:

[1] I. In der vorliegenden Abstammungssache ficht der Antragsteller (Beteiligter zu 2) als biologischer Vater die Vaterschaft des Beteiligten zu 3 zu dem im Januar 2013 geborenen Kind (Beteiligte zu 1) an und begehrt seine Feststellung als rechtlicher Vater.

[2] Der Beteiligte zu 3 und die Kindesmutter (Beteiligte zu 4) haben zwei gemeinsame (2007 und 2011 geborene) Söhne. Sie unterhielten eine Beziehung, ohne zusammenzuleben. Der Beteiligte zu 3 kam jedoch nahezu täglich in den Haushalt der Mutter, um sich um diese und die Kinder zu kümmern. Im Herbst 2011 kam es zur Trennung, nachdem die Kindesmutter eine Beziehung zum Antragsteller aufgenommen hatte. Ende 2012 trennten sich die Kindesmutter und der Antragsteller. Nach der Geburt der Tochter im Januar 2013 kümmerte sich der Beteiligte zu 3 um alle drei Kinder. Er erkannte die Vaterschaft für die Tochter an. Die Kindesmutter ist allein sorgeberechtigt.

[3] Anfang 2014 nahm die Kindesmutter die Beziehung zum Antragsteller wieder auf. Dieser hielt sich von nun an regelmäßig in ihrer Wohnung auf und kümmerte sich ebenfalls um die drei Kinder. Der Beteiligte zu 3 strengte daraufhin ein Umgangsverfahren an. Dieses endete mit einer Vereinbarung. Nach dieser ist er berechtigt, alle drei Kinder jedes zweite Wochenende zu sich zu nehmen, wobei die Tochter aufgrund ihres jungen Alters zunächst nicht bei ihm übernachten sollte. Der Beteiligte zu 3 nimmt dieses Umgangsrecht weiterhin wahr. In der Folgezeit trennten sich die Kindesmutter und der Antragsteller wiederholt, kamen aber jeweils wieder zusammen. Seit Oktober 2016 sind sie miteinander verheiratet.

[4] Mit seinem seit August 2014 anhängigen Antrag ficht der Antragsteller die Vaterschaft des Beteiligten zu 3 an. Das Amtsgericht hat das zuständige Jugendamt zum Ergänzungspfleger des Kindes bestellt. Dieses hat für das Kind die Vaterschaft angefochten, während der Verfahrensbeistand sich gegen die Anfechtung ausgesprochen hat. Das Amtsgericht hat molekulargenetische Gutachten eingeholt, die den Ausschluss der Vaterschaft des Beteiligten zu 3 und eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit des Antragstellers von 99,9999999 % ("Vaterschaft praktisch erwiesen") ergeben haben.

[5] Das Amtsgericht hat den vom Jugendamt als Ergänzungspfleger gestellten Antrag als unzulässig zurückgewiesen, weil die allein sorgeberechtigte Mutter der Anfechtung widersprochen habe. Den vom Antragsteller gestellten Antrag hat es als unbegründet zurückgewiesen, weil eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zum Beteiligten zu 3 bestehe. Auf die Beschwerde des Antragstellers hat das Oberlandesgericht antragsgemäß festgestellt, dass nicht der Beteiligte zu 3, sondern der Antragsteller Vater des Kindes ist. Dagegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 3, der eine Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses erstrebt.

[6] II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

[7] 1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner in FamRZ 2016, 2135 veröffentlichten Entscheidung ausgeführt, der Antragsteller sei der leibliche Vater des Kindes und habe seinen Antrag auch innerhalb der Anfechtungsfrist gemäß § 1600b Abs. 1 BGB gestellt. Es gehe damit allein um die Frage, ob die zwischen dem Kind und dem Beteiligten zu 3 bestehende sozial-familiäre Beziehung die Anfechtung der Vaterschaft ausschließe.

[8] Es sei nicht zweifelhaft, dass zwischen Kind und rechtlichem Vater bis heute eine sozial-familiäre Beziehung i.S.v. § 1600 Abs. 2 und 3 BGB bestehe. Danach sei eine sozial-familiäre Beziehung anzunehmen, wenn der rechtliche Vater für das Kind tatsächliche Verantwortung trage oder getragen habe. Zwar greife die Regelvermutung nach § 1600 Abs. 3 S. 2 BGB, wenn der rechtliche Vater mit der Mutter des Kindes verheiratet sei oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe, hier nicht ein. Auch außerhalb der V...

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